Helke: Ich  weiß  gar nicht so ganz genau, warum ich das mache. Schon vor vierzig Jahren hatte ich ein gutes Gefühl, Muscheln in verschiedenen Ländern zu sammeln, um sie  in anderen Ländern wieder  ins Meer zu werfen.

So habe ich  chinesische Muscheln  in England ins Meer geworfen, oder in Italien, und umgekehrt italienische Muscheln ins chinesische Meer. Für mich war es  immer eine schöne, großzügige Geste, sie reinzuschmeißen, und sie flogen auch so.   Die Vorstellung, dass vielleicht auch andere Leute sie mal finden und sich fragen: „wo kommen die denn  her, das ist ganz außergewöhnlich, das haben wir ja hier noch nie gefunden“? – ist für mich immer gut, weil das  anonym  international ist. – Durch dieses Muscheln Sammeln, oder Steine Sammeln – war ich für unseren kleinen Enkel lange Zeit  die „Oma Stein“. Er hatte aus dem Dreck  einen Stein hochgehoben,  den ich dann  auf dem  Rasen schön saubergemacht habe. Unsere Schwiegertochter … fand das eigentlich  nicht so gut, dass er  so einen dreckigen Stein  aufnimmt…  seitdem war ich  für den Cyrill, die „Oma Stein“. Und  immer, wenn er mit mir telefonierte, und  noch nichts  sagen

konnte – außer „Oma“, sagte er , um  zwei Omas zu unterscheiden  „Oma Stein“. Das war so süß. Er hat manchmal auch Pakete mit Steinen geschickt bekommen, die unendlich schwer waren, die ich für ihn gesammelt hatte. Für mich sind  Steine Götter. Sie sind  lebendig und nicht nur einfache Klumpen. Sie verändern sich ständig. Und ich bin sicher, nur wir als Menschen merken  das nicht, weil wir im Verhältnis zu ihnen so kurz leben. Fast an jedem Fenster  bei uns liegen Steine.

Antje:  der, wie heißt er, der indianische Künstler…

Helke: Jimmy Durham,  mit dem hab ich mich  über  Versteinerungen und Steine gut verstanden. Er hat das Empfinden auch. Ich freue mich über jeden guten Stein. Jeder ist anders. Auch bin ich jemand, der, wenn er läuft,  Details sieht – so dass ich  Vierklees auf Verkehrsinseln finden kann. Das schärft das Auge einfach für bestimmte Sachen. Mir hat das immer großen Spaß gemacht, und ich mach es auch weiterhin, das mit dem Muschel-Werfen auch .Freunde sagten mir: „das ist ja eine tolle Aktion“! Aber für mich war das was ganz Persönliches ,und ich hatte  gar keine Lust drauf, das so aufzubauschen.

Antje: Wenn ihr auf Reisen geht, nimmst du die Muscheln  mit und weißt dann schon, wo irgendwo in die Nähe das Meer ist, wo Du welche hinein werfen willst? Du packst also  schon ein Pächchen dafür?

Helke: Genau, ich packe sie als  kleines Paket ein ,und bis jetzt hat  noch nie der Zoll oder sonst jemand das bemängelt.. Um  italienische Muscheln zu finden , muss man genau hin gucken, weil es    im Mittelmeer nicht mehr so viele gibt.

Thomas: Die haben alle andere Farben und Formen.

Helke: Je nach den verschiedenen Meer, haben sie andere Farben und Formen. In  China haben sie  spitze Form wie ein Hut. In Neuseeland ist die Form  wieder ganz anders. Dort sehen sie mehr wie Häufchen aus.  Oder diese Perlmuttmuscheln, diese kleinen, runden, die innen so schön changieren, die habe ich auch schon mal gefunden und  sie wurden  woanders ins Meer geworfen. –  Ich passe  auf, dass es auch schöne Muscheln sind, die ich werfe. Nicht irgendein Schrott, oder wo jemand Muscheln gegessen hat, das mach’ ich nicht!

Antje: Und hast du das Gefühl, wenn die Steine und die Muscheln alle unterschiedlich sind, dass sie Götter sind?… in denen ist was drin, die sind lebendig?

Helke: Götter anstelle von Muscheln?

Antje: Nein, ähnlich wie bei Steinen, was in den Steinen drin ist? Ist das bei jedem Stein was Unterschiedliches?

Helke: Ich glaube, das ist hundert Prozent unterschiedlich. Ganz bestimmt. Wie alles, hatten wir vorhin ja das Thema auch schon. Das ist eben so anders, wie jede Zelle anders ist und wie jeder Stein anders ist. Es gibt nichts Gleiches. Auch selbst die Blätter an den Bäumen sind unterschiedlich.

Antje: Und was passiert, wenn man jetzt die Dinge  wandern lässt? Also wenn du die über die Kontinente wandern lässt, woanders hin, verändert sich dadurch was?

Helke: Ich denke schon. Die kommen ja zum Beispiel in ganz anderes Wasser.  Das eine ist salzig, das andere ist nicht so salzig; das ist wellig, das ist glatt. Ich würde sie nicht in einen See werfen. Ich hab das Gefühl, das muss möglichst weit sein und einen großen Horizont haben, und damit es wieder irgendwo hinkommt, wo es großzügig ist.

Antje: Und hast du das Gefühl, das…du hast vorhin erzählt, dass ihr früher lange Tai Chi gemacht habt.

Helke: Ja. Es hat damit was zu tun.

Antje: Und,  so wie man  den Körper bewegt, dass es durch fließen kann – diese Muscheln woanders hinzubringen. Wird das auch ermöglicht? Könnte das sein?

Helke: Ja, könnte man sich vorstellen. Diese Wellenbewegung (zeigt, wie sie wirft), konnte ich beim  Tai Chi auch empfinden. Für die Muscheln und  die Steine wird es ähnlich sein.

Wir haben verrückte,  gerollte, großen Bälle zuhause. Die bestehen aus lauter kleinen Härchen. Das Meer hat sie lange Zeit gerollt. Es gibt Strände mit Millionen solcher Bälle.

Wie lange werden die gerollt worden sein?

Das ist sehr, sehr schön.  Diese Prozesse interessieren mich sehr.

Am Strand liegen manchmal alte Stoffgewebe. Ich habe einmal ein ganzes Putztuch gefunden.

Da waren diese Härchen rein gewachsen. Das heißt: da hat das Meer gewebt. Ein anderes mal fand ich einen alten, zerbeulten Teekessel.

In dieser komischen Blechkanne mit Schnauze hat immer wieder ein  Rotkehlchen genistet. –

Diese Beziehung zur Natur ist bei mir sehr ausgeprägt. Ich kann  Vögel anfassen und retten, wenn sie sich im Netz verfangen haben.Ich höre, wenn sie in Not sind .– wenn sie anders fiepsen,  weiß ich, dass eine Katze oder ein Raubvogel in der Nähe ist.

Auch habe ich sterbende Vögel  in der Hand gehabt und über 15 Jahre ein riesiges Spinngewebe in unserer Wohnung wachsen lassen. – Von der Decke hing es 2 m tief in unser Wohnzimmer rein. In keiner anderen Familie wäre so etwas möglich gewesen.

Einmal sah ich eine  kleine Kinderjeans in einen Busch hängen, die jemand weggeschmissen hatte (Armbewegung).  Sie hing jahrzehnte dort und  veränderte sich ständig.. Mal war sie  grün bemoost, im Winter war die steif und weiß gefroren, mit Rauhreif bedeckt – bis sie schliesslich verschwunden war.

(lacht).