Antje Majewski: Was bedeutet es eigentlich, wenn wir über Eigentum sprechen? Im Rahmen der Triennale mache ich ein Projekt mit anderen Künstler*innen, das darin besteht, dass wir eine Skulpturengruppe in einen Wald hineinsetzen, die zu einer Art Wächtergruppe für diesen Wald wird, und der Wald für hundert Jahre aus der Nutzung genommen werden soll. Auf Pierre Ibisch bin ich über einen Beitrag zum Wald in Treuenbrietzen aufmerksam geworden. Der Wald war einem Großbrand zum Opfer gefallen und Pierre Ibisch hat dafür plädiert, es doch einfach mal damit zu versuchen, nichts zu tun.
Pierre Ibisch: Die Möglichkeit, in Treuenbrietzen zu diesem Waldbrand zu arbeiten, war tatsächlich ein Startpunkt für eine neue Etappe in meinem beruflichen Schaffen. Ich habe mir Ökosysteme weltweit angeschaut und da universelle Prinzipien erlebt, etwa nach Schädigung, nach Waldbränden auf anderen Kontinenten, wo der Wald, die Ökosysteme sich selbst ein Stück weit erholen, selbst gestalten und selbst organisieren. Nun passierte das vor der Haustür, dass dieser Wald abbrannte. Das war ein Forst, eine Pflanzung, eine Plantage, die einen Bestand darstellt, von dem wir längst wissen – in Brandenburg und überall – dass sie dem Ökosystem nicht guttun. So war das eine Chance, zu sehen: was passiert, wenn man nicht eingreift? Wissend selbstverständlich, dass es Arten gibt, die genau auf so etwas warten; die, wenn eine Katastrophe passiert, ein Wald abbrennt, das Ökosystem wieder aufbauen. Der kommunale Förster der Stadt von Treuenbrietzen sagte: Na gut, dann bekommt ihr hier eine Fläche und probiert das aus. Auf anderen Flächen, die andere Eigentümer*innen haben, wurde maschinell alles aufgeräumt, gepflügt und dann wieder bepflanzt. So ist das jetzt ein sportlicher Wettstreit zwischen dem Ökosystem, das auf bestimmten Flächen zeigen kann, was es allein vorhat nach einem solchen Schaden, und dem Menschen als Ingenieur, der immerzu gestalten muss und bauen und machen, und planvoll eingreift in die Natur.
Antje Majewski: Ich fand das auch deswegen interessant, weil man sieht, was Begriffe wie Eigentum oder Verantwortung in unterschiedlichen Lesarten bedeuten können. Auch konventionell arbeitende Waldbesitzer*innen denken ja, sie übernehmen Verantwortung für den Wald und dessen Produktivität. Aber was man unter Produktivität versteht, ist etwas anderes, als das was man darunter verstünde, wenn man die Gesamtökosystemleistung des Waldes anschaut. Bei der klassischen Forstwirtschaft geht es um die Frage: Wieviel Holz kann produziert werden? Wie viele schlagreife Bäume sind zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar, können auf den Markt gebracht werden und in Geld eingetauscht werden? Irene, wie sieht es aus deiner Sicht als ökologische Ökonomin mit dem Begriff des Eigentums an Land oder an Natur aus?
Irene Schöne: Die ökonomische Theorie geht davon aus, dass auch Lebewesen Objekte sind, die sich angeeignet werden können, die getauscht werden können, und dass man sein Kapital durch Produktion verwerten kann. Ich denke, das sollten wir für Lebewesen ausschließen.
Diese Theorie geht auf John Locke zurück, einen britischen Arzt und Philosophen aus dem 17. Jahrhundert, der 1632 bis 1704 lebte und als “Vater des Liberalismus” gilt. Er hat die Theorie aufgestellt, dass das, was man erarbeitet, Eigentum begründet. Allerdings produzieren wir Natur nicht. Das tut Natur selbst. Wenn man davon ausgeht, dass Natur arbeitet, wie Adam Smith das vor fast zweihundert Jahre definiert hat, dass Natur in einer produktiven Beziehung zum Menschen steht – dann muss man diese Auffassung von Natur als ein verfügbares Objekt in Frage stellen. . Wir sind aufgrund von Umweltzerstörung und Klimawandel in einer Situation, in der man fragen muss, ob unser Begriff von Natur in einer Ökonomik der Kapitalverwertung im einundzwanzigsten Jahrhundert angemessen ist. Denn schließlich sind wir selbst natürliche Lebewesen. Und vom Menschen gilt seit der Aufklärung, dass wir uns nicht mehr gegenseitig aneignen, besitzen und verkaufen. Die neue Definition, den Menschen als ein natürliches Lebewesen zu sehen, der nicht von anderen Menschen besessen und getauscht werden kann, das würde die Modernisierung der bestehenden und eine völlig neue ökonomische Theorie begründen. Wir können Umweltzerstörung und Klimawandel nicht nur in den heutigen ökonomischen Kategorien diskutieren. Wir müssen neu denken, um einen neuen Zugang und ein modernes Verhältnis zwischen Mensch und Natur legitimieren zu können.
Antje Majewski: Pierre, wie siehst du das? Was bedeutet das, einen Wald zu besitzen? Kann man das überhaupt?
Pierre Ibisch: Das ist für mich eine spannende Frage gewesen, die ich mir zunächst gar nicht gestellt habe. Als Ökologe und Biologe habe ich ja nur versucht zu verstehen, wie Natur funktioniert, wie Ökosysteme entstehen – und da gibt es selbstverständlich in den Naturwissenschaften den Begriff des Eigentums nicht. Er ist letztlich auch für die Ökologen relevant geworden, als sie weitere Argumente suchten, warum man Natur schützen muss – weil das einzigartige Lebewesen sind, weil da der lange Prozess der Evolution dahinter steht, weil Natur schön ist… Ab einem bestimmten Punkt ist man nicht durchgedrungen in der Gesellschaft und bei den Entscheidungsträgern, und hat überlegt: wir müssen lernen, die Sprache der Ökonomen zu sprechen. Erst relativ spät, in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, ist in der Geschichte der Ökologie diese Ökonomisierung passiert, und man hat den Begriff „Ökosystemleistung“ erfunden. Man spricht nicht mehr nur über Masse, die geerntet, extrahiert und benutzt wird, sondern erkennt an, dass die Natur arbeitet; dass es komplexe Systeme sind, die uns nicht nur versorgende Leistungen zur Verfügung stellen, sondern auch regulierende Ökosystemleistungen und kulturelle Ökosystemleistungen.
Wenn man die Natur als Dienstleister begreift, ist die nächste relevante Frage: was ist die Natur wert? Da hat es Publikationen gegeben, die den Wert in Dollarpreisen bezifferten, und es war relativ schnell klar: das funktioniert nicht. Relativ früh wurde klar: Die wesentlichen Fragen sind ethische und methodische Fragen – und man kommt ganz schnell zum Ergebnis, dass vielleicht die Frage falsch gestellt ist. Da sind wir aber hängen geblieben, wir sprechen immer noch von Ökosystemleistung. Ich tue das auch, um verständlich zu machen, was die Ökosysteme für uns leisten, damit wir leben können. Aber es ist das grundlegende Missverständnis enthalten, dass wir uns der Natur gegenüber stellen als einzigartige Krone der Schöpfung, die den Rest der Natur für sich arbeiten lässt. Das ist falsch, wenn wir wissen, dass wir eine Tierart sind, die Konsument ist, die davon lebt, dass die Primärproduzenten, die grünen Pflanzen, für uns produzieren. Wir haben uns da nur eingeklinkt. Genauso wie andere Affen oder Säugetiere oder Insekten oder Spinnen oder Fadenwürmer sind wir ein Teil eines komplexen Systems – und zwar eine zu hundert Prozent abhängige Komponente. Wenn man zu hundert Prozent bezüglich seiner Existenz von einem grösseren Ganzen abhängt, welches Recht hat man dann, nach dem Wert dieses größeren Ganzen zu fragen? Kann man denn zu einem anderen Ergebnis kommen, als dass der Wert des globalen Ökosystems, von dem wir zu hundert Prozent abhängen, für uns unendlich groß sein muss? Wenn man versucht, zu beziffern, was die Ozeane wert sind, oder ein Stück Wald, muss man unendlich teilen durch irgendwas, und das ist dann immer noch unendlich.
Antje Majewski: Du hast das auch in dem Ökohumanistischen Manifest so schön gesagt: „Das ist so, wie wenn im Körper zum Beispiel der Zeh sagt: Was sind denn die Lungen wert, kann ich nicht auch die eine Lunge verkaufen, oder vielleicht beide Lungen verkaufen und dann weiter machen?
Pierre Ibisch: Das ist das Paradigma, auf dem unsere Wirtschaft beruht, wo ständig diese Entscheidung getroffen werden: brauchen wir das noch oder kann das weg? Brauchen wir alle Wälder? Nein, haben wir längst entschieden, wir haben sie zu einem guten Teil schon vernichtet. Brauchen wir alle Arten? Wofür waren Elefanten nochmal gut? [Ja,] wenn in einem Körper eine Haarzelle, der kleine Zeh, oder eine Krebszelle, langsam aber sicher die Herzzellen abbauen, und die Lungenzellen und die Gehirnzellen – und das Ganze läuft noch eine Weile, aber wir wissen natürlich, wo das endet.
Antje Majewski: Ich glaube, dass ihr beide in eurer Arbeit jeweils dieses radikale Umdenken fordert, was an diese Grundbegriffe herangeht. Einer der Begriffe, der mir bei euch beiden aufgefallen ist, ist der Begriff der “Arbeit”. Irene, wie weit denkst du, dass wir tatsächlich den Begriff der Arbeit als käufliches Objekt hinter uns gelassen haben in Bezug auf Menschen? Und was könnte das in Bezug auf andere Lebewesen bedeuten, wenn man es weiterdenkt?
Irene Schöne: Gerne. Es ist so, dass wir die Arbeit anderer Menschen nutzen, die ins Eigentum anderer Menschen übergegangen ist. Heute haben wir Maschinen, die Arbeit für uns leisten. Menschen brauchen wir in der Wirtschaft immer weniger. Wobei der Grundkonsens der industriellen Revolution aufs Spiel gesetzt wird, der darin bestand, dass Menschen ihre Arbeitsfähigkeit verkaufen und als Verkäufer ihrer Arbeitskraft als selbständige Subjekte am Markt auftreten, miteinander handeln und dann durch deren Verkauf, die getrennt vom Menschen verstanden wird, also nicht mehr als an den Menschen gebundene Fähigkeit, sondern als eine Ware, als ein Objekt, dazu beiträgt, dass wir für den Einsatz unserer eigenen Tätigkeit Geld bekommen. Von diesem Geld leben wir in unserer heutigen Geldwirtschaft. Es ist also ein relativ komplexes Problem. Man sagt ja immer: wenn die Ökonomik eine Wissenschaft wäre, dann müssten alle Begriffe objektiv und rational definiert werden. Das sind sie in der ökonomischen Theorie aber nicht. Wir kennen sehr viele Definitionen von Arbeit: – Arbeit als Vorgabe, die man ausführen muss, als der Prozess, als das Ergebnis, Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, zwischen selbstständig Wirtschaftenden und abhängig Beschäftigten und so weiter.
Die Ökonomik sieht bisher Natur als ein einsetzbares Objekt, als eine Ware an, die für den Markt produziert wird, was natürlich Unfug ist, denn wir extrahieren ja lediglich Stoffe aus der Natur, die nicht von uns produziert worden sind, sondern von der Natur selbst. Wir betrachten es als “Produktion”, wenn wir Erdöl fördern, und vergessen dabei ganz, dass das ein Naturprodukt ist, von dem wir abhängig sind. Die Ökonomik beschäftigt sich nicht mit diesen Beziehungen zwischen Mensch und Natur, sondern nur zwischen Menschen, vermittelt durch Geld. Doch da wir lebendige und natürliche Lebewesen sind, müssen wir auch unsere direkten und unvermittelten lebensnotwendigen Beziehungen zur Natur thematisieren. Von der sogenannten “Produktion”, der Entnahme von Naturstoffen, bis hin zur Zurückgabe von Abfällen. Natur kennt keine Abfälle. Diesen ganzen Prozess müssten wir sehen, tun es aber nicht, sondern wir betrachten nur die sogenannte Produktion, also die Extraktion von Naturstoffen, die Produktion von Waren und ihren Verkauf am Markt. Nur durch diese Teilbetrachtung aus dem gesamten Kreislauf können wir Kapital verwerten. Ich habe daher vorgeschlagen, den Arbeitsbegriff der Physik auch zur Grundlage der Ökonomik zu machen, um einen exakten eindeutigen Arbeitsbegriff einzuführen. Es kann, wenn Ökonomik eine Wissenschaft sein soll, ja nicht unterschiedliche Arbeitsbegriffe geben zwischen Physik und Kulturwissenschaften – es darf nur einen exakt definierten geben. Dann könnte man auch “Arbeit” ganz anders verstehen, als heute. Alles was wir selber tun, die sogenannte Eigenarbeit, schließen wir heute nämlich aus, die ist gesellschaftlich nicht wichtig, sondern nur die getauschte und durch Geld bewertete Tätigkeit halten wir für “richtige” Arbeit. Wir sehen uns nur einen Teilprozess an. Deswegen muss man Ökonomik wieder auf die Füße stellen: einen eindeutig definierten Arbeitsbegriff haben und von da aus unser Verhältnis zur Natur definieren, in der alle natürlichen Lebewesen Arbeit leisten, die nicht durch Geld bewertet, sondern getan wird – zum Teil, ohne dass wir sie kontrollieren oder vorschreiben oder davon finanziellen Profit erzielen. Mit anderen Worten: Das neue Basisprinzip der Ökonomik besteht in Stoff-Wechsel-Beziehungen und nicht länger in der Verfügung eines Subjektes über ein Objekt,
AM: Ich habe mich vor einiger Zeit mit Rosa Luxemburg beschäftigt: Sie hat die Vorstellung entwickelt, dass die Akkumulation des Kapitals danach verlangt, alle Bereiche, die noch frei verfügbar, noch nicht monetär bewertet sind, sich nach und nach einzuverleiben. Sie nennt zum Beispiel Subsistenzbauern gerade in kolonialisierten Gegenden, es können aber natürlich auch Bereiche in der Natur sein – wenn beispielsweise durch den Klimawandel Bodenschätze frei werden, an die man vorher gar nicht heran kam, und das auf einmal positiv bewertet wird – das ist eine Katastrophe. Wir haben ja in der Art, wie wir Menschen zusammenleben, auch große Bereiche, die nicht monetarisierbar sind. Darunter zählt ein großer Bereich der familiären Care-Arbeit, des Sich-Sorgens um die Angehörigen, um die Kinder, den Partner, die Freundschaften. Das gemeinsame Musikmachen hattest du erwähnt, Irene – gemeinsam Dinge tun, die Freude machen, gemeinsam wandern, Vögel beobachten, lauter Sachen, für die man kein Geld bekommt; die marktwirtschaftlich gesehen keinen Mehrwert produzieren. In einem Wald stehen die Bäume, die einen Preis haben. Es gibt aber in dem Wald ganz vieles, was Arbeit verrichtet, die eine großen Wert hat, aber keinen Preis. Pierre, du hattest das beschrieben: da sind die Mikroorganismen, da fliegen Vögel auf ihrem Zug von Nord nach Süd durch den Wald – wer kann die besitzen? Und wer kann den Preis bestimmen? Wer kann den monetären Wert dieser ganzen Arbeit bestimmen, die zum Gesamtsystem dazu gehört?
Irene Schöne: Und warum ist es denn nötig, dafür einen Preis zu bestimmen?
Pierre Ibisch: Was Irene gesagt hat, finde ich natürlich großartig. Wenn Ökonom*innen fordern, dass die Arbeit physikalisch definiert wird, dann kann ich als Naturwissenschaftler damit etwas anfangen. Dann könnten wir tatsächlich fragen: was ist das, diese Arbeit im Ökosystem? Im Grunde ist nämlich alles, was in lebenden Systemen auf der Erde passiert, der Versuch, Ordnung zu schaffen, dem Chaos zu entrinnen. Das könnte man jetzt physikalisch ausdrücken: komplexe Systeme versuchen-
Irene Schöne: – der Entropie –
Pierre Ibisch:
– dem thermodynamischen Equilibrium zu entkommen. Sie sind tatsächlich relevant, diese thermodynamischen Grundsätze. Es sind die vielleicht fundamentalsten Grundgesetze von allem, was ist. Dass in diesem Universum, das wir haben, Energie erhalten bleibt, ist der erste Hauptsatz, der ist einfach. Der zweite ist schwierig, und das ist aber das Entscheidende – dass die Qualität der Energie verloren geht über die Zeit. Physiker sagen dann, Entropie nimmt zu. Das ist, soweit wir das bislang wissen, nicht abzuwenden, das ist das Schicksal des Universums, dass tatsächlich die Qualität dieser Energie immer weiter abnimmt, und das bedeutet, dass mit der Energie immer weniger Arbeit verrichtet werden kann. Hochwertige Energie, mit der Arbeit verrichtet werden kann, ist Exergie. Insofern gibt es auch schon von ökologischen Ökonom*innen Vorschläge, Exergie als Maßzahl zu nehmen, als Einheit, mit der man Nachhaltigkeit messen kann. Exergie, auf die kommt es an – auf der Erde ist es im Wesentlichen die Ökoexergie. Das ist die Energie, mit der man Arbeit verrichten kann, die von Ökosystemen bereitgestellt wird. Und wie machen die das? Indem sie von wo anders Energie einfangen, nämlich Sonnenenergie, und diese Photonen materialisieren, umwandeln in biochemische Energie, mit der dann Arbeit verrichtet werden kann. Das ist also der Vorgang, der das Leben auf der Erde bedeutet und ausmacht. Ein Teil davon wird abgelegt, zum Beispiel in Formen von organischen Molekülen, Verbindungen, fossilen Energieträgern. Vielleicht war es ja nicht so schlecht, dass viel von dieser Exergie unter der Erde verschwunden war. Wir zaubern das jetzt gerade alles in einem kurzen Augenblick hervor. Nochmal: Es wird Arbeit verrichtet, um Ordnung zu schaffen und aufrecht zu erhalten, gegen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Das heißt: Leben auf der Erde kauft uns Zeit. Kauft sich selbst Zeit, in immer weiteren Lebensformen immer weitere Lösungen zu entwickeln, um immer effizienter mit dieser hereinkommenden Energie umzugehen.
Da sind wir mit drin. Ja, so klug wird sind, wir kommen da nicht raus. Wir haben als Lebewesen erstaunliche Eigenschaften bekommen, emergente Eigenschaften, die es uns erlauben, immer cleverer in diesem System mitzutun. Wir können uns wegdenken von der Erdoberfläche, uns vorstellen, wir verlassen das Sonnensystem, aber physisch und physikalisch sind wir Teil von diesem komplexen System und sind darin festgelegt auf unsere Rolle als Konsumenten. Wir sind Organismen, die in den Nahrungsnetzen Exergie aufnehmen, sie entwerten und nicht wirklich einen Beitrag dazu leisten, dass mehr Exergie entsteht auf der Erde, das machen nur die Pflanzen. Das machen die Algen im Ozean, das machen die Bäume und die Wälder auf den Kontinenten.
Ein Baum, der zum Beispiel irgendwo wächst, ein Territorium besetzt und vielleicht auch besitzt, dem gehört das Stück Land, auf dem er steht. Was macht der Baum? Er schafft Wert. Es werden Lizenzen für andere Lebewesen geschaffen, über das Aufbauen von Exergie, Anbieten von Habitatstrukturen, Ressourcen, Eingriff in die Regulation des Wasserkreislaufes und so weiter. Alles, was wir Ökosystemleistung nennen, schafft dieser Baum an Wert, den andere Organismen dann abschöpfen können. So wie wir, aber eben nur als Konsument. Wenn ein Mensch sich irgendwo hinstellt und sagt: Hier steh ich jetzt, und das ist Mein! Dann ist das eigentlich nicht verbunden mit einer physikalischen Aufgabe oder einer physikalischen Realität – dann ist das nur Einbildung, dass uns irgendetwas gehört. Nein, wir können nicht andere Organismen besitzen – im Grunde gehören wir uns noch nicht einmal selbst, weil wir unser Leben gar nicht unter Kontrolle haben. Das kann jeden Moment zu Ende sein, weil irgendein Unfall passiert, weil irgendwas in diesem komplexen System daneben geht. Das heißt, wir bilden uns das ein, dass wir Eigentum haben können, mit fatalen Folgen. Wir können uns nicht selbst gehören, weil wir eine emergente Eigenschaft der Tätigkeit des Stoffwechsels, der Moleküle und der Organe und der Zellen sind, die uns aufbauen. Mit dem permanenten Input von hochwertiger Energie, von Exergie, die jeden [Tag] in uns eingeführt werden muss, damit wir überhaupt den Abend erleben.
Antje: Blaualgen haben doch wunderbar funktioniert. Wozu brauchen wir denn noch die ganzen anderen Organismen? In Deinem Buch fand ich sehr interessant, dass die längere Verweildauer der Energie im System offensichtlich ermöglicht wird durch das, was Du ergebnisoffene Evolution nennst. Dieses spielerische Rumprobieren in der Natur, in der immer mal wieder genetisches Material kaputt geht und dadurch Varianten und in deren Folge hochkomplexe Systeme entstehen. Nicht die Arbeit zählt, die im Einzelfall in einer Stunde physikalisch verrichtet wird, sondern die Energie, die im Gesamtsystem länger gespeichert werden kann. Wenn es nicht nur Pflanzen gibt, wäre sie dann grösser? Das wäre ein Vorschlag dazu, dass wir vielleicht auch eine Kleinigkeit zur Exergie beitragen können…
Pierre Ibisch: Völlig richtig, wir könnten immer noch in einer Welt der Cyanobakterien leben, die würden dann millimeterdick die Kontinente überziehen und das wär’s dann. Die hätten das auch theoretisch so beibehalten können, wenn es denn nicht zu Kopierfehlern gekommen wäre. Zu Mutationen im Erbgut, zu Variationen und zur Entstehung von neuen Lebensformen. Die Schaffung von Vielfalt war evolutionär gesehen sinnvoll. Durch die zunehmende Komplexität wurden mehrere Dinge in diesem globalen Ökosystem gestärkt. Das ist zum Einen die Effizienz, pro Fläche immer mehr Energie einfangen bzw. zurückhalten zu können und damit Arbeitsfähigkeit aufzubauen, also die Exergie. Es gab anderseits auch zu viele Unfälle und Unwägbarkeiten, wie Katastrophen kosmischer Art, Kontinente, die herumschwimmen, Klimawandel und so weiter. Das heißt, in diesem globalen Ökosystem war es auch erforderlich, widerstandsfähig zu sein, sich selbst heilen zu können. Resilienz. Das ist etwas, das durch die Vielfalt gefördert wird, wo plötzlich auch Konsumenten wie Tiere einen Sinn bekommen, die eigentlich nur Primärproduzenten stören, abgrasen, fressen und so weiter. Aber indem sie das tun, schaffen sie wieder Platz für andere und heizen die Diversität an. Und das ist eine Funktion, die wir Menschen übernommen haben. Als Jäger und Sammler, die eingreifen in lokale Ökosysteme, vielleicht auch als nomadische Bauern, die shifting cultivation betreiben, schaffen wir Habitatvielfalt und bewirken, dass mehr Arten koexistieren können in einem beschränkten Raum. Das ist unsere positive Funktion gewesen, die umgeschlagen ist in dem Moment, in dem wir in der vollen Welt lebten und nicht nur kleine sinnvolle Störung angerichtet haben, die die Gesamtproduktivität und Resilienz erhöht hat, sondern das Gegenteil.
Ich komme vom ‚Center for Econics’. Dieses Wort meint, dass wir als Menschen und sozialen Systeme von wahrhaftig haushaltenden Systemen lernen sollten, den Oikos-Ökosystemen. Da sehe ich viele Prinzipien in der Natur, die wir besser verstehen sollten, zum Beispiel die Rolle von Diversität und Komplexität im Umgang mit Energie.
Antje Majewski: Diese Fläche in Treuenbrietzen, die jetzt sich selbst überlassen bleibt und Diversität entwickeln kann, ist hier in Deutschland umgeben von Flächen, deren Böden ihrer Diversität beraubt werden, zugunsten von monokulturellen Anpflanzungen, die eben gerade nicht resilient, nicht resistent, nicht nachhaltig sind. Ich habe mal eine Arbeit gemacht zur Entwicklung des Weizens. Es ist tatsächlich so, dass der Begriff des Eigentums mit der Entwicklung von Saatgut zusammenhängt, mit der Erfindung von Flächen, in denen bestimmte Pflanzen durch gezielte Manipulation verdichtet wachsen.
Pierre Ibisch: Wie kam das, dass wir Eigentum beanspruchen? Der entscheidende Wechsel war sicherlich der Sprung zur Sesshaftigkeit, zu Kultur, Landbau, Tierzucht und so weiter – die entscheidende Revolution in der Geschichte der Menschen, aber auch einzigartig in der Evolution. Das erste Mal in der Evolution, dass ein Organismus seine ökologische Nische einfach wechselt und plötzlich sesshaft wird und rumsitzt und meint, jetzt muss er es auch besitzen, das Land, auf dem er sitzt.
Irene Schöne: Natürlich hat es auch kulturelle Konnotationen, wie die religiöse Vorstellung, dass die Erde uns gegeben worden ist, um sie uns untertan zu machen. Das isr die Verfügung über externe Objekte, Natur als das dem Menschen Äußere.
Pierre Ibisch: Wir müssen uns als Gesellschaft besser überlegen, wofür Land da ist. Ich würde das Eigentum nicht kurzfristig abschaffen wollen. Ich würde aber sagen: wenn jemand beansprucht, Eigentum haben zu wollen, dann geht das mit Verantwortung einher, mit einer Pflichtigkeit. Wir haben die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Gesetz stehen. Bräuchte es nicht auch eine Ökologiepflichtigkeit? Ich war ganz stolz darauf, dass erfunden zu haben, und stellte dann fest, dass Juristen wie Detlef Czybulka das Jahrzehnte vorher schon formuliert hatten, aber das macht ja nichts, wenn man mehrfach auf diese Idee kommt. Wenn man ein Stück Land besetzt und meint, sein Eigentum nennen zu müssen, muss das einhergehen mit der Verpflichtung, die Arbeitsfähigkeit dieses Landes im ökologischen und physikalischen Sinne zu erhalten, oder besser noch, zu verbessern, wiederherzustellen. Darum geht es nämlich jetzt auf unserer kaputten, degradierten Erde. Eigentum sollte dann der oder diejenige haben, die sich zutrauen, diese ökologische Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen. Das klingt alles sehr abstrakt, kann man aber natürlich sehr konkret machen und berechnen: Wie viel Exergie muss denn entstehen, in Abhängigkeit von Klima, geografischer Region und so weiter. Ist das nicht vielleicht die Leitwährung der Zukunft? Weg vom Dollar und hin zur Ökoexergie? Alles, was als Wirtschaftsleistung genannt und bewertet wird, müsste sich beziehen auf das, was uns trägt: die Arbeitskraft der Ökosysteme.
Irene Schöne: Wir haben bisher Eigentum diskutiert als Eigentum an Sachen, an Objekten, und dabei wird eben alles unter diesem Waren- und Objektbegriff gesehen. Es gibt aber auch Eigentum an den eigenen Gedanken, Eigentum, das in uns ist, zum Beispiel wenn Künstler*innen etwas Neues schaffen. Wir Menschen müssen selbst aktiv verstehen, dass wir neue Gedanken, neue Einsichten, neue Wahrnehmungen, die andere vielleicht noch nicht hatten, produzieren können und dass das nicht in ersten Linie Waren sind, die wir deswegen produzieren, weil sie in Geld bewertet werden können.
Antje Majewski: Grund und Boden ist nicht überall auf der Welt etwas, was man kaufen und verkaufen kann. Pierre, bei dir hieße das also, Lizenz-Nehmer zu werden und mit dieser Lizenz auch Verantwortung übernehmen. So ähnlich sehe ich das übrigens auch in Bezug auf künstlerische oder geistige Produktion. Niemand von uns entwickelt Ideen komplett neu. Du hast das gerade erzählt, wie du auf diesen tollen Gedanken gestoßen bist und dann festgestellt hast, dass ihn jemand anderes schon vorher gehabt hat. Es wird immer Menschen geben, die ähnliche Gedanken denken, weil wir miteinander verbunden sind. Deswegen geht es darum, wie ich in einem sozialen System diese Gedanken miteinander, mit euch jetzt zum Beispiel, besprechen und das dann wieder ins Publikum tragen kann, so dass wir uns alle gemeinsam vorwärts bewegen. Ob ich das nun angestoßen habe, oder Pierre mit seinem wunderbaren Buch, oder du, Irene, mit deinen ganzen Aktivitäten. Wir alle tragen etwas bei. Wie können wir in diesem sozialen System, in diesem Gesamtsystem, eine gemeinsame Energie erzeugen? Das wäre dann auch mein Ausblick auf die Triennale…