Gespräche von Antje Majewski mit:
Apfelbauer, Kommerzielle Apfelplantage im Tal von Ourika, Marokko
Karen Albert-Hermann, Architektin und Teilzeit-Bäuerin, Neuhof, Wredenhagen, Deutschland
Sotirios Arvanitis, Gartenberater und Grünausschuss; Gerd Czarnowski, Freizeitgärtner und Rentner, Kleingartenanlage Rehberge, Berlin, Deutschland
Aidos Baltayev, CEO Responsible Entrepreneurs Company LLC, Astana, Kasachstan
Eckart Brandt, Ökologischer Apfelbauer, Kurator einer Sammlung von alten Apfelsorten, Autor zahlreicher Bücher über Äpfel, Pomologe; Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Jimmie Durham, Künstler; Jimmie Durhams Atelier, Berlin, Deutschland
Marta Dygowska, Dr. Alicja Kujawska, Martyna Urbańczyk, Mitglieder der Lebensmittel-Kooperative Łodz (Kooperatywa Spożywcza w Łodzi), Polen
Sergei Filatov, Wildhüter; Ainur Jamantaeva, Parkverwaltung, Zhongar-Alatau Naturpark, Kasachstan
Dr. habil Henryk Flachowsky, Molekulargenetiker, Koordinator der Deutschen Genbank Obst
Dr. Monika Höfer, Kuratorin der Deutschen Genbank Obst; Julius Kühn-Institut (JKI),
Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Dresden-Pillnitz, Deutschland
Roland Gaber, Bernd Kajtna, Johannes Maurer, Verein Arche Noah, Schiltern, Österreich
Grzegorz Hodun, Kurator der Fruchtgenbank, Pomologe, Autor von Publikationen über alte Apfelsorten; Abteilung für Genetische Ressourcen und Sortengarten, Institut für Gartenbau und Blumenzucht, Skierniewice, Polen
Kamil Jeziorek, Prof. Andrzej Przybyła, Pomologen, Apfelzüchter; Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Abteilung Pomologie, Warschau, Polen
Bert Krämer, Ökologischer Apfelbauer, Bio-Hof Bölingen, Grafschaft, Deutschland. Hof mit Demonstrationsbetrieb für ökologischen Landbau der Bundesrepublik Deutschland, Versuchshof für Neuzüchtungen
Erzhan Ashim Kitzhan-uly Oralbekov, Naturschützer, Aktivist der Bewegung ‚Rettet Kok Zhailau’, Almaty, Kasachstan
Markus Kobelt, Apfelzüchter, Gründer von Lubera, Baumschule und Gartenversand, Buchs, Schweiz, und Bad Zwischenahn, Deutschland
Vladimir Kolbintsev, Biologe und Naturforscher, Kasachstan
Sergei Kuratov, Vorsitzender des Vereins The Ecological Society Green Salvation, Almaty, Kasachstan
Adam Miłoszewski, Robert Pierściński, Angestellter und Manager von Binder International, Apfelsaftfabrik Smaki Tarczyna, Tarczyn, Polen
Anatoliy Mishenko, Waldspezialist, Institut für Ökologie und stabile Entwicklung, Almaty, Kasachstan
Marian Orzeszek, Industrieller Apfelbauer, Michrow, Polen
Caty Schernus, Eigentümerin der Apfelgalerie, Geschäft für Apfelsorten, Autorin von ‚Das Apfel-Buch Berlin-Brandenburg’, Berlin, Deutschland
- Welche Apfelsorten gibt es?
- Wie werden Äpfel angebaut, gehandelt und verarbeitet?
- Was ist eigentlich eine „Sorte“?
- Wo wachsen die wilden Äpfel?
- Wie entstehen neue Sorten?
- Kann Gentechnik die Probleme der Apfelbauern lösen?
- Die Freiheit der Äpfel
- Welche Apfelsorten gibt es?
Marktstand, Belleville, Paris, Frankreich
Verkäufer: Geschenkt, geschenkt, geschenkt, geschenkt! 1 Euro die Schale, 1 Euro die Schale! Geschenkt, geschenkt, geschenkt, geschenkt!
Supermarkt, Belleville, Paris, Frankreich
Verkäufer: Das sind die Golden … und das die Gala. Hier drüben, das sind Pink Lady, die teuersten, und hier sind die Red … und hier Granny Smith. Die grünen Äpfel.
Markt, Guangzhou, China
Antje: Wo werden die angebaut?
Xu Shuxian: In Shanxi, an einem Ort namens Baishui. Die glänzenden roten heißen Gala-Äpfel. Sie sind aus Neuseeland.
Alte Dame: 7 Yuan sind zu viel.
Xu Shuxian: Dieser hier heißt Goldener Apfel.
Antje: Goldener Apfel. Wie Golden Delicious?
Xu Shuxian: Tatsächlich bedeutet das: „golden und hübsch“.
Antje: Aha, golden und hübsch. Ja, das muss der Golden Delicious sein.
Supermarkt, Japan
Verkäufer: Es gibt das Sprichwort: „Ein Apfel am Tag hält den Doktor fern“. Äpfel sind sehr gesund. Wir verkaufen viele Sorten. Auf der linken Seite sehen Sie den San Fuji Gold-Apfel und auf der rechten Seite den San Jonagold-Apfel.
Apfelplantage im Tal von Ourika, Marokko
Apfel-Bauer: Es gibt viele unterschiedliche Sorten von Äpfeln. Hier pflanzen wir Gala, Delicious und Golden an, diese drei Sorten bauen wir in der Region an. Drei Marken.
Antje: Nur diese drei?
Apfel-Bauer: Ja, aber es gibt noch mehr, fünf oder sechs.
Antje: Seit wann baut ihr Äpfel an?
Apfel-Bauer: Oh, schon lange, seit fast zwanzig Jahren. Davor kamen die Äpfel aus Europa. Davor hatten wir keine Äpfel.
Lebensmittel-Kooperative Łodz / Kooperatywa Spożywcza w Łodzi, Polen
Antje: Nur so zum Spaß – wie viele Sorten von Äpfeln kennt ihr? Wie viele fallen euch spontan ein?
Alicja Kujawska: Kosztela, Szara Renetta, Reneta Złota, Antonowka, Papierówka, Lobo; und andere wie Jonagored, Champion, Malinówka – aber den letzteren mag ich nicht. Es gibt auch diese grünen Monstrositäten, deren Namen ich nicht kenne, aber sie sind schrecklich glänzend.
Marta Dygowska: Aus den Niederlanden. Ja, man kann auch Äpfel kaufen, auf denen „Liebe“ geschrieben steht; ich weiß nicht, wie die das machen.
Kleingartenanlage Rehberge, Berlin, Deutschland
Gerd Czarnowski: Das ist Cox Orange[1]. Ein hervorragender Apfel, auch noch eine ganz alte Sorte. Sehr schmackhaft, und auch eine ganze Zeit lang lagerfähig. Ich finde, das ist eine der besten deutschen Apfelsorten. Das ist die alte Sorte Boskoop hier. Das ist ein lagerfähiger Apfel, der auch gut zum Kuchenbacken geeignet ist. Ist ein bisschen säuerlich, aber er hat noch voll seine Berechtigung.
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Abteilung Pomologie, Warschau, Polen
Prof. Andrzej Przybyła: Reneta Złota ist sehr schön. Sie sind als Weihnachtsäpfel berühmt, weil die Früchte rot sind, sehr gut riechen und einen sehr guten Geschmack haben. An einem Weihnachtsbaum sind sie einfach wunderbar.
Apfelgalerie, Geschäft für Apfelsorten
Caty Schernus: Wir befinden uns in der ‚Apfelgalerie’. Das ist ein Geschäft für regionale Produkte. Alles, was wir hier verkaufen, kommt aus Brandenburg, größtenteils vom Gutshof meiner Eltern in Frankfurt/Oder, die die Äpfel anbauen. Nicht nur Äpfel, sondern auch Birnen und Pflaumen, Erdbeeren und Kirschen. Hier in Berlin in Schöneberg verkaufen wir die Sachen. Es ist schon sehr wichtig, dass man auch die Sorten anbaut, die die Leute kennen. Also, Elstar, Gala, Braeburn spielen eine große Rolle bei uns. Pinova, Gelber Köstlicher[2] verkaufen wir auch sehr gut. Aber wir verfügen auch über einen Sortengarten, in dem viele alte Sorten stehen. Einige alte Sorten, die auch noch ein bisschen bekannt sind, wie Gravensteiner zum Beispiel oder die Ananasrenette, die hat der Obstbauer Thomas Bröcker noch mal neu veredelt, und die können wir auch im größeren Stil anbieten. Also, man schätzt schon, dass es auch immer noch 2000 Sorten gibt in Deutschland. Aber nicht im Erwerbsobstanbau, sodass man die Sorten auch kaufen kann, sondern da hat es in der Geschichte Schnitte gegeben. In den 1950er-Jahren hat man versucht, in der DDR zum Beispiel, das Angebot auf sehr gute, ertragreiche Sorten zu reduzieren, mit denen die Bevölkerung versorgt werden sollte. Um 1900 gab es auch diese Bestrebungen, das Angebot zu vereinheitlichen, sodass nicht so ein Wirrwarr herrscht an Sortenbezeichnungen.
Ribston Pepping ist schön. Der Ribston Pepping ist der Apfel, aus dem mal der Cox Orange gezüchtet wurde. Und mit Cox Orange wurde dann wieder viel weiter gezüchtet. Zum Beispiel die Rubinette[3], da steckt der Cox Orange mit drin – weil der Cox Orange ein sehr schönes Aroma hat und das ist im Ribston Peppin auch, so ein ganz spezifisches fruchtiges Aroma. Die Ananasrenette, das ist eine richtige alte Sorte, die hat ein sehr schönes Aroma. Am Anfang ist die sehr, sehr fest und recht säuerlich. Jetzt im Dezember ist sie schon etwas nachgereift und nicht mehr ganz so säuerlich, aber auch nicht mehr so fest. Es ist etwas, was die Kundschaft heute nicht so schätzt. Deswegen sind die alten Sorten oft aus dem Angebot verschwunden, weil die Äpfel heutzutage in erster Linie knackig sein müssen.
Neuhof, Wredenhagen, Deutschland
Karen Albert-Hermann: Der Apfelbaum ist nicht so alt. Der wird wahrscheinlich in DDR-Zeiten gepflanzt worden sein. Es ist eine Apfelsorte, die ich zum Essen nicht schätze, aber es ist ein Pektinapfel. Mit dem kann man unheimlich schnell Gelierzeug herstellen und Gelee machen. Die Amseln picken die Äpfel auf. Das ist irre – die picken die halb leer. Bis fast zu Weihnachten, in die Adventszeit rein, haben die dadurch ihr Vogelfutter. Neulich hat mir Stefan erzählt, der mir hier hilft: Die fressen die Äpfel und fallen dann, weil sie so satt sind, mitsamt den Äpfeln vom Baum.
Das ist der alte Gravensteiner, das ist mein Schätzchen. Der ist jetzt wahrscheinlich 80, 90 Jahre alt und kommt im August und liefert ganz saftige Äpfel, die auch noch schön aussehen. Und er blüht wirklich weiß wie ein Schleier, und die Form ist inzwischen vom Sturm entstanden, weil jedes Jahr irgendwas dann von dem alten Baum abbricht. Aber ich lass das alles liegen. Den müssen wir retten! Also, da muss man einen Reiser von nehmen, und die Sorte muss man aufbewahren für die Zukunft. Hier sieht man die Geschichte von dem Baum. Den hab ich auch nie lebendig gesehen. Den hab ich schon abgebrochen als Stamm übernommen, und jetzt ist er hier nur noch als Rinde da, und wir füttern im Winter da drin die Vögel. Das ist unsere Futterrinne. Und der bleibt jetzt hier so liegen und hat dann aus dem abgebrochenen Ast hier drüben wieder einen kleinen Baum getrieben. Der treibt inzwischen so kräftig, dass er auch schon wieder Äpfel hat. Aber er ist nicht verwurzelt. Er ist wirklich nur umgebrochen, umgebrochen, umgebrochen. Ich rette ihn und halte ihn, denn irgendwie muss hier immer noch Kraft durchgehen durch diese Rinde, denn sonst würde der Baum ja eigentlich eingegangen sein.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Eckart Brandt: Ein Martini und ein Altländer Pfannkuchen; eine kleine Ananasrenette; der heißt Peter Martens oder Juwel aus Kirchwerder, Biesterfeld Renette, Pommerscher Langsüßer, Seestermüher Zitronenapfel, ein kleiner Jakob Lebel, ein Mutterapfel, ein dicker Signe Tillisch, ein Knebusch, ein Gelber Richard, Altländer Pfannkuchen, eine Goldparmäne, nochmal ein Knebusch hier. Das hier ist der Finkenwerder Herbstprinz, der Lieblingsapfel dieser Niederelbe-Region und auch durchaus mein Lieblingsapfel. War ehedem hier sehr populär, und bis in die 1970er-Jahre hinein wirklich auf Platz eins der Anbauliste. Wurde dann im Rahmen der EU-Gleichschaltung des Obstsortimentes für abgeschafft erklärt. Ein wirklicher Allzweckapfel, ein sehr schöner Tafelapfel. Ein bisschen herbe natürlich, ein bisschen säuerlich, aber sehr schön würzig dabei. Auch gut lagerbar bis in den Januar hinein. Und vor allen Dingen auch für jede Art der Verarbeitung richtig gut geeignet. Man kann damit backen und kochen und dörren und Gelee herstellen und Saft herstellen und Wein daraus machen.
Antje: Wie viele Sorten haben Sie hier?
Eckart Brandt: Was haben wir, 60 vielleicht …
Judith Bernhardt: 60, 65 …
Eckart Brandt: Dies ist ein Teil der Anpflanzungen, die ich 1988 als erstes angelegt hab. Hier sind also hauptsächlich niederelbische Regional- und Lokalsorten vertreten, die jetzt im September reif sind, und sie müssen auch jetzt vom Baum runter. Als ich die Fläche 1984 gepachtet habe, waren etwa eineinhalb von den sechs Hektar frisch gerodetes Ackerland. Das war für mich eigentlich die Chance, loszulegen mit dem, was ich machen wollte. Ich hatte nämlich das Thema „Alte Obstsorten“ da gerade für mich entdeckt. Ich hab dann angefangen, auf diesem und dem Nachbarstück die ersten Anpflanzungen mit alten regionalen Sorten zu machen. Das geb ich alles auf demnächst. Die Pacht läuft dann aus. Ich konnte es ja bestimmen, wann ich damit aufhören will. Ich hab gesagt: „Mit 67 reicht es hier.“ Ich hab alles an wichtigen und wesentlichen Sorten, was hier war, ja längst auf die sichere Arche gebracht. Es ist nicht mein Land, und der Nachpächter wartet schon darauf. Der kann aber mit so was nichts anfangen, weil der das quasi auch im industriellen Rahmen macht. Der versucht, große Chargen an Händler zu verkaufen. Was soll er hier mit 60 bis 80 Sorten? Von einem hat er 100 kg, vom anderen 50 kg, und vom dritten hat er 270 kg … Das ist vermarktungsmäßig ja ein Unding, wenn man nicht direkt vermarkten kann.
Man soll auch nicht so nostalgisch an jedem einzelnen Baum hängen. Es geht mir eigentlich mehr um die Erhaltung der Vielfalt der Sorten, und dass hier ja nicht irgendwas verloren geht, was ich in den letzten knapp dreißig Jahren eingesammelt habe. Die Bäume leben sowieso nicht ewig! Diese könnten durchaus noch ein paar Jahrzehnte leben, aber wenn sie nun in andere Hände fallen, dann ist ihre Zeit eben besiegelt. Vielleicht müssen wir noch eben einen Blick nach drüben werfen, da sind eigentlich meine Lieblingsbäume. Die sind 1935 gepflanzt. Jeder andere hätte die längst abgesägt, weil es sich wirtschaftlich überhaupt nicht mehr rechnet. Aber es ist ein herrliches Biotop, wo alles Mögliche an Getier drin leben kann. Da sieht man dann auch: Das 80. Jahr bricht jetzt da bei denen an, und dann ist die Luft raus irgendwann. Dann brechen die Äste ab beim leisesten Windhauch, und man kann sie nicht mehr wirklich bearbeiten, weil kein Pflücker und kein Baumschneider sich mehr in die Kronen hochtraut. Alles Leben ist irgendwie endlich! Das Leben eines Apfelbaums auch.
Antje: Aber das Leben der Sorte geht ja im Prinzip weiter. Die hat ja eine Art von Unsterblichkeit, die wir nicht haben – solange wir Menschen dabei helfen.
Eckart Brandt: Ja, das ist eigentlich so eine Streuindividualität. Der einzelne Baum ist irgendwann hin. Und es ist auch meiner Meinung nach Unsinn, da irgendwelche lebensverlängernden Maßnahmen zu ergreifen. Wenn die Zeit um ist, ist sie um. Und wenn man so was toll findet, dann muss man dafür sorgen, dass das in zwei Generationen auch noch irgendwo zu besehen ist. Diese Bäume hat ja auch nicht meine Generation aufgepflanzt. Früher pflanzte man die Hochstammbäume eigentlich wirklich für die Enkel. Das ist eben mein Ansatz auch in Helmste, dass ich da was hinpflanze, was mit Chance, wenn es gut geht, eben in zwanzig, in vierzig, in fünfzig Jahren mal so aussieht, wie dies hier mal ausgesehen hat, und dann muss irgendwann wieder jemand kommen, der so was macht.
Wir fahren zu einer anderen Anpflanzung von viel jüngeren Bäumen.
Wir sind hier jetzt also am Boomgarden-Park Helmste. Das ist unser neuer Sortenerhaltungsgarten, in dem wir die alten Obstsorten der Region aufgepflanzt haben, die ich in den letzten 25 Jahren eingesammelt habe. Das sind hier jetzt so etwa 300 Sorten in bislang 700 Bäumen. Was ich hier mache, das ist ein lebender Genpool. Man kann das natürlich auch anders formulieren. Der Heimatverein würde sagen, das ist ein Erhalt unserer kulturellen Schätze. Agrikultur ist auch Kultur, nicht? Man kann es so oder anders deklarieren, aber bei den Obstbäumen ist so etwas wirklich notwendig! Man kann ja nicht wie bei anderen Nutzpflanzen die Samen mal eben in einer wohlklimatisierten Genbank aufheben und bei Bedarf wieder aussäen. Mit den Samen kann man hier ja nichts anfangen. Hier muss immer real ein Baum existieren, wenn die Sorte weiter erhalten werden soll.
Antje Majewski: Ab wann hat man begonnen, die zu klassifizieren?
Eckart Brandt: Das war im 19. Jahrhundert. Da hat die Pomologie versucht, eine ordentliche Naturwissenschaft zu werden. Dann musste sie natürlich auch überprüfbare Kriterien haben, nach denen sie ihre Objekte sortierte. Es gab verschiedene Systeme, aber die meisten hatten so zwölf bis fünfzehn verschiedene Apfelfamilien aufgestellt. Einige Namen sind uns noch geläufig, weil die zum Teil in den Sortennamen erhalten sind, wie Calville oder Renette oder Rambour. Eine Renette ist zum Beispiel ein nicht allzu großer, runder, wohlschmeckender Tafelapfel. Dies hier wäre eigentlich schon die fast typische Form für einen Taubenapfel, so spitz zulaufend. Hier kommt schon so ein violetter Schimmer. Man kann das hier wirklich abreiben, dann kommen hier all diese kleinen Lentizellen so schön zum Vorschein. Diese kleinen weißen Punkte.
Ich habe im Rahmen von Recherchen im Internet einen französischen Pomologen gefunden. Der ist echt eindrucksvoll! Er behauptet im Brustton vollster Überzeugung, er hätte alle verfügbaren Quellen – der Welt wahrscheinlich – durchgeforstet, und es gäbe, ich weiß nicht genau, 11.785 Apfelsorten. Dann hat er auch die Listen da stehen. Und wenn man die dann überprüft, da kriegt man schon gleich das Grausen. Er hat dann die unterschiedlichen historischen Listen aus verschiedenen Ländern ausgewertet. Und dann zählt er ganz viele Sorten doppelt und dreifach, weil er nicht erkannt hat: Das ist doch nur ein Synonym von dem Apfel, der heißt in dem Land so, und in dem Land heißt er anders. Da zählt er schon zwei. Andersherum hat er dann aber auch Sorten einfach gezählt, die in Wirklichkeit zwei, drei verschiedene sind. Das stimmt vorne und hinten nicht! Es könnte vielleicht die Zahl irgendwie stimmen, aber es weiß niemand wirklich genau, wie viele da sind.
Abteilung für Genetische Ressourcen und Sortengarten, Institut für Gartenbau und Blumenzucht, Skierniewice, Polen
Grzegorz Hodun: Wenn Sie wirklich fundierte Kenntnisse über die alten Sorten erhalten möchten, dann muss ich Sie warnen, dass es sehr viele von ihnen gibt, und die Aufgabe nicht so einfach ist, wie es scheinen mag. Ich gehe seit über zwanzig Jahren auf Expeditionen und trage Edelreiser der alten Sorten zusammen, züchte und sammele sie. Bisher ist es mir gelungen, ungefähr 600 Sorten von Apfelbäumen zu sammeln. Das ist wirklich eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass die meisten Menschen mit zehn oder bestenfalls zwanzig Sorten vertraut sind, die am beliebtesten sind. Es gibt Sorten, die seit Jahrhunderten gezüchtet wurden, das kann praktisch auf die Einführung der vegetativen Vermehrung datiert werden, die ihren Weg nach Polen zusammen mit den ersten Siedlern gemacht hat – oder, um genauer zu sein, den ersten Klöstern. Dort entstand um das 11. oder 12. Jahrhundert herum die Züchtung durch Veredelung. Dies ist auch die Zeit, die meist mit der Entstehung dieser alten Sorten in Verbindung gebracht wird, aber in Wirklichkeit verbreitete sich der Anbau von Obst in Hausgärten und auf Wiesen neben Gehöften erst im 17. und 18. Jahrhundert. Solche Obstgärten erreichten den Höhepunkt ihrer Popularität zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Seit den fünfziger Jahren befinden sich die Streuobstwiesen in einem stetigen Niedergang, und die alten Sorten verschwanden – teilweise, weil sie von den Landwirten zurückgezogen wurden. Ein Sortenregister wurde erstellt, das vor allem auf kommerzielle Obstplantagen ausgerichtet war und Sorten enthielt, die wirtschaftlich ergiebig waren. Zum Glück sind wir in den letzten Jahren Zeugen einer Wiederbelebung der alten Sorten. Sie werden immer beliebter, da viele Menschen sich an die gute alte Zeit erinnern, als sie Äpfel vom Baum holen konnten und sich über ihren Geschmack, ihr Aroma und auch die verschiedenen Sorten von Eingemachtem freuten, die sie mit ihnen herstellen konnten. Die meisten der modernen Sorten sind im Wesentlichen Tafeläpfel. Wenn wir uns die alten Sorten anschauen, waren einige ausschließlich zum Kochen geeignet, und wir fragen uns oft, warum sie jemand anbauen wollen würde. Ein Beispiel hierfür wäre eine Sorte, die ausschließlich zum Zweck der Herstellung von Apfelessig gezüchtet wurde. Sie war sehr sauer und konnte daher nicht roh gegessen werden. Antonówka Półtorafuntowa beispielsweise ist konkurrenzlos, wenn es um Apfelkuchen geht. Es gibt auch Sorten, die gut waren, um Apfelsaft zu pressen, beispielsweise Reneta Kulona, die wunderbar für den Verzehr wie auch für die Herstellung von Saft ist, und sich darüber hinaus auch für die Trocknung eignet.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Germany
Eckart Brandt: Deutschland ist ein Apfelland. Für Birnen ist es eigentlich nicht warm genug. Wenn man alte Pomologien sieht – Pomologie hat ja nicht nur mit dem Apfel zu tun, sondern auch mit den anderen Obstarten –, dann fangen die in Frankreich immer mit Birnen an.[4] Aber all die leckersten französischen Tafelbirnen, die können wir hier einfach nicht machen, es ist nicht warm genug. Das werden hier elendige Steckrüben. Und bei Pflaumen und Kirschen haben wir nicht solch eine Sortenauswahl und solch eine Gebrauchsdauer, die kann man nicht den ganzen Winter hindurch aufheben. Bei den Äpfeln geistern dann solche Sorten herum wie der „Drei Jahre dauernde Lederapfel“ (lacht). Man hatte früher solche Sorten, die man im Erdkeller von einem Jahr bis zum übernächsten Sommer aufgehoben hat.
Bio-Hof Bölingen, Grafschaft, Germany
Bert Krämer: Um Äpfel haltbar zu machen, konnte man ein Kompott einkochen. Wir merken das an älteren Leuten, die zu uns kommen und fragen: „Ist das ein Apfel, der beim Kompott sehr weich bleibt – wird der braun, ist der sehr mürbe oder sehr fest?“ Auch beim Kuchen möchten manche einen bissfesten Apfel und andere einen sehr weichen. Das hat aber nichts mit alten oder neuen Sorten zu tun – das hängt davon ab, wie die Zellstruktur bei der Erhitzung reagiert; und wie weiß das Fruchtfleisch ist, hat damit zu tun, wie schnell er an der Luft oxydiert.
Apfelgalerie, Laden für Apfelsorten, Berlin, Deutschland
Caty Schernus: Der Apfel hat es in Brandenburg nicht ganz so leicht gehabt, die Bauern hatten nicht so Lust, Obst anzubauen und sich darum zu kümmern – es ist ja auch pflegeaufwändig … Dann war es nicht so einfach für die Bauern, überhaupt an Reiser zu kommen, um die Bäume zu veredeln, und es hat auch Geld gekostet. Ja, und so wurde es von oben im Prinzip diktiert: Die Bauern mussten per Gesetz soundso viele Obstbäume im Jahr pflanzen, aber es war nicht so einfach, das in der ländlichen Mark Brandenburg durchzusetzen. Es hat schon einige Generationen gebraucht, bis die Alleen gepflanzt waren. Viele sind auch wegen mangelnder Pflege oder Baumfrevel wieder eingegangen.
Kleingartenverein Rehberge, Berlin, Deutschland
Sotirios Arvanitis: Ich bin im Kleingartenverein erstens als Gartenberater und zweitens im Grünausschuss tätig. Das heißt, dass ich alle Gärten kontrollieren muss. Eine Kolonie, das bedeutet: Jeder Mensch hat das Recht, einen Garten zu besitzen, oder einen Garten zu pachten. Und dann ist es egal, ob er arm ist oder reich.
Unser Verein existiert seit 83 Jahren. Damals hatte jemand die Idee, eine Kolonie in einem militärischen Gebiet zu gründen. Früher war das hier ostpreußisches Gelände, auf das die preußischen Soldaten gekommen sind und geschossen haben, manchmal noch täglich. Und da gab es damals nach dem Ersten Weltkrieg den großen Hunger, und die Leute wollten sich unbedingt selbst ernähren. Da wurde erst eine Reihe hier und eine Reihe im Norden angelegt, insgesamt 60 Parzellen. Es gibt im Bahnhof der U-Bahn Rehberge Bilder, rechts und links: Wie war denn damals unsere Kolonie? Auf einem Bild sieht man etwas Besonderes: „Am Sonntag ist das große Erntefest!“ Große Plakate, das ist von 1920, 1925. Damals gab es keine Autos, nur Karren und Fahrräder. Im Zweiten Weltkrieg entstand dann alles, was hier kleine Berge sind: Das ist nichts anderes als hierher transportierter Schutt von den ganzen kaputten Häusern von Berlin – die Rehberge sind nichts anderes als die Trümmer von Nordberlin.
Die Oma hatte den Garten, hat ihn dann ihrer Tochter oder ihren Kindern überlassen. Die Kinder haben ihn übernommen, und so gibt es viele Gärten, die schon über 80 Jahre demselben Namen gehören! Ich kenne viele Familien hier, die vom ersten Moment an dabei waren, und den Baum hat schon der Uropa gepflanzt.
Natürlich, die Leute arbeiten heute alle. Es pflanzen noch viele Gemüse. Wichtig ist, dass ein Teil des Gartens mit Nahrungspflanzen, Apfelbäumen, Pflaumen, oder egal was, bepflanzt wird. Wir haben noch heute viele Leute, die arbeiten mit Äpfeln, machen Marmelade. Zum Beispiel meine Frau hat zu Hause über 140 Gläser mit Marmelade, Kompott usw. Warum muss man gehen und kaufen Marmelade? Warum muss man gehen und kaufen Apfelmus, wenn man hat einen Baum, der hat hundert Kilo Pflaumen?
Das ist die Natur … Und wer will mit Natur nichts zu tun haben, dann ist der faul. Die Zukunft ohne Natur, kannst du dir das vorstellen? Ohne Bäume, ohne Pflanzen. Das gibt es nicht. Heute gibt es Leute, die haben Kinder und haben nie gezeigt: Was ist das, eine Blüte? Was ist eine Blume, was ist eine Pflanze? Woher kommt der Kartoffelsalat? Die essen, die Kinder, aber sie wissen nicht, woher das kommt. Es gibt viele in unserer Kolonie, die machen kurzen Prozess. „Was brauche ich denn das, ich gehe kaufen. Die zwanzig Äpfel …“ Aber die jungen Familien, die schätzen das. Ich habe gestern eine Mutter hier gesehen mit zwei Kindern, die gesagt hat: „So ist das, und diese Blüte wird zu einem Apfel: Sie wird gestochen.“ Und dann hat sie natürlich ein bisschen Abrakadabra gemacht: „Sie wird schwanger werden, und ja, und so …“. Und das Kind hat gefragt: „Und wie? Und wo kommen die her?“ Das ist eine Erklärung. Die Kinder müssen mit der Natur zu tun haben.
Gert Czarnowski: Arbeit macht so ein Garten auf jeden Fall, ja. Wenn man täglich rauskommt, hat man schon immer ein, zwei Stunden was zu machen.
Antje: Und bei der Parzelle ist es für Sie auch wichtig, selbst Obst und Gemüse zu ziehen?
Gert Czarnowski: Auf jeden Fall, ja! Sie sehen ja hier: Erdbeeren, Tomaten, Kürbis: alles, was so in einen Kleingarten gehört, ja. Wird selber angebaut und auch verzehrt, natürlich.
Antje: Wie viel Äpfel haben Sie dann so von den Bäumen, die Sie hier haben?
Gert Czarnowski: Das ist unterschiedlich. Das ist alle zwei Jahre sehr gut, das nächste Jahr ist es dann weniger, aber das kann schon ein Zentner und mehr sein pro Saison.
Antje: Und dann machen Sie einen schönen Apfelkuchen?
Gert Czarnowski: Genauso isset, ja!
Binder International, Smaki Tarczyna Factory / Apfelsaft-Fabrik, Tarczyn, Polen
Robert Pierściński: Äpfel sind sehr beliebt, weil sie praktisch überall auf der Welt angebaut werden können. Sie wachsen in Amerika, Europa, Asien, Nordafrika, mit Ausnahme des Rests von Afrika. Das Mikroklima in Polen macht unser Land zu einem perfekten Ort für den Anbau von Äpfeln. Die frostigen Winter und warmen Sommer sind wunderbar für den Geschmack der Äpfel, die hier angebaut werden. Das Gleiche gilt für die Säure, die davon abhängt, welche Mineralien sich im Boden befinden.
Adam Miłoszewski: Apfelsaftkonzentrat wird auch aus Äpfeln gemacht, die nicht in großen Plantagen angebaut werden – sie werden von freistehenden Bäumen gepflückt, die nicht gepflegt werden, und in der Regel hinter Scheunen oder entlang der Straßen wachsen und vor ein paar Generationen gepflanzt wurden. Sie waren nicht in industriellem Maßstab angebaut worden, sondern sollten Früchte für die Familie hervorbringen. Die Bäume haben bis heute überlebt, neben Bauernhöfen, in den Feldern. In den alten Tagen waren Baumschulen nicht so weit verbreitet wie heute. Deshalb gibt es nicht viele dieser alten Apfelbäume. Die Bäume wurden normalerweise groß, aber sie trugen sehr wenige Früchte und auch nicht eine konstante Menge an Früchten – alle zwei Jahre tragen sie mehr Früchte. Wenn Wetteranomalien wie Frost auftreten, gibt es bei diesen Äpfeln die größten Verluste, und sie tragen nur alle vier Jahre Früchte. Im Jahr 2012 wurden schätzungsweise 4 Millionen Tonnen Äpfel angebaut. Man schätzt, dass 500.000 Tonnen von solchen wild wachsenden Bäumen gepflückt wurden. Einige schätzen die Zahl auf 300.000. Aber im darauffolgenden Jahr war diese Zahl deutlich gesunken, weil diese Bäume nicht von Jahr zu Jahr eine konstante Menge an Früchten tragen.
Aleksandra Jach: Und wer sammelt diese Äpfel?
Adam Miłoszewski: Landwirte, Kinder, alle, die ein wenig Geld machen wollen. Diese Äpfel werden an Sammelstationen angekauft, deshalb kann so ziemlich jeder, der Zugang zu ihnen hat, sie pflücken und verkaufen.
Antje: Welche Art von Äpfeln der älteren Sorten werden traditionell verwendet, um Apfelsaft zu machen?
Robert Pierściński: Die erste Sorte, die einem in den Sinn kommt, ist Antonowka. Die Sorte Cox war auch sehr beliebt. Sie enthielten mit Sicherheit mehr Säure als die Äpfel, die derzeit auf dem Markt sind. Äpfel dieser Art werden von den verarbeitenden Betrieben sehr geschätzt. In Polen, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern werden meist süße Äpfel verwendet, um Konzentrat zu produzieren. Wenn das Konzentrat einen natürlich sauren Geschmack haben soll, ist es wichtig, diese sauren Äpfel unterzumischen.
Robert Pierściński: Um es in Zahlen zu fassen: Die durchschnittliche Säure von einem Apfel beträgt zu Beginn der Vegetationsperiode 6 % – und 2 % am Ende der Vegetationsperiode im Januar. Die durchschnittliche Säure des Produktes, das wir den Kunden anbieten, beläuft sich auf 3 %, und um das auszubalancieren, brauchen wir diese wilden sauren Äpfel.
Adam Miłoszewski: Vor Kurzem wurde es möglich, dem Konzentrat chemische Verbindungen hinzuzufügen, die es saurer machen. Leider haben EU-Richtlinien das ermöglicht, sodass die sauren Äpfel, die wir so sehr schätzen, nun durch bestimmte Chemikalien ersetzt werden können.
Robert Pierściński: Diese alten Bäume sind in der Regel vierzig bis fünfzig Jahre alt, während moderne Obstgärten ihre volle Kapazität im dritten Jahr erreichen und oft nach fünf bis acht Jahren abgeholzt werden. Es gibt heute einen Trend zu Zwergbäumen, Zwergobstplantagen, in denen Bäume sehr dicht gepflanzt wachsen. Das macht es möglich, Ernten von um die 70 bis 100 Tonnen pro Hektar zu erreichen.
Lassen Sie mich Ihnen erzählen, wie der industrielle Obst- und Gemüseanbau in Polen betrieben wird. Er ist ein direktes Resultat des Agrarmodells, das nach dem Zweiten Weltkrieg umgesetzt wurde. Es gab damals eine große Anzahl von kleinen Bauernhöfen, und dies führte zu einer breiten Vielfalt von Sorten, die angebaut wurden. Die Volksrepublik Polen versuchte dann, staatliche Agrarbetriebe und Genossenschaften aufzubauen. Sie waren der Form nach den heutigen Bauernverbänden ähnlich. Es gab ständig strukturelle Veränderungen in den letzten 40 bis 50 Jahren. Die Betriebe wurden größer, Bauernverbände wurden aufgebaut, und das machte unsere Landwirtschaft moderner und homogener. Hauptziel der Verbände ist es, ein stabiles, hohes Qualitätsniveau zu gewährleisten, und sie ermutigen die Landwirte, nur eine einzige Sorte von Äpfeln anzubauen. Große Mengen von Äpfeln einer einzigen Sorte und gleichbleibender Qualität anzubauen, wurde als Möglichkeit gesehen, den traditionellen Charakter der polnischen Landwirtschaft zu verändern.
Adam Miłoszewski: Zahlreiche Apfelsorten wurden gezüchtet, um sie schmackhafter, um die Bäume ertragreicher zu machen. Professor Pieniążek[5] züchtete im Institut für Gartenbau und Blumenzucht in Skierniewice die Apfelsorten, die am besten für den Anbau in unserem Land geeignet sind. Aber das Problem war, dass Apfelbauern in Polen einen anderen Weg gingen als ihre westeuropäischen Kollegen, die es vorzogen, Sorten mit etwas anderen Charakteristiken anzubauen. Unser industrieller Apfelanbau richtete sich an die Märkte im Osten, und die Verbraucher dort bevorzugen rote Äpfel, die härter sind und einen saureren Geschmack haben. Die Auswirkungen dieser Unterschiede sind auch heute noch spürbar, da polnische Äpfel auf den westeuropäischen Märkten weniger populär sind als in Russland und anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks.
Robert Pierściński: Westeuropäer bevorzugen grüne Äpfel der Sorte Golden, während Osteuropäer rote Äpfel mit einem leicht säuerlichen Geschmack bevorzugen, ganz anders als die Äpfel, die in Tirol, im Süden von Deutschland und Norditalien angebaut werden.
Antje: Welche Apfelsorten verwenden Sie, um Saftkonzentrat zu produzieren?
Adam Miłoszewski: Einige Safthersteller versuchen, ihren Apfelsaft aus einer einzigen Sorte von Äpfeln zu machen. Deshalb können wir Saft aus Champion-Äpfeln, Antonowka-Äpfeln, etc. kaufen. Aber so ziemlich alle Unternehmen, die Äpfel verarbeiten, kaufen die Äpfel, die auf dem Markt verfügbar sind – vom Tag der ersten Ernte bis zum Ende der Vegetationsperiode. Apfelsaft wird daher meist aus allen Arten von Apfelsorten, die auf dem Markt verfügbar sind, hergestellt.
Robert Pierściński: Der Großteil der Äpfel, die wir verarbeiten, sind Jonagold und Idared.
Adam Miłoszewski: Der Idared ist eine rote Apfelsorte, die von Professor Pieniążek vor langer Zeit entwickelt worden war, um im Osten verkauft zu werden. Diese Sorte wurde die beliebteste unter den polnischen Apfelbauern. Weitere beliebte Sorten sind Jonagold, Jonagored, andere Sorten von Jona, sowie die Sorten Champion, Gala und Ligol.
Apfelplantage, Ourika, Marokko
Bauer: Die Kunden hier kaufen, wenn sie die Form des Apfels kennen. Gala und Delicious haben eine schöne Farbe. Darum kaufen Menschen gerne diese Äpfel. Sie bevorzugen den Golden, den Delicious und Gala. Es hängt alles vom Markt ab.
Antje: Okay. Und gibt es keine Granny Smith auf dem Markt in Marrakesch?
Bauer: Doch, in den großen Supermärkten – ja, natürlich.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Eckart Brandt: Wenn ich einen sehr großen Apfelstand aufbaue, mit auch nur zwanzig bis fünfundzwanzig Sorten, gibt es Leute, die völlig hilflos sind. Ich hatte mal in Harburg eine Kundin, die irrte vor dem Stand umher: „Hach, was haben Sie denn hier alles für Äpfel, haben Sie denn keinen Elstar?“ – „Doch“, sag ich, „werte Frau, für Sie habe ich hier auch einen Elstar.“ Ich hab dann für solche Leute, die ins Schwimmen geraten im Anblick von so viel Vielfalt, dann auch eine Kiste Elstar da stehen.
Ich denke, dass hinter der Abschaffung der Vielfalt ganz andere Sachen stecken. Dass nämlich die Vielfalt schwer zu handlen ist, oder zu handeln, im wahrsten Sinn des Wortes. Dass der Handel eigentlich das große Interesse daran hat, das herunterzuklopfen auf eine handliche, überschaubare Zahl von Varietäten, und mit denen dann im großen Stil global handeln zu können. Ich selber vermarkte vielleicht im Jahr um die hundert Sorten. Das ist aber zum Teil echt eine Herausforderung. Wenn man da dann am Samstagabend von einem Markt zurück kommt, und am Sonntag den nächsten Markt hat, und abends in der Dämmerung dann da noch auf dem Hof rumläuft und ins Lager muss und die Kisten wieder auffüllen – dass man sich dann da nicht vertut und vergreift und den gelben Apfel mit dem anderen zusammenschüttet, der so ähnlich aussieht … Das Licht war nicht ganz hell genug. Kann ich alle wieder auseinandersortieren. – Das ist echt lästig, diese Vielfalt! Und wenn ich nur drei Sorten habe – eine grüne, eine gelbe, eine rote –, ist es viel einfacher, kann man viel leichter Geld damit verdienen. Also, ich plädiere dafür, dass wir diesen Weg weiter verfolgen! (lacht)
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Markus Kobelt: Diversität grundsätzlich finde ich gut, wir möchten ja alle Abwechslung. Der Hobbygärtner, der möchte schon grundsätzlich nicht das haben, was der Nachbar hat. Das ist was ganz Normales. Umgekehrt ist es so, dass es in den großen Märkten, in den Ketten, aus industriellen Gründen mit weniger geht … Wir leben davon, wenig von sehr Vielem zu verkaufen, und die leben davon, viel von Wenigem zu verkaufen. Das ist grundsätzlich der Unterschied. Aber da gibt es auch einen Shift, der jetzt durch das Internet entsteht. Letztlich ist es nun möglich, wenig von sehr Vielem zu verkaufen, von unendlich Vielem, weil der Gestellplatz grundsätzlich nicht beschränkt ist. Das ist das Problem: Im Apfelmarkt ist der Gestellplatz beschränkt. Es haben nur sechs oder zehn Sorten zur gleichen Zeit Platz, und fertig. Aber im Internet ist das größer, und das ermöglicht uns, Dutzende von Apfelsorten, hunderte oder tausende von anderen Beeren und Obstsorten anzubieten und zu verkaufen.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Eckart Brandt: Die Vielfalt … Die Vielfalt ist ein toller Schatz, ein großer Reichtum, den wir eigentlich ohne gewaltige Kraftanstrengungen geschenkt bekommen haben. Und wir sollten ein bisschen sparsamer, sorgsamer damit umgehen, dass wir den nicht so verschandeln und versaubeuteln, dass uns alles durch die Finger rinnt und verloren geht. Wir haben da einen Genpool, wir haben eine unendliche Vielfalt von Geschmacksrichtungen, Aromen, Düften usw.; wir haben auch wirklich exotische Sorten dabei, die völlig ungewöhnlich schmecken; wir haben eigentlich für jeden ausgefallenen Apfelliebhaber eine Apfelsorte. Selbst für die schrägsten Sorten, wo ich sage, den kann doch eigentlich keiner mögen – nein, es findet sich auch ein Liebhaber für einen Apfel mit einem starken Bittermandel-Aroma, zum Beispiel. Es ist natürlich immer ein Bedürfnis da, auch mal was anderes zu schmecken, was anderes auszuprobieren, und das treibt uns dann auf die Jagd nach Exoten, die wir quer über den Erdball importieren müssen. Wenn wir unsere eigenen Exoten mal ein bisschen besser kultivieren würden, könnten wir eigentlich aus eigenen Landen so viel aufregende, spannende Sachen anbieten, das würde echt interessant sein.
Studio von Jimmie Durham, Berlin, Deutschland
Jimmie Durham: Der Kapitalismus, der sagt: „Oh ja, ich liebe diese Art von Mangos aus Bangladesch! Lasst sie uns auf der ganzen Welt verkaufen!“ … Sie müssen nicht alles auf der ganzen Welt die ganze Zeit haben. Alles könnte stattdessen etwas Besonderes sein. Also, ich will nicht, dass die ganze Welt unsere wunderschönen kleinen süßen Kakis hat! Das spielt keine Rolle für mich! Ich kenne sie, ich erinnere mich an sie! Ich kenne ihre Besonderheit, und ich will, dass sie besonders bleibt! Ich will sie nicht in unserem lokalen Supermarkt bekommen!
Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Pillnitz, Deutschland
Dr. Henryk Flachowsky: Ja, gut, die genetische Einengung bei der Entwicklung von neuen Sorten, die gibt es. Aber das ist das Grundwesen der Züchtung. Züchtung schränkt ein, ja? Indem ich immer die größten und besten auslese, verwerfe ich alle, die klein und Mittelmaß sind. Das heißt, ich bewege mich irgendwo an den Rand der Vielfalt. Denn wenn ich Vielfalt will, dann müsste ich auch die bitteren essen, und müsste die sauren essen, und müsste die ganz grünen essen, und die harten, ja? Aber das will ich ja nicht. Sondern ich will im Laden einen Apfel kaufen, der hat eine bestimmte Größe, eine bestimmte Farbe, einen bestimmten Geschmack und eine bestimmte Lagereignung. Das heißt, wenn ich darauf züchte, werde ich einschränken. Das ist so.
Antje: Aber Eckart Brandt hat mir seinen Lieblingsapfel gezeigt, den Finkenwerder Herbstprinzen – das ist ein großer Apfel, gut lagerbar, mit gutem Geschmack, man kann ihn für vieles verwenden, er ist aber trotzdem praktisch vom Markt verschwunden …
Dr. Henryk Flachowsky: … und hat er erzählt, warum der vom Markt verschwunden ist?
Antje: Nee …?
Dr. Henryk Flachowsky: Weil er wahrscheinlich irgendwelche Eigenschaften hat, die für den Erwerbsobstbau nicht zu gebrauchen sind. Wir produzieren in Deutschland ungefähr eine Million Tonnen Äpfel im Jahr. Und wir verbrauchen zwei Millionen Tonnen. Die können wir nicht auf der Streuobstwiese produzieren. Da reicht die Fläche nicht aus, die wir in Deutschland haben. So – entweder wir importieren. Große Importländer sind Neuseeland, China, Italien. Dann müssen wir damit leben, dass wir Obst importieren, das unter deren Bedingungen produziert ist. Da haben wir relativ wenig Einfluss auf Pflanzenschutzmittel und Ähnliches. Oder wir vertrauen auf unseren heimischen Obstanbau, dann müssen wir Bedingungen schaffen, dass die entsprechenden Mengen produziert werden können. So sehr ich Streuobstwiesen liebe, und meine, dass die in unsere Landschaft gehören – weil das eine Tradition ist, das ist ein landschaftsprägendes Element, und das hat auch was mit Heimat zu tun –, aber wir können mit diesen Sorten nicht im Erwerbsobstbau produzieren.[6] Deshalb sind die nach und nach verschwunden.
Wir haben sehr viel Wohlstand. Das heißt, bei uns geht es nicht darum, sicherzustellen, dass es Äpfel zu kaufen gibt, sondern wir wollen heute den qualitativ superhochwertigen Apfel haben, der nach Möglichkeit nichts kostet. Das ist auch eine Herausforderung für die Obstzüchtung. 1920 ging es darum, die Bevölkerung mit Obst zu versorgen. Das haben wir heute nicht mehr. Wir haben genug Obst. Wir schmeißen sogar sehr viel Obst weg. Und da, denke ich, muss ein Umdenken stattfinden. Aber das geht nur, wenn wir einen gewissen Preis bereit sind zu zahlen. Der Produzent für die Nische, der muss sich sicher sein, dass er sein Zeug loskriegt, und dann muss er für diesen Preis der Ware so viel Geld kriegen, dass sich der Anbau lohnt. Das kann man nur über Bewusstsein erreichen, und Bereitschaft von Konsumenten zu sagen: „Okay, ich zahl halt nicht 99 Cent für das Kilo, sondern ich zahl halt 1,50 €, 2,00 €, 2,50 € – aber ich erwarte dann eben, dass es auch irgendwas Besonderes ist, dass es eben eine Vielfalt repräsentiert.“
Wenn Sie heute mal in die großen Bioläden gucken, sehen Sie keine Vielfalt. Ich war kürzlich in Dresden im Hauptbahnhof, und da gibt es einen großen Biomarkt – das sind dieselben Sorten, die ich bei REWE, Aldi etc. kaufen kann. Die sind anders produziert, okay, aber das ist keine Vielfalt. Keine andere Vielfalt. Ich würde erwarten, wenn ich bereit bin, mehr Geld zu bezahlen, dass ich auch ein anderes Produkt bekomme. Aber der Trend ist ja eher gegenläufig, das heißt, auch die Bioprodukte werden immer preiswerter. Auch dort ist es inzwischen so wie bei allen anderen Produkten: Wir wollen Massenware, und das wird wieder dazu führen, dass wir dasselbe produzieren: wo man mit wenigen Genotypen sehr viel Tonnage produzieren kann in einer sehr guten Qualität.
Binder International, Smaki Tarczyna Factory / Apfelsaftfabrik, Tarczyn, Polen
Antje: Glauben Sie, dass der Apfel ein globales Produkt geworden ist?
Adam Miłoszewski: Auf jeden Fall, ja. Polen ist der weltweit zweitgrößte Hersteller von Apfelsaftkonzentrat, übertroffen nur noch von China. Polen produziert zwischen 220.000 und 300.000 Tonnen Apfelsaftkonzentrat pro Jahr. Die Apfelplantagen expandieren jedes Jahr, sodass wir Zugang zu einem wachsenden Angebot an Äpfeln haben. Industrieäpfel anzubauen ist auch effizienter als der Anbau von traditionellen Apfelsorten – etwa 50 bis 70 bis 80 Tonnen Äpfel pro Hektar. Wir beobachten eine gewisse Tendenz in den letzten fünf bis sieben Jahren, dass apfelverarbeitende Unternehmen wie unseres mit Landwirten kooperieren, um die Größe der Apfelplantagen zu steigern, die Äpfel ausschließlich für die Bedürfnisse unserer Branche anbauen. Dies beinhaltet den Anbau von neuen Apfelsorten, die nur für die Verarbeitung verwendet und nicht an Verbraucher verkauft werden. Wir müssen hier eine wichtige Information hinzufügen – alle Äpfel, die wir verarbeiten, sind billiger als die, die in Supermärkten verkauft werden. Wenn sie billiger sind und die Bauern immer noch einen Gewinn machen wollen, müssen sie die Kosten für den Anbau senken. Das bedeutet, dass sie weniger Pestizide, weniger Dünger verwenden, um noch einen Gewinn zu machen.
Robert Pierściński: Auch die Effizienz bestehender Obstplantagen steigt. In Österreich (oder anderen westeuropäischen Ländern) werden etwa 25 Tonnen Äpfel von einem Hektar geerntet. In Polen steht die Zahl derzeit bei 17,5 Tonnen pro Hektar. Unsere Obstplantagen werden sich bald über eine Gesamtfläche von 200.000 Hektar erstrecken. Wenn unsere Effizienz 20 Tonnen pro Hektar erreicht, eine Zahl, die immer noch niedriger als in vielen westeuropäischen Ländern bleibt, wird sich der vorhergesagte Gesamtertrag in Polen auf 4 Millionen Tonnen Äpfel belaufen. Kein anderes europäisches Land baut Äpfel in einer ähnlichen Größenordnung an. Die meisten dieser Äpfel sind dazu bestimmt, an die Verbraucher verkauft zu werden. Derzeit müssen wir Wege zur Nutzung der überschüssigen Äpfel finden, die wir bald haben werden. Prognosen gehen davon aus, dass eine halbe Million Tonnen auf dem heimischen Markt verkauft werden können; anderthalb Millionen Tonnen, vielleicht bis zu zwei Millionen, können verarbeitet werden, sodass anderthalb Millionen Tonnen Äpfel übrig bleiben, die wir exportieren müssen. Wenn Russland beschließt, die Einfuhr von polnischen Äpfeln zu verbieten, was machen wir dann?
Industrieller Apfelanbaubetrieb, Michrow,Polen
Antje: Der Apfel ist ein sehr traditionelles Obst, sowohl in Polen als auch in Deutschland.
Marian Orzeszek: Es gibt heute ein Europa, und ob Polen oder Deutschland, macht kaum einen Unterschied. Der Anbau von Äpfeln ist überall ähnlich, aber die Wetterbedingungen sind verschieden. Es gibt Gebiete, in denen es einfacher ist, Äpfel zu erzeugen, weil das Klima wärmer ist. Und es gibt Gebiete, in denen es schwieriger ist. Eines ist sicher: Es ist sehr teuer, leckere Äpfel zu erzeugen, die zum unmittelbaren Verzehr geeignet sind; diese Kosten sind mit den heutigen Preisen vereinbar.
Aleksandra Jach: Warum ist diese Region so wichtig für die Produktion von Äpfeln? Was ist das Besondere daran?
Marian Orzeszek: Die Regionen von Warka und Grójec gehören zu den besten für den Anbau von Apfelplantagen. Die Wetterbedingungen sind optimal. Die Region ist nicht so stark dem Frost ausgesetzt. Der Boden ist nicht sehr kompakt, nicht zu nass und sumpfig. Es gibt mehrere Faktoren, die eine Rolle spielen. Auf jeden Fall ist es besser, wenn der Boden trockener ist, weil Sie die Obstplantage immer bewässern können. Wenn der Boden zu sumpfig ist, können Sie ein Drainage-System installieren, aber es funktioniert nicht immer.
Aleksandra: Also nutzen Sie auch ein Bewässerungssystem?
Marian Orzeszek: Ja, wir haben ein Bewässerungssystem installiert. – Etwa 10–15 % meiner Apfelproduktion gehen in die verarbeitende Industrie für Saftkonzentrat, und der Rest geht in den direkten Verbrauch und den Export. Im Durchschnitt produziere ich 50–60 Tonnen pro Hektar; man sagt, dass es möglich ist, 80–100 Tonnen pro Hektar zu produzieren, aber das ist einfach nur Angeberei unter Nachbarn. Die realistische Ernte beträgt circa 60 Tonnen pro Hektar.
Aleksandra: Wie viele Hektar haben Sie?
Marian Orzeszek: Weniger als 20 insgesamt, aber nicht nur Apfelbäume. Ich habe auch Kirschbäume, Pflaumenbäume, Birnbäume, Sauerkirschbäume. Apfelbäume stehen auf etwa 10 Hektar, das heißt, der Hälfte meiner Anbaufläche. Den größten Teil des Landes habe ich bereits an meinen Sohn übertragen; der Rest, den ich noch habe, ist ein winziges Stück.
Aleksandra: Ihr Sohn hat also vor, die Obstanlage weiterzuentwickeln?
Marian Orzeszek: Ja. Als ich das Land übertragen habe, habe ich ihn und seine Frau gefragt, ob sie arbeiten wollen. Er hat gesagt, er will, und seine Frau auch, also sagte ich mir: „Lass sie arbeiten, sollen sie Geld verdienen.“
Antje: Welche Sorte ist dieser Baum, zum Beispiel?
Marian Orzeszek: Dies ist eine sehr alte Sorte, Lobo, sehr beliebt bei den Kunden. Er ist schon seit fast fünfzig Jahren sehr beliebt. Einer der besten Tafeläpfel. Obwohl nicht jeder Exporteur diese Apfelsorte verkauft, aber einige doch. Und es ist einer der beliebtesten Tafeläpfel auf dem inländischen Markt.
Antje: Welche anderen Apfelsorten werden hier angebaut?
Marian Orzeszek: Es gibt viele Apfelsorten. Ich würde sagen, in Polen produzieren wir viel zu viele Sorten, weil der Verbraucher nicht weiß, welche Sorte er wählen soll. Wirklich, wenn weniger Sorten angebaut würden, wäre die Produktion einfacher. Heute ist nicht klar, welche Sorten man anbauen soll. Was wird der neue Trend im Apfelanbau? Das ist die Frage. Lobo und Cortland sind unter den polnischen Kunden seit Jahren beliebt, aber Idared nicht. Es ist eine Apfelsorte, die hauptsächlich für den Export produziert wird – vor allem für den Osten, für Russland. Die Sorten, die traditionell für den Export bestimmt waren, sind: Champion, Gloster, Idared und Lobo, Cortland, Gloster, Decosta, Ligol, Paula Red – viele Sorten, wie ich schon sagte – zu viele! Es gibt auch Simirenko, eine Renetten-Sorte, eine der neuesten Sorten, die nicht sehr beliebt bei den Kunden ist. Niemand weiß, ob der Markt sie akzeptieren wird. In den meisten Fällen pflanzen Apfelbauern eine bestimmte Sorte, die noch nicht getestet wurde, und sie wissen nicht, wie der Markt darauf reagiert. Manchmal müssen drei oder vier Jahre alte Apfelbäume gefällt werden, weil die Sorte auf dem Markt nicht angenommen wurde und ersetzt werden muss.
Antje: Welche Apfelsorte ist das? Wurde überall auf die Unterlage M9 gepfropft?[7]
Marian Orzeszek: Dies ist die Sorte Ligol, die auf die Unterlage M9 gepfropft wurde. Die auf der Unterlage M106[8] gepfropften Bäume sind 37 Jahre alt und sollten gefällt werden. Viele Bäume wurden bereits entfernt. Es gibt noch einen alten Cortland-Baum, der sehr schöne Früchte trägt, und das ist der Grund, warum wir ihn nicht fällen.
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Abteilung Obstbau
Prof. Andrzej Przybyła: Früher wurden Sämlinge als Unterlage genutzt, beispielsweise Sämlinge von Antonowka, und solche Bäume waren sehr groß. Heute verwenden wir keine Sämlinge als Unterlage mehr. Mit der Wahl der Unterlage wissen wir: Der wird sehr zwergwüchsig sein, der wird ein wenig stärker sein. Es bedeutet, dass wir die Größe des Baums beeinflussen können.
Kamil Jeziorek: Ja, denn Antonowka kann eine Unterlage sein, aber es ist ein sehr großer Baum. Wir können da dreißig, vierzig, fünfzig Jahre alte Bäume sehen. Das Leben der M9-Bäume ist dagegen kurz. Die M9-Bäume können fünfzehn, zwanzig Jahre alt werden, denke ich. Mehr nicht.
Prof. Andrzej Przybyła: Wenn wir M9 verwenden, müssen alle Bäume gestützt werden, da sie sonst abbrechen. Und man braucht Wasser und sehr fruchtbaren Boden.
Kamil Jeziorek: Ja, es ist ein sehr schwaches Wurzelsystem.
Prof. Andrzej Przybyła: Aber wir müssen uns daran erinnern, dass bei allen Unterlagen, die wir aus Sämlingen kultivieren, die Früchte nie so gut sein werden wie auf vegetativ vermehrten Unterlagen. Weil zum Beispiel mit M9 die Früchte röter sind, größer, auch die Zeit der Reifung ist unterschiedlich.
Kamil Jeziorek: Wir haben natürlich auch einige Unterlagen wie M26[9], zwischen M9 und Antonowka, sie hat 50 % Wuchskraft. Vielleicht ist M26 nicht so schlecht. Es ist ein kleiner Baum.
2. Wie werden Äpfel angebaut, gehandelt und verarbeitet?
Apfelplantage, Ourika, Marokko
Apfelbauer (zeigt braunes Blatt): Das ist wegen der Insekten. Auf diesem Blatt sehen Sie sie nicht.
Antje: Sie müssen also Insektizide verwenden, Chemikalien?
Bauer: Ja, genau. Es ist wegen der Insekten, deshalb muss ich sie aufbringen. Aber hier benutzen wir nicht viele Insektizide. Nur ein wenig.
Antje: Okay.
Es gibt einen anderen, das ist keine Krankheit, das ist ein Gegner: ein kleiner Schmetterling, der heißt Apfelwickler. Dieser Apfelwickler hinterlässt überall Eier, besonders im Monat Mai. Ich kann das jetzt am Baum zeigen. Diese Eier entwickeln sich in kleine Raupen. Die haben so einen Appetit. Die essen die Blätter alle! Hier an meinem haben sie schon begonnen.
Dann gibt es noch die Apfelwespe. Die macht auch Eier, und bei jedem von diesen Eiern, die sie im Monat Juni hinterlässt, wenn der Apfel klein und grün ist, da geht sie rein und macht ein ganz großes Loch. Und der dritte, das ist ein Käfer. Der kommt jedes zweite Jahr oder dritte Jahr, dieser Käfer. Wenn dieser Käfer kommt, der Käfer frisst alles. Der lässt nicht einen! Dann fallen alle Äpfel herunter. Natürlich muss man das wieder bekämpfen. Da kannst du auch spritzen. Die kannst du auch töten, die Dinger da. Aber etwas bleibt von der Chemie. Das gibt es natürlich von der Firma Tefalor oder von anderen Firmen, von Compo usw. Die sagen, dass es nicht mehr gefährlich ist. Aber doch ist das alles gefährlich. Stattdessen kannst du mit der Natur gehen. Brennnesseln kochen, damit kannst du spritzen. Da bleibt keine Chemie.
Apfelgalerie, Berlin, Deutschland
Caty Schernus: Ich denke, auf dem Land gibt es eher das praktische Interesse. Da weiß man auch, was es bedeutet, einen Apfelbaum zu haben und zu pflegen oder neu anzupflanzen. In der Stadt hat man sicherlich oft so eine romantische Vorstellung vom Apfelbaum, und wie alles wächst; aber nicht, dass es da eben auch viele Schädlinge gibt, dass es nicht so einfach ist, auch wirklich etwas zu ernten von seinem Baum. Der Apfel soll perfekt sein, aber möglichst ungespritzt, und das geht in der Realität einfach nicht. Da haben die Leute auf dem Land eher einen Bezug dazu. Die wissen, wie die Äpfel aussehen, wenn man wirklich das ganze Jahr über nichts macht. Und wie lange sie halten und wie knackig sie dann auch wirklich sind, nach zwei Monaten oder so.
Kleingartenanlage Rehberge, Berlin, Deutschland
Sotirios Arvanitis: Einen Apfelbaum muss man reduzieren. Ich habe schon 40 % runtergeschnitten. Die Sonne muss von allen Seiten kommen. Kommt die Sonne, dann gibt es weniger Krankheiten, weniger Schädlinge. Die Sonne spielt eine ganz große Rolle. Wenn der Baum einfach so wächst und wächst, und die Äpfel hängen drunter – die haben keinen Geschmack. Die haben keine Sonne gekriegt! Die werden nicht reif!
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Antje: Worauf muss man achten beim Schnitt?
Eckart Brandt: Dass er eine vernünftige Krone kriegt. Es kommt nicht darauf an, dass er schnell zu Früchten kommt, sondern dass sich ein stabiles Kronengerüst aufbaut, und das muss man mit verschiedenen Rückschnitten machen – da gibt es verschiedene Theorien. Dass ein tragendes Leitastgerüst entsteht, das nachher auch Lasten tragen kann, nicht dass beim ersten Behängen von ein paar Früchten dann glatt die Äste rauskrachen. Man muss dann aufpassen, dass die Leitäste sich schön um den Baum herum verteilen, dass überall Licht und Luft reinkommt. Wenn man den einfach so wachsen lässt, dann wächst immer viel zu viel Holz. Und nach vier, fünf, sechs Jahren ist das so buschig, dass die Äste sich alle gegenseitig behindern. Nichts kann dann weiter wachsen, und dann hat man die Tendenz, dass ein zehnjähriger Baum das Wachstum mehr oder minder einstellt. Der vergreist dann. Das sind eben Kulturgewächse. Die kann man nicht einfach so wachsen lassen wie eine Birke oder eine Erle. Die weiß das schon. Aber ein Apfelbaum weiß es irgendwie nicht.
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Abteilung Obstbau
Prof. Andrzej Przybyła: Bei jeder Sorte muss man den Baum anders behandeln. Bauern, die zum Beispiel Ligol produzieren, wissen tatsächlich nicht, was man tun muss. Aus diesem Grund gibt es die Ansicht, auch vom Institut in Skierniewice, dass diese Bäume nach mehreren Jahren beginnen, nur jedes zweite Jahr zu tragen. Aber das ist nicht wahr! Denn ich weiß von einem Bauern, dass es möglich ist, jedes Jahr eine sehr hohe Ernte zu haben. Es hängt davon ab, wie man die Bäume beschneidet. Wir sollten alle Triebe abschneiden, die älter als drei Jahre sind. Wir lassen circa 5–7 cm vom alten Zweig stehen, und aus diesem Zweig beginnen neue Triebe wachsen. Von diesen neuen Trieben bekommen wir die nächsten Blüten, Früchte etc. Auf diese Art haben wir jedes Jahr eine gute Produktion, bis zu 80 Tonnen pro Hektar. Und die Qualität ist auch sehr gut, weil es die ganze Zeit eine Menge Licht gibt und die Früchte rot werden. Wenn wir den Baum ohne Pflege lassen, können solche Früchte grün sein.
Industrieller Apfelanbaubetrieb, Michrow, Polen
Marian Orzeszek: Wie wir hier sehen können, ist der Baum beschnitten worden. Ich weiß nicht, ob er einen weiteren Schnitt braucht, aber wahrscheinlich nicht, da wir hier schon Knospen sehen können. ATS[10] wurde hier verwendet, und ich denke, es gibt keine Notwendigkeit für einen weiteren Schnitt – das, was wir hier haben, ist die Hauptknospe. Diese anderen Knospen hier werden keine Früchte ansetzen und abfallen. Hier wird nur diese eine Frucht am Baum bleiben.
Aleksandra Jach: Was ist ATS?
Marian Orzeszek: ATS ist ein Mittel zum Ausdünnen. Es wird aufgesprüht, wenn die ersten Blütenblätter zu fallen beginnen. Wenn wir das richtige Wetter wählen, ist es ein wirksames Mittel. Die Hauptknospe bleibt und bringt die schönste Frucht hervor, während die anderen Knospen vertrocknen und abfallen. Da eine Pflanze nicht alle Knospen zur Reife bringen kann, versucht sie, sich zu verteidigen, indem sie die Blüten abstößt, obwohl es später im Juni noch einen Fruchtfall gibt. Wenn eine Pflanze zu viele Knospen hat, wird sie unreife Früchte abstoßen; oder es gibt eine große Anzahl von kleinen Früchten, nicht für den Verkauf geeignet … Wir wenden auch Regalis[11] an, um das Wachstum zu stoppen, denn wenn ein Baum zu stark wächst, gibt er schwache Früchte. Regalis wird meist zweimal im Jahr eingesetzt. Obwohl es ein sehr teures Mittel ist, ist es von Vorteil. Es gleicht das Triebwachstum aus und hält die Bäume davon ab, zu groß zu werden. Die Triebe wachsen nicht so schnell, wie sie es mit der Verwendung von Düngemitteln tun würden. Und wenn man Regalis verwendet, kann ein Baum 50 % und manchmal bis zu 75 % kleiner werden als ohne die Verwendung von Regalis.
Aleksandra Jach: Wie oft im Jahr müssen Sie die Bäume spritzen, alles in allem?
Marian Orzeszek: Es ist unmöglich, diese Zahl zu berechnen, weil es von den Wetterbedingungen abhängt. Wenn es regnet und das Mittel weggewaschen wird, muss es wiederholt werden; manchmal drei- bis viermal pro Woche. In diesem Jahr haben wir schon achtzehnmal gesprüht. Welches Datum ist heute? Der 14. Mai? Achtzehn Behandlungen wurden bereits durchgeführt, mein Sohn hat das gestern überprüft. Das sind extrem hohe Kosten. Und in der Regel ist ein Mittel nicht genug – man muss es mit einem Mittel kombinieren, das die Bäume durch Blattdüngung[12] stärkt.
Antje: Haben Sie auch die Umgebung gespritzt?
Marian Orzeszek: Wir hatten heute geplant, Herbizide zu sprühen, aber der Wind war vor dem Mittagessen zu stark, also haben wir es gelassen. Wenn wir Zeit haben, werden wir es am Abend machen. Herbizide werden hier auch auf den Boden rund um den Baum gesprüht, wir lassen nur einen grünen Gürtel in der Mitte.
Antje: Diese Sprays und verschiedene Pflanzenschutzmittel, die Sie kaufen, sind diese Produkte polnisch?
Marian Orzeszek: Hauptsächlich aus Deutschland, Schweden und Österreich. Es gibt nicht viele polnische Mittel. Meistens verwenden wir Chemikalien von Bayer.
Aleksandra Jach: Sie haben den Hof von Ihrem Vater geerbt, nicht wahr?
Marian Orzeszek: Ja, den Hof habe ich von meinem Vater geerbt.
Aleksandra Jach: Wenn Sie sich diese lange Tradition über Generationen hinweg anschauen, wenn Sie daran denken, wie Sie ihre Eltern haben arbeiten sehen – wo ist der Unterschied?
Marian Orzeszek: Es ist ein bemerkenswerter Unterschied. Früher wurde das Spritzen zu der Zeit durchgeführt, wenn Apfelbäume mit rosa Knospen blühen – das war genug, um praktisch alle überwinternden Eier zu töten. Und ein letztes Mal wurde um die Zeit des Fruchtfalls im Juni gesprüht, das war genug. Heute sprühen wir fast jede Woche bis zur Apfelernte, mindestens einmal pro Woche, auch wenn die Wetterbedingungen schlecht sind. Und in der Vergangenheit waren es nicht einmal 25 % von dem, was wir heute verwenden. Wer hat je vom Birnenblattsauger[13] gehört, zum Beispiel, und heute befallen diese Insekten Obstplantagen, und die Bauern werden nicht mit ihnen fertig. Ich weiß nicht, ob Insektizide noch schlimmer sind, aber niemand kann diese Insekten loswerden. Es wird so viel gespritzt, dass es kein Problem sein sollte.
Aleksandra Jach: Wir wollten mehr über Bienen erfahren …
Marian Orzeszek: Bienen spielen eine sehr wichtige Rolle. Ich habe einmal Bienen gehalten, aber es ist eine sehr zeitraubende und mühsame Aufgabe, ich hatte keine Zeit für Bienen. Aber wir brachten eine Wildbiene aus, Anthophora parietina, die nicht sticht und doppelt so viel arbeitet wie eine Honigbiene. Sie brüten einfach in freier Wildbahn, und sie erledigen alles. Nur im Winter schützen wir sie. Sie sind sehr gut für die Pflanzenbestäubung. Sie produzieren keinen Honig, sie legen nur ihre Eier, und Jungbienen schlüpfen im Frühjahr. Nicht alle, aber die meisten Apfelbauern haben diese Wildbiene. Bienen sind in der Obstproduktion sehr wichtig. Einige Bauern pflanzen verschiedene Sorten in Reihen, sodass eine Sorte die andere bestäubt. Sie können mit verschiedenen Sorten von Kirsch- oder Apfelbäumen Kreuzbefruchtungen machen, aber Bienen sind am zuverlässigsten.
Aleksandra Jach: Werden die Bienen durch das Sprühen beeinträchtigt?
Marian Orzeszek: Ja, Sie dürfen keine Chemikalien auf Bienen sprühen. Sie müssen in der Regel nach Sonnenuntergang sprühen, wenn sie nicht herumfliegen oder als Schwarm auf Bäumen sitzen – dann ist es sicher. Heutige Insektizide und Herbizide sind weniger toxisch als früher, weil sie selektiver sind. Sie reichern sich nicht in den Früchten an, aber sie müssen wie vorgeschrieben verwendet werden. Wenn da steht, dass das Sprühen zwei Wochen vor der Apfelernte durchgeführt werden sollte, sollten Sie die zweiwöchige Wartezeit respektieren.
Aleksandra Jach: Manchmal sprühen Leute auch später, um eine größere Ernte zu erreichen, nicht wahr?
Marian Orzeszek: Es ist ziemlich selten, ich weiß nicht. Wir machen das nicht. Wir respektieren immer die Wartezeit: Wenn es heißt „21 Tage“, respektieren wir diese drei Wochen Wartezeit, und wir fangen nicht an, Äpfel vor dem Ende der dreiwöchigen Wartezeit zu pflücken. Jedes Spritzen wird mit zusätzlichen Informationen erfasst.
Abteilung für Genetische Ressourcen und Sortengarten, Institut für Gartenbau und Blumenzucht, Skierniewice, Polen
Grzegorz Hodun: In letzter Zeit war das größte Problem der Feuerbrand, der sich durch die Klimaerwärmung weiter ausbreitet. Wenn die Winter nicht kalt genug sind, schaffen es die Krankheiten, den Winter unbeschadet zu überstehen. Sobald die Pflanze infiziert wird, kann sie sehr schnell eine schwarze Verfärbung entwickeln, und ihre jungen Triebe beginnen, in der Form einer Leier oder eines Spazierstocks nach unten zu hängen, das sind die wichtigsten Symptome. Außerdem erscheint normalerweise ein geringfügiges Austreten von Flüssigkeit an der Stelle, wo die infizierten und die gesunden Gewebe aufeinander treffen. Die Krankheit war in Polen vor zwanzig oder dreißig Jahren praktisch unbekannt, aber sie tritt im Moment immer häufiger in Obstanlagen auf und tötet die Bäume völlig ab. Es gibt ein paar Sorten, die weniger anfällig sind, aber soweit ich weiß, ist keine Sorte völlig resistent. Die Sorte Tschechischer Topaz kann zum Beispiel erfolgreich ohne Pflanzenschutzmittel gegen den Schorf angebaut werden. Natürlich müssen einige kleine Schutzmaßnahmen eingesetzt werden. Kupfersulfat[14] ist beispielsweise zugelassen und weit verbreitet. Die Verwendung von Bordeauxbrühe[15] ist in Polen verboten, aber nicht in Westeuropa, wo Biohöfe sie mit Erfolg anwenden, da sie bei der Begrenzung von Schorf-Infektionen effektiv ist.
Bio-Hof Bölingen, Grafschaft, Deutschland
Bert Krämer: Man unterscheidet einmal beim Apfel in der Regel eine Sorte, und dann gibt es noch verschiedene Typen. Die Typen haben eine etwas andere Färbung. Der ist jetzt zum Beispiel rot gestreift. Gerade beim Fuji gibt es ganz unterschiedliche Typen. Der Fuji, den wir angebaut haben, das ist eine empfindliche Sorte. Das bedeutet, dass wir gerade im biologischen Anbau sehr aufmerksam sein müssen, weil wir mit unseren harmlosen Pflanzenschutzmitteln zur richtigen Zeit kommen müssen. Wir haben oft nicht mehr als vier bis sechs, sieben Stunden Zeit, um gegen einen bestimmten Pilzerreger oder Schädling was machen zu können. Fuji ist also eine Sorte, die beim Kunden zwar sehr gut ankommt, die wir aber am liebsten aus unserer Bioanlage wieder raus hätten. Es gibt nur nichts Resistentes im Augenblick, was an den Geschmack und die Lagerbarkeit herankommt. Wir arbeiten sehr gern mit widerstandsfähigen Sorten wie Elise oder Pinova, zum Beispiel. Wir arbeiten mit Pflanzenschutz, der im Endeffekt in der Natur auch vorkommt. Wir nehmen keine künstlich-synthetischen Mittel.
Antje: Was wäre das zum Beispiel?
Bert Krämer: Das könnte ein Rindenextrakt sein, NeemAzal®[16], zum Beispiel, gegen Läuse; wir arbeiten mit Schwefel, was als elementares Element in der Erde vorkommt, gegen Pilzkrankheiten; wir arbeiten mit Algen usw.; oder es wird mit Gesteinsmehlen eine Schale leicht verletzt, dadurch baut der Apfel eine eigene … – nicht Resistenz, aber eine eigene Widerstandsfähigkeit auf. Dadurch ist die Schale im biologischen Anbau oft ein bisschen dicker, aber weniger attraktiv für eine Laus, zum Beispiel, oder ein anderes Insekt. Genauso ist es mit Pilzen an Blättern, dass wir durch Gesteinsmehle oder andere Mittel die Zellstruktur etwas festigen, dadurch ist es weniger interessant für Pilze, dort einzudringen. Gleichzeitig arbeiten wir mit Mitteln, die unterschiedliche pH-Werte haben, wo wir einfach ein Milieu schaffen, wo ein Pilz sich nicht so gerne niederlässt.
Abteilung für Genetische Ressourcen und Sortengarten, Institut für Gartenbau und Blumenzucht, Skierniewice, Polen
Grzegorz Hodun: Wenn es um Obstbau geht, wird derzeit der Einsatz von Chemikalien überall auf der Welt reduziert. Daher stellt sich die Notwendigkeit, andere Methoden zu verwenden, die den Bauern erlauben, Früchte von guter Qualität anzubauen. Hier nutzen wir verschiedene Ansätze, vor allem agrotechnische, aber auch über die Auswahl von Sorten, denn es ist wichtig, nur Sorten anzubauen, die gegen Krankheiten sehr widerstandsfähig sind. Alte Sorten sind in dieser Hinsicht sehr wichtig, da sehr viele von ihnen, die von Amateuren in häuslichen Obstgärten angebaut werden, frei von Apfelschorf[17] sind. Dies ist ein Ergebnis der Anbaumethoden, denn wenn wir uns Bäume in Obstplantagen anschauen, wird da in der Regel nur eine Sorte in sehr großen Mengen angebaut, und das führt zur Ausbreitung von Schädlingen und Krankheiten. Wenn wir dagegen einen Blick auf Streuobstwiesen werfen, dann bestehen sie oft aus zahlreichen Sorten und Arten, und damit haben Krankheiten mehr Schwierigkeiten, sich zu verbreiten. Außerdem werden auf Obstplantagen kurze Bäume eingesetzt. Das macht sie anfälliger dafür, mit Schorf infiziert zu werden, da Schädlinge einen besseren Zugang zu den Blättern haben als bei größeren Bäumen, wo die niedrigsten Zweige erst nach etwa 2 m der Stammhöhe beginnen, oder sogar noch höher.
Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Pillnitz, Deutschland
Dr. Henryk Flachowsky: Der Obstbau selbst fährt ein sehr gutes Management. Die wissen, dass man eine resistente Sorte nicht anbaut, ohne zu spritzen. Sondern man schützt die Resistenz, indem man die Ausbreitung neuer Rassen verhindert. Nichts ist schädlicher als eine Obstwiese, wo einer viele Sorten anbaut, die Einfachresistenzen haben, die anfällig sind; und die noch in einem Mix anbaut. Denn dann haben Sie den Fall: Sie haben eine Sorte, die hat ein Resistenzgen, und Sie haben eine zweite Sorte, die hat ein zweites Resistenzgen. Die Schorfrassen können sich weder auf der einen noch auf der anderen entwickeln. Aber auf der einen können die wachsen, die im Prinzip dieses Resistenzgen gebrochen haben. Auf der anderen können die wachsen, die das andere Resistenzgen gebrochen haben. Und beide Rassen können sich auf der anfälligen Apfelsorte treffen. Dort kommt es zu sexuellem Austausch und zur Schaffung neuer Rassen, die beide befallen können! Also, eine Streuobstwiese, die einen Mix von solchen Sorten anbaut und die unbehandelt ist, ist für die Entwicklung von neuen Rassen ein Horrorszenario. Durch große Obstsammlungen, die ungepflegt sind, schaffen wir uns selber Probleme. Das ist so.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Eckart Brandt: Natürlich ein toller Apfel! Sie haben ja gesehen, wie doll der andere eben von Schorf befallen war, und diesem hier, dem fehlt gar nichts. Hat genau die gleichen Bedingungen gehabt. Und manche können das und manche nicht. Es sitzt sozusagen in den Genen drin, ob ein Apfel empfindlich oder nicht empfindlich ist. Dieser hier, Prinz Albrecht von Preußen – oder Albrechtsapfel hieß er in der DDR –, der hat anscheinend so ein gutes Abwehrsystem, dass ihm auch ein Jahr wie dieses, wo Pilzkrankheiten wirklich überall verbreitet waren und selbst dem Erwerbsobstbau das Leben schwer gemacht haben, überhaupt nichts ausmacht. Da können die Schorfsporen herumfliegen oder die Krebskeime usw., und den ficht das nicht an. Man muss eigentlich, wenn man mit alten, oder überhaupt mit Apfelsorten umgehen möchte, von dem Sortiment ausgehen, das von Natur aus vital und robust ist. Wenn man diese ganzen modernen Sorten nimmt, die im Erwerbsobstbau gang und gäbe sind, dann wird den armen Käufern dieser Bäume häufig eben nicht erzählt, dass sie in Wirklichkeit das Chemiepaket mitkaufen müssten, denn sonst geht es nicht. Die Sorten stammen von höchstempfindlichen Muttersorten ab, Golden Delicious zum Beispiel.
Antje: Können Sie mal ein paar Sorten nennen, die vom Golden Delicious kommen?
Eckart Brandt: Ja, es stammt eigentlich fast alles vom Golden Delicious ab. Ein Kollege von mir hat jetzt mal Stammbäume der modernen Apfelsorten aufgezählt und ist bis zu den Urgroßeltern zurückgegangen. In manchen modernen Sorten ist der Golden Delicious drei-, vielmal eingekreuzt, immer wieder, in jeder Generation wieder. Bei manchen merkt man das ja noch am Namen. Jonagold ist natürlich Jonathan mal Golden Delicious. Beim Elstar sieht man es nicht. Das ist aber auch Golden Delicious mal Ingrid Marie. Und diese ganzen modernen Sorten, wie Rubinette oder Royal Gala usw. – überall steckt das mit drin.
Antje: Und der Golden Delicious, wo kommt der eigentlich her?
Eckart Brandt: Das ist ja eigentlich auch eine alte Sorte.[18] Es heißt nicht, dass alle alten Sorten nur toll und unempfindlich waren. Der kommt eigentlich aus Amerika. Man hat ihn natürlich nicht zu einem der wesentlichen Stützpfeiler des modernen Sortiments gemacht, um die Obstfreunde zu ärgern, sondern man hat ihn deswegen so gern genommen, weil er so unendlich fruchtbar war. Es gibt hier alte hiesige Sorten, wie den Seestermüher Zitronenapfel[19], der hält ertragsmäßig locker mit dem Golden Delicious mit. Und dem fehlt gar nichts. Warum hat man denn solche Sorten nicht genommen, um weiter zu züchten? Da war einfach meiner Meinung nach auch durchaus ein Interesse von bestimmter Seite dahinter, dass man, wenn man solches Material nimmt, natürlich ganz schön Geld dran verdienen kann. Dass man dann den Obstbauern tonnenweise die Pestizide verkaufen kann über Jahrzehnte. Das ist doch ein richtig interessanter Markt gewesen. Es ist so naheliegend, und es ist ja auch das, was immer noch gemacht wird. Wenn wir in die „Dritte Welt“ gehen, erzählen wir den Leuten auch: „Tut mal eure alten, robusten Landsorten weg. Die bringen ja nicht genug. Wir haben hier viel ertragreichere und besser verkaufbare Sorten. Müsst ihr natürlich ein bisschen mehr düngen und ein bisschen spritzen usw.“ … Und warum soll es hier nicht genauso gelaufen sein? Ich kann mir das gut vorstellen. Hier haben die wahrscheinlich geübt, bevor sie den Rest der Welt erobert haben.
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Antje: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Golden Delicious sich so durchgesetzt hat?
Markus Kobelt: Das ist ein guter Apfel. Wenn Sie züchten, dann stellen Sie fest, dass es unabhängig von der Qualität des Apfels, der Eltersorte selber, Äpfel gibt, die gute Eigenschaften gut vererben. Es gibt auch solche, die gute Eigenschaften schlecht vererben, auch wenn sie selber gut sind. Bei den Menschen ist es so viel anders nicht. Golden Delicious hat viele gute Eigenschaften: Es ist die Lagerfähigkeit, es ist die Textur, auch die Aromastoffe. Der vererbt das sehr gut, und darum ist er in vielen Sorten drin. Das ist nichts grundsätzlich Schlechtes. Da ist nichts dagegen zu sagen. Wenn es zu einseitig wird, ist etwas dagegen zu sagen. Beim Golden Delicious war es eben so, dass er in den 1970er- und 1980er- Jahren überangebaut wurde. Nicht von ungefähr hieß er „Grüner Schrecklicher“ in der ehemaligen DDR, weil er halt einfach da nicht schmeckt. Aber er wenn Sie einen Golden Delicious von den Hängen im Südtirol essen, ist das noch heute einer der drei, vier besten Äpfel, die es überhaupt geben kann.
Antje: Aber er ist sehr anfällig, braucht viel Chemie.
Markus Kobelt: Natürlich. Klar. Ja, einerseits von Haus aus. Zweitens gibt es ja den Effekt der Monokultur. Wenn Sie eine Sorte haben, die sehr stark angebaut wird, dann können sich ja auch die Pathogene darauf spezialisieren. Es ist unglaublich, was dieser Effekt ausmacht. Und von daher ist er sehr anfällig. Übrigens Gala auch. Aber wissen Sie, vor zwanzig, dreißig Jahren, als ich im Obstbau begonnen habe, war Gala nicht so verrückt anfällig.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Antje: Sie verwenden hier gar keine Pflanzenschutzmittel, oder?
Eckart Brandt: Nein, das hab ich nicht die Absicht, noch jemals wieder anzufangen. Das ist ja meine Art von Härtetest, sozusagen. Was machen die denn, wenn sie keinen Stoff kriegen? Überleben die das?
Er hält einen wunderschönen Apfel hoch.
So „darf“ ein Apfel nicht aussehen, wenn er keinen Pflanzenschutz gekriegt hat in einem Schorfjahr. So sieht er aber aus. Das ärgert mich dann, wenn die Leute anfangen, auch noch Unwahrheiten zu verbreiten. Dass dann von Seiten des interessierten Erwerbsobstbauers ganz nüchtern gesagt wird: „Ohne Pflanzenschutz kann man kein Tafelobst erzeugen.“ – Es ist doch eine Lüge! Eine Frechheit ist das! Sie sind so, wie sie sind. Haben das gar nicht nötig.
Industrieller Apfelanbau, Michrow, Polen
Antje: Was sind Ihre Hauptprobleme beim Anbau von Äpfeln?
Marian Orzeszek: Es gibt eine Menge Arbeit: Bodendüngung, Blattdüngung, Ausdünnung der Krone – obwohl Regalis verwendet wurde, muss die Ausdünnung in der Sommersaison wiederholt werden. Manchmal, wenn es nicht funktioniert hat, dann muss manuell beschnitten und ausgedünnt werden. Und dann das Spritzen gegen Krankheiten – das alles zusammen ergibt sehr hohe Kosten für die Herstellung von einem Kilogramm Äpfel. Ich habe nicht nachgerechnet, aber jemand hat es mal gemacht, und offenbar betragen die Kosten für alle Aktivitäten im Zusammenhang mit der Produktion von Äpfeln rund 1,16 PLN. Der Preis für ein Kilogramm Äpfel für den Export ist 1,00 PLN bis 1,10 PLN. Nach drei bis vier Jahren mit solchen Preisen können wir unser Geschäft aufgeben. Nun, die letzten Jahre waren ganz okay, man konnte Geld in den Betrieb investieren, aber dieses Jahr ist sehr schlecht. Es ist wegen der schlechten Exporte. Wir wissen nicht, wie es enden wird. Russland droht, ein Embargo für polnisches Obst und Gemüse zu verhängen, und wenn sie das tun – werden wir untergehen. Wir haben noch viele Produkte, die hier in Polen gelagert werden. Angela Merkel ist schlauer als unser Premierminister. Merkel treibt diesen Winzling von Tusk an, während sie ihren Job macht, und er lässt seinen Säbel rasseln. Wofür dieses Säbelrasseln? Das ist die Wahrheit. Wer hat Angst vor Angela Merkel? Niemand hat Angst vor ihr, es gibt nur größere Mächte als Polen, auch größere Volkswirtschaften, und heute ist die Wirtschaft das einzige, was zählt. Niemanden in Westeuropa kümmern die Ukrainer. Aber jeder kümmert sich um den Handel. Ich denke, Wirtschaftsbeziehungen und Handel sollten über Ärger und Groll stehen. Und was haben wir stattdessen: gegenseitige Beschimpfungen, beleidigen und beleidigt werden; Abschalten der Gashähne, Exportverbote …
Aleksandra: Und wenn Sie Ihre Früchte nicht verkaufen können, was wollen Sie damit machen?
Marian Orzeszek: Ich weiß es nicht, es gab noch kein Jahr, in dem ich nicht verkaufen konnte. Aber in diesem Jahr weiß ich nicht, was passieren wird. Wir könnten gezwungen sein, Äpfel bis zum nächsten Jahr zu lagern.
Antje: Wie lagern Sie Ihre Äpfel? Wenden Sie das Verfahren mit der Sauerstoffreduktion an?
Marian Orzeszek: Ja, sie sind in einem Kühlhaus mit kontrollierter Atmosphäre, sodass Sie sie leicht lagern können, so lange Sie wollen. Sie müssen nur im Kopf behalten, dass das zusätzliche Stromkosten sind. Frische Früchte können sieben bis acht Monate lang gelagert werden, das bedeutet jedoch eine zusätzliche Ausgabe. Sie müssen eine anaerobe Atmosphäre schaffen, in der der Sauerstoffgehalt niedrig ist, von 1 % bis 1,5 %. Unter solchen Bedingungen kann Kohlendioxid sehr gefährlich für Äpfel sein und Schäden verursachen. Es gibt mehrere Verfahren, Kohlendioxid aus dem Kühlhaus zu entfernen. Die einfachste und häufigste ist die, sogenanntes trockengelöschtes Kalkhydrat (Ca(OH)2) in den Lagerraum zu legen. Dann wird der Kalk nach den Prinzipien der Kohlendioxidabsorption zu Kreide. Eine chemische Reaktion findet statt, und es wird Kreide daraus.
Bio-Hof Bölingen, Grafschaft, Deutschland
Bert Krämer: Das Normale, wie man einen Apfel haltbar macht, ist allein über Feuchtigkeit und über Temperatur. Ein Apfel liegt am besten bei circa 2 Grad, 1,5 Grad, und bei einer sehr hohen Luftfeuchtigkeit. Damit bekommt man die meisten Sorten über Monate hin sehr gut frisch gehalten. Seit einigen Jahrzehnten kann man auch in gasdichten Räumen den Sauerstoffgehalt auf 2 % runternehmen, dadurch kommt der Apfel in einen Tiefschlaf, und wenn er dann aus dem Kühlraum rauskommt, ist er die ersten Wochen erst mal fast frisch, wie frisch vom Baum. Es gibt seit einigen Jahren ein Mittel, das beim konventionellen Anbau zugelassen ist, was in die Kühlräume mit eingeblasen wird: Das ist ein Ethylenprodukt[20], das den Apfel deutlich länger knackig hält, das allerdings im Endeffekt eine leichte Anreicherung auch im Apfel verursacht, was im biologischen Anbau auf jeden Fall verboten ist. Fuji haben wir gewählt, weil er sehr lange lagerbar ist, und auch mit diesen einfachen Bedingungen, wenig Sauerstoff und gute Temperatur, bis in den April rein frisch und knackig bleibt. Es geht da eher um die Sorten, die in Deutschland sehr beliebt sind, wie Elstar, die ab Januar schon kritisch werden, wenn sie aus dem normalen oder diesem CA-Lager herauskommen, die werden dann oft begast.
Industrieller Apfelanbaubetrieb, Michrow, Polen
Antje: Könnten Sie nicht Ihre Äpfel für Apfelsaftkonzentrat verkaufen? Die könnten Sie während des ganzen Jahres zu den Sammelstationen bringen, oder nicht?
Marian Orzeszek: Ja, Sie haben recht, das ganze Jahr über; das einzige Problem ist der Preis: 0,20 PLN pro Kilogramm. Das ergibt 200 PLN pro Tonne. Sie können auch sagen, der Preis der industriellen Äpfel liegt jetzt bei 0,20 PLN pro Kilogramm. 20 Groszy pro Kilogramm –das sind die Kosten für das Pflücken der Äpfel, von anderen Kosten ganz zu schweigen. Selbst die schorfresistenten Apfelplantagen, die Industrieäpfel produzieren, müssen Pflanzenschutz anwenden, sonst wächst da nichts. Die Bäume werden entweder durch Apfelschorf oder Apfelblütenstecher befallen. Damit etwas wächst, muss man Dünger verwenden. Und alle Kosten summieren sich auf rund 1,16 PLN … Wenn ich angestellt wäre, würde ich eine bestimmte Menge Geld verdienen. Niemand berücksichtigt, dass ich richtiges Geld verdienen würde, wenn ich von 7 Uhr bis 14 Uhr oder 16 Uhr arbeiten würde. Und hier arbeiten wir rund um die Uhr, von 6 Uhr bis 6 Uhr. Ich habe kein Auge zugetan seit gestern, weil ich die ganze Nacht in Bronisze war. Ohne zu schlafen …
Aleksandra: Was haben Sie denn da gemacht?
Marian Orzeszek: Ich habe versucht, Äpfel verkaufen, aber ohne Erfolg. Sie könnten hinfahren. Es ist der größte Großhandelsmarkt in Polen.
Aleksandra: Wer sind diese Leute, die in Bronisze einkaufen? Sind das Markthändler?
Marian Orzeszek: Das sind Leute, die in Läden verkaufen, auf Märkten und Marktplätzen. Es gibt Litauer, Letten, Weißrussen, Ukrainer. Russen kommen auch. Ich habe seit einiger Zeit keine Russen mehr gesehen, aber Russen kamen in Lkws und haben verschiedene Produkte gekauft.
Ein alter Landarbeiter bringt ein paar Äpfel für uns.
Marian Orzeszek: Das da drüben sind Industrieäpfel. Nicht für den Export geeignet. Dieser Apfel hat nicht die entsprechende Größe und Farbe, deshalb wird er an einer Sammelstation verkauft, um zu Saftkonzentrat verarbeitet zu werden.
Aleksandra: Sind diese Äpfel aus der letzten Saison?
Marian Orzeszek: Ja, aus dem letzten Jahr. Das hier ist ein Cortland-Apfel. Im vergangenen Jahr hat es stark gehagelt, und hier haben wir Äpfel, die durch Hagel beschädigt wurden. Sie sind auch für den polnischen Markt nicht geeignet; auch wenn sie nicht giftig sind, wollen polnische Kunden keine hässlichen Äpfel kaufen.
Antje: Und was ist das für eine Apfelsorte?
Marian Orzeszek: Das ist Lobo. Das sind die kleinsten Äpfel. Die Äpfel Größe 7 cm und 7,5 cm wurden entweder auf dem Inlandsmarkt verkauft oder exportiert. Der Rest wird eingefroren. Heutzutage kauft jeder mit seinen Augen. Die Früchte müssen schön und gut geformt sein.
Antje: Könnte ich einen haben, bitte?
Marian Orzeszek: Bitte nehmen Sie sich einen Tafelapfel. Bogdan! Bogdan! Hast du noch ein paar Tafeläpfel? Hol ein paar schöne, feste, knackige Champion-Äpfel und ein paar nette Lobo und bring sie für unsere Gäste.
Er gibt uns ganze Kisten mit Äpfeln als Geschenk.
Aleksandra: Aber meine Herren, das ist viel zu viel für uns.
Marian Orzeszek: Ihr könnt es unter euch teilen.
Bio-Hof Bölingen, Grafschaft, Deutschland
Bert Krämer: Es gibt diese Handelsklassen, die teilweise aber abgeschafft worden sind. Handelsklassen sind sowieso nur eine Einrichtung, die der Handel haben will. In Italien und Frankreich wird auf den Märkten in der Regel gar nicht nach Handelsklassen verkauft, weil der Verbraucher gern mal einen kleineren oder einen größeren hat. Die Handelsklassen sind im Endeffekt nur dafür da, dass alles einheitlich aussieht und sich der Handel darauf verlassen kann, was er kauft. Der Verbraucher sieht ja zum Schluss das Produkt und will es kaufen. Es gibt diese Übergrößen: 80+, 8 cm im Durchmesser, das ist ein Apfel, an dem man schon richtig essen muss. In Deutschland sind die 65er bis 75er die beliebtesten Äpfel von der Größe her, für Kinder vielleicht ein bisschen kleiner. Aber je größer ein Apfel ist, umso eher ist er auch ein bisschen weicher in der Zellstruktur, weil die einzelne Zelle einfach ein bisschen größer ist, und das ist in Deutschland auch nicht so gewollt. Übergrößen sind deshalb in Deutschland sehr unerwünscht.
Grundsätzlich ist es so, dass es auf der Welt ganz unterschiedliche Ansprüche an Äpfel gibt. In Russland muss es ein roter, glänzender, großer Apfel sein. In Asien muss es eine Übergröße sein, da werden Äpfel oft am Baum eingetütet, damit sie nicht von Schädlingen und Pilzen befallen werden, und damit wenige, aber sehr große Äpfel am Baum erhalten bleiben. Nur in Mitteleuropa und Skandinavien gibt es den Apfelgeschmack süß-säuerlich, der wirklich beliebt ist. In allen anderen Regionen ist es der süße Apfel. Und damit ein Apfel wachsen kann, braucht man immer einen Winter. Das heißt: Wo es keinen Winter gibt, gibt es oft nur ein, zwei Sorten, und da ist es meist ein roter, polierter Apfel, der leuchtet, und ein grüner, damit man farblich was unterscheiden kann.
Apfelgalerie, Berlin, Deutschland
Caty Schernus: Das ist der Glockenapfel – mit einer Glockenform, daher der Name. Zum Kochen und Backen sehr gut geeignet, oder für Leute, die wirklich einen säuerlichen Apfel mögen. Viele bemängeln das, dass es gar keinen säuerlichen Apfel außer dem Boskop mehr gibt. Deshalb ist der Glockenapfel beliebt, aber man sieht schon: Der wird sehr groß. Da sind die Kunden dann oft skeptisch: „Warum ist der so groß? Ist der so gedüngt worden?“ Aber es gibt einfach Sorten, die bleiben klein, und es gibt Sorten, die werden groß. Es ist nicht immer alles nur Mittelmaß, so wie die Ware im Supermarkt.
Binder International, Smaki Tarczyna Factory / Apfelsaftfabrik, Tarczyn, Polen
Robert Pierściński: Die verarbeitende Industrie verwendet nur etwa 20–30 % der Äpfel, die in Polen angebaut werden. Die Bauern wollen ihre Ernte direkt an den Verbraucher verkaufen. Daher versuchen sie ständig, neue Apfelsorten zu verbessern und zu entwickeln, die dem Geschmack der Verbraucher mehr entsprechen, auch effizienter anzubauen sind und eine gleichbleibende Qualität haben. Wir, als Produzenten von Fruchtkonzentrat, verwenden Äpfel, die für den direkten Verkauf an Verbraucher angebaut wurden, aber nicht den Qualitätsansprüchen genügen, die damit verbunden sind. Die heutige Produktion von Apfelkonzentrat – in Höhe von hunderttausend Tonnen – wird zu 99 % aus Äpfeln hergestellt, die für den direkten Verzehr angebaut wurden. Wir bekommen die Reste, die die Supermärkte und anderen Geschäfte nicht wollen.
Robert Pierściński: Die Äpfel, die wir benutzen, sind nicht so gut wie die anderen, aber das bedeutet nicht, dass sie von geringer Qualität sind. Es ist offensichtlich, dass die Äpfel, die in Supermärkten verkauft werden, gut aussehen müssen, rund sein sollen, keine Verfärbungen aufweisen, etc. Unsere Äpfel sind vollkommen in Ordnung, sie enthalten keine gesundheitsgefährdenden Substanzen, Toxine oder was auch immer. Es ist nur so, dass ihre Form nicht für den Geschmack des Verbrauchers geeignet ist.
Adam Miłoszewski: Unsere Anlage bekommt ihre Äpfel von Obstplantagen, die sich in drei oder vier Gemeinden in der Nähe befinden. Wenn es einen Mangel an Äpfeln in der Region gibt, beispielsweise wegen Frostschäden, sind wir manchmal gezwungen, Äpfel aus anderen Regionen des Landes anliefern zu lassen oder sogar aus anderen Ländern zu importieren.
Die meisten Saftfabriken in Polen sind in ausländischem Besitz, vor allem von westeuropäischen Unternehmen, und die meisten ihrer Produkte werden auf westeuropäischen Märkten verkauft. Dieses Unternehmen hier gehört Markus Binder. Es ist ein deutsches Unternehmen. Wir sind ein Teil der Gruppe Binder International Warszawa, einer Tochtergesellschaft der Binder International. Alle Produktionsstätten des Unternehmens befinden sich in Polen. Unsere Anlage hier in Tarczyn produziert ausschließlich Fruchtsaftkonzentrat.
Robert Pierściński: Unser Verkaufsmodell ist ein business-to-business (B2B)-Modell. Ein Tanker kommt in unser Werk, wo er mit Konzentrat gefüllt wird, und dann fährt er in eine Fabrik, in der das Konzentrat verwendet wird, um Fruchtsaft zu machen; die Art von Fruchtsäften, die in Ihrem lokalen Lebensmittelgeschäft erhältlich ist.
Antje: Wie viel Apfelsaft produzieren Sie hier?
Robert Pierściński: Die Menge an Konzentrat, die in unserem Werk hergestellt wird, hängt von den Bedingungen während der Vegetationszeit ab. Der jährliche Durchschnitt von verarbeitetem Obst reicht von 65.000 bis 75.000 Tonnen. Wir sind in der Lage, jährlich zehntausend Tonnen Apfelsaftkonzentrat zu produzieren. Die Technologie, die uns zur Verfügung steht, ermöglicht es uns, mit 7 kg Äpfeln 1 kg Konzentrat zu produzieren. Aber wenn wir das Konzentrat verwenden, um Fruchtsäfte zu produzieren, sind etwa 1,1 kg Früchte genug, um 1 kg oder 1 Liter Saft zu machen.
Wir arbeiten sowohl mit Eigentümern von Obstplantagen zusammen als auch mit Sammelstationen. Die Sammelstationen kaufen Produkte von den Landwirten und übernehmen dann die Verteilung. Etwa 50 % der Äpfel stammen aus solchen Stationen.
Adam Miłoszewski: Aus Gründen der Logistik sind wir praktisch gezwungen, von Sammelstationen zu kaufen. Wenn wir direkt vom Bauern kaufen wollten, dann müssten wir alle ihre Lieferungen hier annehmen, und das würde dazu führen, dass alles länger dauert, denn sie würden mit Lieferungen von 2 bis 5 Tonnen Äpfeln ankommen, während Lastwagen, die von den Sammelstationen Lieferungen machen, 25 bis 28 Tonnen liefern können. Unsere Anlage kann Lieferungen von etwa 1000 Tonnen Äpfeln pro Tag annehmen. Wenn jeder Landwirt 2 bis 5 Tonnen Äpfel liefert, dann würde ich mich mit zweihundert Bauern täglich beschäftigen. Supermärkte arbeiten direkt mit Bauernverbänden, von denen sich viele seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union gegründet haben. Sie bestehen aus gut organisierten Unternehmen, die EU-Mittel verwendet haben, um innovative Lagerhallen zu bauen. Sie haben die weltweit modernsten Obstsortieranlagen installiert.
Robert Pierściński: Im Fall von Apfelsaftkonzentrat ist ein gewisser Trend in den letzten Jahren sichtbar – der Preis hängt nicht von der Ernte in einem bestimmten Jahr ab, sondern wird von den Käufern, das sind in den meisten Fällen die Supermärkte, festgesetzt. Die diesjährige Ernte war 20 bis 30 Prozent niedriger als im Vorjahr, aber der Preis für Saftkonzentrat ist jetzt niedriger als damals, trotz der Rekordernte des Vorjahres. Das könnte ein Einfluss der anhaltenden Finanzkrise sein. Supermärkte wollen die Preise nach unten treiben, um den Umsatz zu steigern, und das zwingt uns, ihnen zu folgen. So sind die Preise für Fruchtkonzentrat niedriger, als wir erwartet hatten. Fruchtsafthersteller sind in der Lage, ihre Rezepte recht schnell zu ändern, aber polnische Äpfel sind schwer, zum Beispiel, durch chinesische Äpfel zu ersetzen. Polnische Äpfel sind im Durchschnitt 3 % sauer, während chinesische Äpfel nur 2 % sauer sind, was die Eigenschaften des Konzentrats ändert. Aber Fruchtsafthersteller sind dennoch in der Lage, ihre Rezepte zu ändern. Sie können polnisches Konzentrat mit einem im Ausland hergestellten ersetzen. Alles in allem haben europäische Safthersteller Zugang zu zwei Quellen von Apfelsaftkonzentrat – aus Polen und China.
Adam Miłoszewski: Eine weitere Frage, die wir erwähnen sollten, sind die rückläufigen Verkäufe an reinen Fruchtsäften, während der Marktanteil von Fruchtgetränken und Mineralwasser wächst. Außerdem gibt es aromatisierte Mineralwasser, und das Wasser mit Apfelgeschmack schluckt wahrscheinlich einen Anteil am Verkauf von reinem Apfelfruchtsaft, da es einen ähnlichen Geschmack hat.
Robert Pierściński: Aber gleichzeitig haben wir festgestellt, dass der Verkauf von Direktsäften wächst. Sie sind trübe, nicht so stark verarbeitet wie andere Fruchtgetränke. Sie haben mehr Nährwert, einen besseren Geschmack, enthalten mehr Vitamine, Spurenelemente und Ballaststoffe. Wir sollten zwischen den beiden Arten von Saft, die auf dem Markt verfügbar sind, unterscheiden. Diese sind: konzentratbasierte Säfte und Direktsäfte – „NFC“ steht für „not from concentrate“. Der Saft wird gepresst und abgefüllt, ohne weitere Verarbeitung dazwischen, sodass der Saft oft trüb ist.
Antje: Ich dachte gerade, dass Sie in Polen heute den Arbeitern mehr bezahlen müssen, weil Polen im Allgemeinen jetzt viel besser dasteht als noch vor einigen Jahren; und wenn Sie nun in Konkurrenz zu China stehen, wo die Arbeiter immer noch sehr billig sind, müssen Sie wahrscheinlich neue Wege finden, Geld zu verdienen – vielleicht könnte der Direktsaft neue Verbraucher erreichen. Ich weiß nicht, ob ich Recht habe …
Robert Pierściński: Zunächst einmal müssen wir deutlich machen, dass das in China hergestellte Fruchtkonzentrat schon seit zwei Jahren nicht mehr billiger als unser Inlandsprodukt ist. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall – das chinesische Konzentrat ist teurer. Chinesische Hersteller haben es in den letzten zwei Jahren schwer, ihr Konzentrat an europäische Käufer zu verkaufen. Die Menge von Äpfeln für die Herstellung von Konzentrat ist gesunken, und der Preis von Äpfeln auf dem chinesischen Markt ist gestiegen, weil die Chinesen mehr frisches Obst essen. Somit ist der Preis von in China hergestelltem Apfelsaftkonzentrat auch aufgrund der Knappheit des lokalen Apfelangebots spürbar gestiegen.
Antje: Das macht Sinn, denn ich war gerade in China und habe überall neue Obstgeschäfte gesehen – Obst mit sehr hübsch aussehenden Verpackungen aus Kunststoff, das tatsächlich sehr teuer ist. Das ist die neue Mode, Obst zu kaufen. Wenn Sie jemanden besuchen, werden Sie jetzt Obst mitbringen, das gab es dort vor drei Jahren noch nicht. Und ich habe meine Freunde gefragt, seit wann sie diese Obstläden haben. Die gibt es seit zwei Jahren, meinten sie.
Robert Pierściński: Darum sind ihre Konzentrate teurer geworden: wegen der Kosten des Rohmaterials. Auch wenn der Preisunterschied nicht so groß ist, müssen Sie ihn mit einem Faktor von 7 multiplizieren. Dann wird der Unterschied signifikant, selbst wenn alle anderen Herstellungskosten die gleichen bleiben.
Wir sind Teil der KUPS – der Polnischen Vereinigung der Safterzeuger, deren Mitglieder sich aus Vertretern der größten Apfelsaftkonzentrathersteller sowie Vertretern der anderen großen Fruchtsafthersteller zusammensetzen. Der Verband koordiniert die Bemühungen um eine Standardisierung der Beziehungen zwischen Lieferanten und Abnehmern sowie die Durchführung von Informationskampagnen für Verbraucher. Dann gibt es noch den Obstverband, ein Zusammenschluss der besten Obstbauern Polens, der Avantgarde der Obstbauern. Er vereint verschiedene Bauernverbände, die sich auf die Ausfuhr ihrer Äpfel auf die osteuropäischen Märkte spezialisiert haben, darunter Länder wie Russland und Kasachstan, aber immer öfter auch die nordafrikanischen und chinesischen Märkte, da China als große Chance für die polnischen Apfelbauern wahrgenommen wird. Zum Obstverband gehören Vertreter der modernsten Obstverarbeitungsanlagen und Obstplantagen, die etwa 70 % der polnischen Apfelexporte verantworten. Sie kooperieren mit dem polnischen Verband für Gartenbau, um neue Märkte zu finden. Dies ist ein neuer Trend, der Polen vom russischen Markt, in den bis jetzt 90 % der polnischen Apfelexporte gingen, unabhängig machen soll. Die Zahl ist in den letzten Jahren auf 70 % gesunken, aber das ist immer noch zu viel.
Industrieller Apfelanbaubetrieb, Michrow, Polen
Antje: Auf einem der Gebäude war ein Schild, das darüber informiert, dass Sie von der Europäischen Union kofinanziert werden …
Marian Orzeszek: Ja, das war die Entscheidung meines Sohnes. Ich habe nie von irgendwelchen EU-Mitteln profitiert. Vielleicht ist es ein Fehler, aber ich habe sie nicht in Anspruch genommen. Es ist alles schon auf meinen Sohn übergegangen, er hat sich um die EU-Mittel beworben. Mein Sohn will als Bauer arbeiten, also habe ich ihm das Land übergeben; er hat einen Master-Abschluss, also ist er wohl klüger als sein Vater. Ich wollte einfach nicht glauben, dass die Europäische Union irgendetwas umsonst gibt, am Ende musst du es zurückzahlen; mein Sohn hat mich überzeugt, dass wir alle zurückzahlen – egal, ob du EU-Mittel bekommen hast oder nicht.
Aleksandra: Wurden die Mittel für Infrastruktur oder für Gebäude verwendet?
Marian Orzeszek: Für Geräte. Er hat einen Traktor und eine Spritzmaschine gekauft.
Antje: Auf dem Weg hierher haben wir einige Plantagen gesehen, die ganz wild und verlassen aussahen. Kennen Sie einige Bauern, die aufgegeben haben?
Marian Orzeszek: Zum Beispiel bei der Plantage dort drüben, da ist ein Mann vor Kurzem gestorben, und mein Sohn kommt nun, um seine Bäume zu schneiden; seine Familie lebt in Warschau. Zwei ihrer Jungs haben Drogen- und Alkoholprobleme, und Sie können sehen, wie alles aussieht. Das ist genau das, was passiert, wenn es keine Arbeitskräfte gibt. Noch vor ein paar Jahren war der Boden fruchtbar, und in den Obstplantagen wuchsen Äpfel, aber jetzt ist es vernachlässigt und heruntergekommen, die ungepflegten Bäume wachsen wild. Es kümmert sie nicht, sie arbeiten nicht – es ist halt, wie es ist. Einige der Besitzer leben auch anderswo, in den Städten Grójec und Tarczyn. Und was auch unfair an dieser Europäischen Union ist: dass man Subventionen pro Hektar bekommt, egal, ob Sie ein Feld bearbeiten oder nicht. Es würde sich lohnen, das herumzuerzählen. Subventionen sollten auf der Produktion und nicht auf dem Land beruhen. Wenn Sie produzieren, bekommen Sie Subventionen – wenn Sie nichts produzieren, bekommen Sie nichts. So wäre es fair. – Diese Plantage dort ist auch ungepflegt. Der Besitzer ist gestorben, er hat eine Witwe mit einem behinderten Kind hinterlassen.
Antje: Wie viele Menschen arbeiten hier in der Obstanlage? Sind alle polnisch?
Marian Orzeszek: Die meisten sind polnisch. Mein Sohn hilft mir, meine Schwiegertochter und meine Frau; wir stellen auch Leute ein, wenn wir es allein nicht schaffen. Wir brauchen eine Menge Leute für die Apfelernte. Normalerweise stellen wir drei Leute ein, und wenn der Export gut geht, können es bis zu sechs Leute werden. Wenn sie jeden Tag arbeiten, verringert sich der Arbeitsaufwand. Aber wir alle müssen hart arbeiten.
Antje: Pflücken Sie die Äpfel manuell oder maschinell?
Marian Orzeszek: Manuell. Alle von Hand. Es hängt von den Wetterbedingungen ab, manchmal haben wir viele Leute, und es gibt keine Arbeit. Und manchmal sind die Leute gut aufeinander abgestimmt, und die Arbeit geht schnell. Es dauert etwa zwei Monate, manchmal auch länger.
Antje: Und können Sie manchmal in Ferien fahren?
Marian Orzeszek: Nein, das ist unmöglich. Mein Sohn fährt manchmal in Urlaub. Ich war in mehreren Ländern, aber die Obstanlage längere Zeit zu verlassen, ist absolut unmöglich. Mein Sohn fährt für eine Woche weg, zehn Tage, dann springe ich für ihn ein und spritze oder tue alles, was nötig ist. Aber alles in allem gibt es kaum Zeit für Urlaub, es gibt immer etwas zu tun. Und wenn Sie ein Spritzen versäumen, wenn Sie nicht sicherstellen, dass Sie den Pilz losgeworden sind und er wiederkommt, kann das die ganze Saison ruinieren.
Antje: Wie wäre Ihrer Vorstellung nach die Situation ideal für die Bauern?
Marian Orzeszek: Nun, es gibt keine ideale Situation, weil man auf jeden Fall arbeiten muss. Ich verlange keinen unverdienten Respekt. Ich will einfach nur wie jeder andere Bürger respektiert werden. Wenn ich in ein Büro oder eine öffentliche Einrichtung gehe, schauen die Leute mich an, als würde ich stören. „Warum bist du hergekommen, du solltest besser nach Hause gehen und uns nicht stören.“ So ist es meistens. In der Regel wird jeder Bauer oder Produzent von Äpfeln, Vieh oder Getreide durch die Stadtbewohner einfach nicht beachtet.
Antje: Das ist nicht nur eine Frage der Ökonomie.
Marian Orzeszek: Hier geht es nicht nur um die Ökonomie, und nicht nur um Polen – ich vermute, dass es auf der ganzen Welt so ist. In der Regel werden Bauern nicht beachtet, es gibt keinen Respekt ihnen gegenüber.
Antje: Obwohl die Stadt ihre Nahrung von den Bauern bekommt …
Aleksandra Jach: Sie können also auf niemanden zählen?
Marian Orzeszek: Nein. Ich muss auf mich selber zählen. Ein Bauer sollte keine Hilfe erwarten vom Staat, von der Regierung und anderen Institutionen. Du musst alleine klar kommen, es zählt nur, dass du billige Lebensmittel produzierst – das war’s. Am schwierigsten ist es, zu verkaufen; zu produzieren ist nicht so schwierig. Es ist teuer, aber man kann immer große Mengen produzieren. Aber den Markt für unsere Produkte zu finden, das ist eine andere Geschichte. Der Bauer kann nichts selbst verkaufen, und was die Regierung angeht – da weiß man nie, ob sie einem helfen wird oder nicht.
Marians Orzeszeks Sohn: Für uns ist der Abnehmer für unsere Produktion das Wichtigste.
Marian Orzeszek: Die Produktion ist, wie man so schön sagt, eine leichte Übung, aber einen Abnehmer zu finden, der unser Produkt zu einem vernünftigen Preis kauft, der ein menschenwürdiges Dasein sicherstellt, das ist das wichtigste Ziel. Wir alle wissen, dass wir im Leben das tun sollten, was wir wirklich lieben, aber es ist gut, wenn das, was du liebst, es dir ermöglicht, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Jeder, der etwas produziert – unabhängig davon, ob er ein Schuster oder ein Schneider ist –, geht doch von folgender Annahme aus: dass man eine faire Bezahlung verlangen kann, wenn man hochwertige Waren produziert. Aber du kannst qualitativ hochwertige Produkte anbauen und sogar einen Verlust erleiden, weil du nicht in der Lage bist, das investierte Kapital wieder reinzubekommen.
Aleksandra Jach: Heute waren wir bei der Warschauer Universität für Biowissenschaften und haben dort über Sorten gesprochen, an denen sie arbeiten, die weniger Chemikalien brauchen. Wären für Sie als Apfelbauer solche Sorten besser und billiger?
Marian Orzeszek: Ja. Es gibt schorfresistente Apfelbäume, und obwohl auch sie einige Chemikalien erfordern, sind es doch 75 % weniger als bei herkömmlichen Sorten wie Lobo oder Cortland – das sind Apfelsorten, die leicht vom Schorf angesteckt werden, und sie brauchen viel Chemie. Aber die schorfresistenten Apfelsorten sind nicht so beliebt, weil sie anders schmecken und aussehen als Tafeläpfel. Wir kämpfen auch darum, so wenig Chemikalien wie möglich zu verwenden, weil es sehr teuer ist. Es wäre von Vorteil, weniger Chemikalien im Produkt zu verwenden und geringere Kosten im Anbau zu haben. Es macht einen großen Unterschied, ob man 5-mal spritzt oder 25-mal.
Antje: In Deutschland gibt es eine wachsende Zahl von Konsumenten, die Bioprodukte kaufen, und es wird deswegen rentabel, sie zu produzieren. Können Sie in Polen einen Markt für Produkte wie Bioäpfel sehen?
Marian Orzeszek: Es gibt ökologische Bauernhöfe, das ist nur ein wenig weit hergeholt, aber sie verwenden keine Chemikalien. Wir können auch sagen, dass wir nur sehr selektive Insektizide verwenden, die nicht sehr stark und nicht giftig sind. Diese selektiven Chemikalien sind nur teurer. Aber in diesen Zeiten, in denen jeder mit den Augen kauft, in denen alles schön geformt sein muss, bunt, schön und glänzend? Bioprodukte werden immer von minderer Qualität sein. Das ist eine Tatsache, und es gibt nichts, was man dagegen tun kann. Wenn du mit biologischen Methoden eine angemessene Menge produzieren willst, musst du wahnsinnig viel an Arbeitskraft einsetzen. Die Arbeit ist teuer, und sie wird gerade sogar noch teurer. Niemand wird dir diese Arbeitskosten beim Kauf eines Produkts zurückzahlen. Ein Bioprodukt muss teurer sein, da die Ernte viel geringer ist. Wir stehen so vielen verschiedenen Bedrohungen gegenüber, so viele Dinge behindern unsere Produktion, dass eine solche biologische Produktion nur für den eigenen Gebrauch angebaut werden kann. Ein kleines Stück Land mit einem kleinen Garten, wo man alles im Blick halten kann, ein bisschen jäten kann usw. … Ökologische Produktion in größerem Maßstab hat, meiner Meinung nach, keine Zukunft.
Lebensmittel-Kooperative Łodz / Kooperatywa Spożywcza w Łodzi, Polen
Alicja Kujawska: Die Bio-Kooperative von Łodz wurde vor drei Jahren gegründet, oder vielleicht sogar vor vier Jahren, aber in den letzten drei Jahren hat sie wöchentliche Treffen organisiert. Im Durchschnitt kaufen dreißig Leute jede Woche ein, aber es hängt von den einzelnen Mitgliedern ab. Einige von ihnen machen den Einkauf einmal im Monat, einige von ihnen einmal in der Woche, aber alles in allem haben wir eine Gruppe von etwa siebzig bis hundert Leuten, die zu verschiedenen Zeiten den Einkauf machen.
Antje: Nehmen wir also den Fall, dass du Äpfel zu Hause haben möchtest. Wie würden die Äpfel in deine Küche kommen?
Marta Dygowska: Durch die Kooperative. Ich kenne eine Frau, die ihren eigenen Obstgarten hat, einen sehr kleinen Obstgarten mit etwa zwanzig Bäumen insgesamt, und sie ist unsere einzige Lieferantin von Äpfeln. Die Äpfel sind verschiedene Sorten, sehr unterschiedlich. Und so funktioniert das einfach.
Aleksandra: Welche Sorten sind das?
Marta: Renetta, Lobo …
Martyna: Es sind Bioäpfel. Wir wollen keine Äpfel mit Pestiziden essen.
Marta: Sie kommen aus einem natürlich angebauten Obstgarten. Unsere Lieferantin hat das sogenannte Öko-Zertifikat, das in Polen ausgestellt wird. Wir schenken ihr volles Vertrauen und sind sicher, dass sie keine Art von Dünger verwendet. Ich rufe sie jede Woche an, um einen Auftrag zu vergeben; ich sage ihr, dass wir 10, 15 oder 20 Kilogramm Äpfel brauchen, und sie bringt sie jeden Donnerstag her. Es gibt keine Zwischenhändler, sie bringt die Lieferungen selbst. Die Äpfel werden dann gewogen und in die Kisten der Leute gelegt, die sie bestellt haben. Die kommen dann, holen ihre Äpfel, bezahlen bei uns und nehmen sie mit nach Hause.
Alicja: Natürlich wird das Wiegen nicht von Elfen erledigt – es sind Menschen aus der Genossenschaft, die Teil des sogenannten Wiege-Teams sind.
Marta: Die Äpfel, die durch unsere Genossenschaft verkauft werden, haben den gleichen Preis wie die in Lebensmittelgeschäften oder auf Obst- und Gemüsemärkten. Wir berechnen keine zusätzlichen Gebühren, sodass der Preis der gleiche ist wie der Betrag, den wir dem Erzeuger zahlen, und im Gegenzug erhalten wir einen lokal angebauten Bioapfel. Der Hauptunterschied ist, dass wir die Mittelsmänner umgehen, sie verdienen kein Geld an uns, sodass alles Geld, das wir einsammeln, seinen Weg zurück zum Hersteller nimmt. Ich denke, das ist wirklich wichtig, da es uns ermöglicht, die kleinsten Bauern zu unterstützen.
Marta: Theoretisch bringt unsere Genossenschaft etwa hundert Leute zusammen, aber nur dreißig von ihnen beteiligen sich aktiv. Viele Menschen kommen leider zu uns, weil sie denken, dass wir eine Art von Internet-Laden sind, der erfordert, dass du die Ware selbst abholst. Sie sehen das Gesamtbild nicht: Damit die Initiative funktioniert, muss jemand tatsächlich die Arbeit tun, weil wir niemanden einstellen, um die Äpfel zu wiegen und alle Produkte vorzubereiten – wir machen das alles selbst. Sie verstehen nicht, dass wir es umsonst tun und kein Geld dafür bekommen.
Alicja: Ja, die Genossenschaft ist der Versuch einer alternativen Ökonomie, die uns in erster Linie auf der Basis von Freundschaft, Vertrauen und Loyalität zusammenbringt, da wir mit der gleichen Gruppe von Bauern und Produzenten jetzt schon seit einigen Jahren arbeiten; da geht es nicht nur um Bauern, sondern auch um Safthersteller beispielsweise, es ist also eine Alternative zu dem System, das Produktionsmittel über den Radius unserer Gemeinde hinaus in Anspruch nimmt. Wir bleiben lokal; wir arbeiten mit Menschen, die in einem Radius von hundert Kilometer von Łodz leben. Mit Ausnahme der Zusammenarbeit mit anderen Genossenschaften – aber das basiert auf dem Konzept, dass Genossenschaften sich gegenseitig unterstützen sollten, auch auf europäischer Ebene.
Antje: Gibt es einen Produzenten, der ein Mitglied dieser Genossenschaft ist? Oder warum wollt ihr den lokalen Bauern helfen?
Alicja: Weil ökologische Landwirtschaft, oder die Landwirtschaft im Allgemeinen, ein sehr riskantes Geschäft in Polen ist. Ökologische Landwirtschaft erfordert, verschiedene Zertifikate einzuholen, die auf jeden Fall nicht auf der billigen Seite sind, und zwingt die Bauern, eine breite Palette von Bestimmungen einzuhalten. Außerdem hat sich herausgestellt, dass die Ökoläden so hohe Aufschläge auf die Waren machen, dass die Bauern nicht in der Lage sind, einen Gewinn zu erzielen, sodass sie auf lange Sicht gezwungen wären, ihre Bauernhöfe aufzugeben. Wir mögen eine kleine Gruppe sein, eine Genossenschaft macht keinen großen Unterschied, aber wir tun unseren kleinen Teil zum Aufbau einer sozial unterstützten Landwirtschaft. Wir fühlen uns für die Bauern, mit denen wir kooperieren, verantwortlich, aus dem einfachen Grund, dass der Aufbau von Beziehungen, die auf gegenseitigem Vertrauen und Loyalität basieren, und in denen sie uns mit frischen Produkten versorgen, von unserer Seite eine Erwiderung erfordert. So bemühen wir uns, den Bauern gegenüber loyal zu sein, die ernsthaft versuchen, unsere Anforderungen zu erfüllen und die Produkte zu liefern, die wir wünschen.
Antje: Glaubt ihr, dass das, was ihr tut, mit Freiheit verbunden ist?
Alicja: Ist das mit Freiheit verbunden? Natürlich erinnert es auch an den Geist der Selbstbestimmung, Unabhängigkeit; das Gefühl, frei von den Läden zu sein, die die Äpfel aus Israel und Spanien importieren, sich aber nicht um die lokalen Bauern kümmern. Das ist von grundlegender Bedeutung.
Martyna: Dies erlaubt es uns auch, die großen Firmen zu umgehen.
Alicja: Außerdem würde ich sagen, dass die Verringerung des Kohlendioxid-Fußabdrucks wichtiger werden sollte, wenn die Welt so weitermacht wie bisher und die Nachfrage nach Öl steigt, beispielsweise. Alle unsere Partner sind nicht weit entfernt.
Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Pillnitz, Deutschland
Dr. Henryk Flachowsky: Ich denke, die Gesellschaft muss sich entscheiden, was sie möchte. Sie möchte auf der einen Seite qualitativ superhochwertige Früchte im Supermarkt kaufen, die eigentlich nichts kosten sollen. Und wenn Sie heute mal in einen Supermarkt gehen, dann finden sie das Kilo Äpfel teilweise für 99 Cent. Dafür muss man Obst produzieren. Und da darf kein Fleck dran sein! Da wird jeder Apfel zehnmal rum- und rumgedreht, weil man nur noch die besten will. Und wenn ich das so produzieren will, dann muss ich auch einen entsprechenden Pflanzenschutz betreiben oder sehr viele Resistenzen in so einer Sorte vereinen. Wenn ich darauf verzichten würde und sage, mit ein bisschen geringeren Qualitätsansprüchen würde ich als Gesellschaft auch klarkommen und wäre bereit, ein bisschen mehr zu bezahlen für das Kilo Obst, dann kann ich durchaus auch mit anderen Sorten produzieren und mit anderen Anbauverfahren. Und dann ist für mich die Frage: Brauchen wir sechs, sieben Sorten, die rund um das Jahr angeboten werden müssen? Muss der Mensch auswählen können zwischen roten, grünen, gelben, großen, kleinen, süßen, sauren, und das 53 Wochen rund um das Jahr? Früher hat man das Obst der Saison gegessen. Da hatten die Bauern an ihren Höfen Gärten. Da gab es Frühjahrs-Apfelsorten, Mittelfrühjahr, späte und sehr späte und Lageräpfel. Damals haben sie versucht, die Saison auszudehnen – mit Hilfe der Vielfalt haben die das gemacht, weil die nicht die Möglichkeiten zur Lagerung hatten, die wir heute haben. Heute produzieren wir große Mengen auf derselben Fläche, möglichst alle mit der gleichen Qualität. Der eine Schalter, an dem wir also drehen können, ist das Bewusstsein der Menschen für Nahrungsmittel, auch die Bereitschaft, Geld auszugeben für Nahrungsmittel. Und das andere ist natürlich, dass wir mit den Verfahren, die wir haben an Züchtung, Pflanzenschutz usw., bessere Produkte schaffen können, wo wir mit weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln vielleicht trotzdem eine recht gute Qualität produzieren können.
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität, Institut für Obstbau
Kamil Jeziorek: In Europa will der Markt nur wenige Sorten. Vielleicht vier Sorten. Nicht mehr!
Prof. Andrzej Przybyła: Das ist eine genetische Erosion. Denn viele haben die gleichen Eltern: Golden Delicious und Cox Orange.
Kamil Jeziorek: Es hängt von den Verbrauchern ab. Wenn der Verbraucher verschiedene Geschmäcker und ökologische Produkte verlangt, kann sich der Markt ändern. Sonst wird jemand anders entscheiden, was der Verbraucher essen wird, und wir werden am Ende nur zwei oder vielleicht drei Sorten haben. Golden Delicious, Gala und vielleicht eine weitere.
Prof. Andrzej Przybyła: Aber einige Leute wollen immer die gleiche Sorte essen, wie Granny Smith, weil sie so schön ist.
Antje: Als ich in Marokko war, sagten mir zwei alten Bauern, dass sie in früheren Zeiten sehr kleine Äpfel angebaut haben, die für die Tajine verwendet wurden, die traditionellen Gerichte, aber nur die alten Leute mögen sie immer noch. Die jungen Leute mögen sie nicht, weil sie zu klein sind, sie sind unmodern. Am meisten in Mode ist der Granny Smith, er kostet doppelt so viel wie die anderen Äpfel, und sie werben damit, dass er schlank macht, dass man Gewicht verliert. Sie verkaufen ihn als Arzneimittel.
- Was ist eigentlich eine Sorte?
Apfelplantage, Ourika, Marokko
Farmer: Der ist nun aufveredelt. Der kann jetzt Früchte produzieren. Dies ist ein Delicious. Und das ist ein Gala. Dies ist ein Golden.
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Institut für Obstbau
Prof. Andrzej Przybyła: Eine „Sorte“ bedeutet „kultivierte Sorte“. Wenn wir Samen von Früchten verwenden, erhalten wir nie Sorten. Wir müssen pfropfen. Das ist die sogenannte Klonierung, weil jede Sorte ein Klon ist.
Wildtypensammlung, Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Pillnitz, Deutschland
Antje: Dass es überhaupt eine Sorte ist, liegt ja nur daran, dass Menschen entschieden haben: „Stopp, den nehmen wir!“
Dr. Monika Höfer: Der wird dann vegetativ, ungeschlechtlich vermehrt. Derselbe Organismus wird also wieder und wieder auf eine andere Unterlage gesetzt.
Antje: Also eigentlich ist das so ein Prozess, wie soll man sagen, des Unsterblichmachens von einem Organismus …
Dr. Monika Höfer: … des Erhaltens. Das ist eben keine Neuzüchtung, sondern es wurde erhalten.
Antje Majewski: Wenn dieser Baum hier aus ihrer Wildartensammlung stirbt, dann ist es halt auch wieder mit der Sorte vorbei?
Dr. Monika Höfer: Nein, denn der ist ja veredelt. Und wenn ich natürlich jetzt sage, ich will den gern erhalten, weil der Ihnen gut schmeckt, oder Vitamine hat, oder Resistenzen hat, dann kann ich den natürlich auch wieder veredeln.
Antje Majewski: Klar. Aber wenn man im Apfelwald wäre, dann wird der Baum irgendwann halt umfallen, und dann wäre es vorbei. Wie beim Menschen …
Dr. Monika Höfer: Ja.
Antje Majewski: Also, ich denk immer, das ist so lustig, als wenn man beim Menschen entscheiden würde: „Genau das Kind ist prima, das behalten wir jetzt über 150 Jahre.“
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Markus Kobelt: Ich habe unsere Baumschule Lubera vor über zwanzig Jahren, 1993, in Buchsen, im St. Galler Rheintal zwischen dem Bodensee und Graubünden gegründet. Heute habe ich einen zweiten Standort hier in Bad Zwischenahn in Niedersachsen, in Norddeutschland, wo wir uns jetzt befinden. Die Züchtung machen wir zum größten Teil in der Schweiz. Da haben wir sechs Hektar Züchtungsfläche, wo wir Apfel- und die meisten anderen Obstarten züchten. Hier in Bad Zwischenahn haben wir eine Versuchsfläche, wo wir alle Sorten unter norddeutschen Bedingungen testen. Das ist für uns wichtig, weil wir auch viel nach England verkaufen. Es ist ein ähnliches Klima hier wie in Südengland.
Wir stehen hier vor einem Feld von Apfelbäumen, etwa 15.000 Apfelbäumen. Diese Ruten, die Sie hier neben dem Bambus sehen, die sind auf dem Feld produziert, veredelt, dann ein Jahr kultiviert, dann gerodet und jetzt eingetopft worden und können dann ab August verkauft werden, an Gartencenter, Ketten und direkt zu unseren Kunden, die online bei uns bestellen.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Eckard Brandt: In diesem Quartier vermehre ich meine alten Apfelsorten. Wenn ich eine Sorte sortenecht vermehren möchte, muss ich ein Stück Zweig haben. So ein Stück Holz muss ich im Winter schneiden. Da müssen eins, zwei, drei … drei Augen dran sein. So ein Stück nennt man ein „Reis“. Dann hab ich mir hier Stämme besorgt aus einer Baumschule, die hat für mich zwei Meter hohe Stämme angezogen. Das sind auch Obstbäume. Ganz unten ist eine Unterlage drunter, das heißt, das sind die Füße der Obstbäume. Diese Unterlage bestimmt, wie stark der Baum wachsen wird, und wie groß er wird, und wie lang er lebt. Dann ist häufig auf diese Unterlage über der Erde ein Stammbildner draufveredelt worden. Das ist eine Sorte, die hat keine andere Funktion, als nur möglichst schnell einen möglichst dicken, geraden Stamm zu machen. Diesen Stammbildner hab ich dann hier in 1,70 m, 1,80 m Höhe wieder gekappt. Hier sieht man noch die Schnittstelle, und hier hab ich dann dieses Reis von der Edelsorte draufgesetzt. Hier ist ein alter Prinzenapfel, den ich irgendwo auf der Stader Geest gefunden habe und erhalten möchte. Da habe ich also dieses kleine Teil mit drei Augen im März, April draufveredelt, und wenn ich Glück habe, wächst es los. Und ab dieser Veredelungsstelle ist dann der Baum erst die Sorte, die ich eigentlich haben will.
Antje: Könnte man auf einen Baum auch drei verschiedene Sorten machen?
Eckart Brandt: Auch dreißig. Auch dreihundert. – Das ist im 19. Jahrhundert richtig systematisch von Pomologen empfohlen worden. Wenn man also jetzt ganz wenig Platz hat und aber eine große Sortensammlung anlegen will, dann muss man ja dazu übergehen, dass man viele Sorten auf einen Baum macht. Overdieck[21], einer der größten Pomologen des 19. Jahrhunderts, war Pfarrer. Und er hatte eigentlich immer nur einen kleinen Pfarrgarten zur Verfügung. Der hat aber insgesamt ein paar tausend Apfelsorten getestet und beschrieben.
Antje: Ein Apfelbaum ist eigentlich vom Fuß bis zur Krone ein Kunstgebilde.
Eckart Brandt: Das ist ein Produkt der gärtnerischen Kunst. Ich meine, wenn man Äpfel wild wachsen lässt, dann ist das eine ganz andere Theorie. Das macht der Sepp Holzer zum Beispiel mit seiner Permakultur[22]. Der zieht Bäume aus Apfelsämlingen, die so robust sind, dass sie in 1100 Metern Höhe noch wachsen, wo unsere Kultursorten wirklich nicht mehr gedeihen würden. Da wachsen dann so struppige, stachelige Büsche auf – die schützen sich selber vor Wildverbiss, weil unten schon bedornte, kleine Abzweigungen aus dem Stamm herauskommen, da kann kein Karnickel und kein Reh mehr ran. So kriegt man auch Äpfel, die aber nicht unbedingt in der Qualität, der Größe und dem Geschmack so berauschend sind wie unsere Kultursorten. Die Kultursorte hat eben diesen Preis hier, und das andere sind dann mehr oder weniger Formen, die wieder auf den Wildapfel zurückschlagen. Also viel mehr Säure, viel mehr Gerbstoffe – kann man vielleicht einen schönen Apfelwein daraus machen, ich weiß nicht …
Antje: Und wächst hier eigentlich mal zufällig ein Sämling?
Eckard Brandt: Ja, hier an der Kante ist einer. Können wir gleich sehen. Da schimmern die Äpfel schon durch. – Das ist doch zweifelsohne ein Apfel, wenn auch nicht gerade ein besonders großer. An diesen Ort hier kann nie jemand absichtlich einen Apfelbaum hingepflanzt haben. Hier unter den Eichen hat er ja gar keine Chance, in die Höhe zu kommen. Also ist es ein Zufallssämling: Jemand hat Apfelreste weggeschmissen, und aus einem Kern ist dieser Apfel gewachsen. Wenn man den probiert, ist es ein ziemlich süßer Apfel, nicht sehr aufregend im Aroma. Von der Erscheinung her würde ich meinen, es könnte vielleicht ein Sämling von einem der Äpfel da drüben sein. Das ist eine alte Obstwiese, da laufen jetzt Pferde runter. Vielleicht ist es sogar ein Sämling vom Finkenwerder Herbstprinzen, der da hinten steht. Kann aber auch ganz was anderes sein. Diese Kindersorten müssen nicht unbedingt schmecken wie Papa und Mama. Also, ganz aufregend ist diese Sorte nicht, aber ich glaube, ich werde da mal bei Gelegenheit was von abschneiden und den hier über den Zaun holen, wo er ja schon länger hier ist als meine kultivierten Apfelbäume. Sie können ja mal einen probieren.
Antje: Danke.
Eckard Brandt: Und?
Antje: Ist der schon reif?
Eckard Brandt: Ich denke schon, fast. Als nächstes würde er wahrscheinlich mehlig werden. Der ist noch ein bisschen sehr knackig, aber das wäre ja nicht das Schlechteste.
Antje: Ist schon lecker.
Eckard Brandt: Also, bei diesen Zufallssämlingen gibt es häufig ganz andere Ergebnisse. Häufig mendelt das wirklich wieder Richtung Wildapfel zurück, und dann hat man plötzlich die Bitterstoffe wieder drin, und man hat einen sehr sauren Geschmack. Fast unser ganzes altes Apfelsortiment besteht ja aus ursprünglichen Zufallssämlingen. Bis 1880 oder so, als Uhlhorn[23] am Niederrhein anfing, seine schönen Kreuzungen zu machen, hatte man eigentlich nur alte Sorten, die zufällig irgendwo entdeckt worden sind; nie gezielt gezüchtet, weswegen man auch in der Regel nie weiß, was denn die Elternsorten sind. Das ist wohl so ein Spiel wie im Lotto. Da gibt es nur ziemlich wenige Volltreffer. Ich meine, die üben ja da schon ein paar Millionen Jahre. Das Spektrum des Ausgangsmaterials muss also richtig, richtig weit gefächert sein. Man sieht es ja nachher auch bei den Äpfeln, was die so für Ansprüche haben ans Apfelleben. Ich kenn das von keiner anderen Obstart, dass die so anpassungsfähig ist: dass man also Äpfel hat, die noch in feuchtem, säuerlichem Moorsumpfgelände wachsen mögen, oder das andere Extrem, dass die praktisch im Karnickelland wachsen, Dünensand. Also, wir haben hier eine Lokalsorte, Uphuser Tietjenapfel, der ist aus den Weserdünen bei Bremen entstanden.
Apfelgalerie, Berlin, Deutschland
Caty Schernus: Wenn man das möchte, dass sich Äpfel weiterhin von alleine aussamen, aussäen – dass neue Sorten entstehen, einfach dadurch, dass ein Apfel irgendwo landet und dann aus dem Kern was wird, dann ist die Voraussetzung, dass es dafür Flächen gibt, wo das passieren kann: im Garten oder in einem wilden Stück irgendwo, und die werden ja immer weniger. Viele Flächen werden nicht nur landwirtschaftlich genutzt, sondern zum Beispiel heute auch zur Energiegewinnung: da, wo Windräder stehen, da, wo Solaranlagen stehen. Das ist es auch, was die Bauern, auch die Obstbauern, in Brandenburg beklagen, dass es immer weniger Flächen gibt, die sie nutzen dürfen, die sie pachten können, weil da auch der Konkurrenzdruck sehr groß ist. Die Bauern, die hierzulande noch was anbauen, bauen das an, wovon sie am besten leben können. Das ist momentan Mais für die Biogasanlagen. Und teilweise kommen Investoren aus anderen Ländern hierher, weil hier die Grundpreise noch ganz günstig sind. Ja, somit wird dann die wilde Natur immer mehr reduziert.
- Wo wachsen die wilden Äpfel?
In Jimmie Durhams Atelier, Berlin, Deutschland
Antje: Johnny Appleseed? Kennst du die Geschichte?
Jimmie Durham: Ich wünschte, ich würde sie nicht so gut kennen.
Antje: Es ist eine Geschichte über einen Mann, einen sogenannten Pionier …
Jimmie Durham: Nein, es ist eine Geschichte über einen Mann, der sich Indianerland nehmen wollte – darum geht es. Er ging herum und pflanzte Apfelkerne – aber er hat nicht nur Apfelkerne gepflanzt, er hat Land gerodet und mit anderen Menschen zusammengearbeitet, die uns von dem Land wegroden wollten, die uns von dem Land weggenommen haben! Die alle einheimischen Bäumen und Pflanzen abholzten, um europäische Bäume zu pflanzen, Apfelbäume vor allem, die dann zur Grundlage einer Apfelindustrie in weiten Teilen der frühen kolonialen Vereinigten Staaten wurden. Und er wurde so berühmt, dass ich über ihn in der Schule lernen musste, von diesem charmant-exzentrischen Mann mit einem Topf auf dem Kopf – es war einfach Blödsinn.
Antje: Für mich kommt er in dieser Geschichte rüber wie jemand, der freigiebig ist; aber gleichzeitig ist es eine sehr kapitalistische Geschichte, denn er hat die Samen umsonst verteilt, nur um den Bauern zu sagen: „Ich komme später zurück und hole mir meinen Anteil“, …
Jimmie Durham: Ja.
Antje: … und gleichzeitig die Grundstücke abzugrenzen; und er erzählte den Bauern: „Pflanzt, pflanzt, wo immer ihr könnt! Und dann, wenn die Bäume wachsen, gehört das Land euch!“[24] – Du sagtest also, dass es vor der Ankunft von Johnny Appleseed Apfelbäume gab?
Jimmie Durham: Sie waren keine europäischen Äpfel. Es sind Versionen von Wildäpfeln, und die Leute sagen, dass sie nicht gut zum Essen sind. Aber weiße Amerikaner denken, dass alle unsere einheimischen Sachen nicht essbar sind. Manche Sachen weigern sie sich zu essen, sie sagen, sie seien Gift. Ich versichere ihnen, dass es nicht so ist, und sie sagen: „Oh ja, für dich ist es nicht giftig!“ Wie unsere einheimischen Pflaumen. Aber es gibt zwei oder drei Varianten von sehr kleinen Äpfeln, die kaum Fruchtfleisch haben, aber manchmal sind sie wunderbar sauer. Sie sind nicht sehr lecker zum Essen, aber wenn Sie gerade etwas essen müssen, dann ist es nicht so schlecht, sie einfach zu essen! Aber sie sind gut, wenn man sie in ein Fleischgericht mischt oder so etwas. –
Wer weiß schon etwas über Pflanzen …? Maria Theresa[25] forscht über die Verbreitungsgebiete von Pflanzen, aber es ist schon eine seltsame Sache. Wir haben zwei Nüsse, die einheimisch sind. Schwarze Walnuss und Hickorynuss. Und diese Nüsse, das habe ich gerade in diesem Jahr gelernt, wachsen auch in Teilen von China. Es bedeutet, dass einige Cherokee-Missionare nach China gegangen sind (lacht). Wir haben ein sehr primitives Wissen über die Zeit, in der die Kontinente zusammen waren, und wie zum Beispiel Menschen nach Amerika kamen. Wir sagen, dass sie aus der Mongolei, aus Sibirien, über die „Landbrücke“ an der Beringstraße kamen. Es gab keine „Landbrücke“, da war ein Kontinent! Es gab einen bewaldeten Kontinent voller Menschen! Es war also keine „Landbrücke“. Es war Land. Und das Land hatte einen sehr komplexen Wald. Offensichtlich mit Apfelbäumen und Hickorynuss-Bäumen und Nussbäumen und jeder Art von Baum. Also, Südamerika ist ganz anders, Australien ist ganz anders, aber bei so vielen Sachen in Nordamerika findet man das Gleiche in China, in Asien – und an der Ostküste kann man so vieles finden, was auch europäisch ist! So viele Pflanzen, so viele Bäume, die auch europäisch sind.
Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Pillnitz, Deutschland
Dr. Henryk Flachowsky: Zur Kulturwerdung des Apfels haben ja eine ganze Reihe von Wildarten beigetragen, die genetisch sehr nah verwandt sind. Das ist zum einen Malus sieversii[26], das ist aber auch der Kaukasusapfel Malus orientalis[27], und der sibirische Apfel Malus baccata[28]. Der Kulturapfel ist aus einer ganzen Reihe von verschiedenen Wildarten entstanden. Wenn man heute in diese Gebiete fährt, also gerade in den Bereich des Kaukasus, nach Russland, nach Georgien, nach Aserbaidschan, dann sieht man, dass die Leute schon von jeher aus diesen Wildbeständen einzelne Typen ausgelesen haben, die ihnen geschmacklich gefallen haben, die ihnen von der Fruchtform her gefallen haben, vielleicht von der Färbung her … Die haben sie dann abveredelt in die Haus- und Kleingärten gepflanzt, und so hat über viele Jahrhunderte hinweg eine Selektion stattgefunden, auf ganz natürliche Art und Weise. Und dann gab es das Handelsnetz der alten Seidenstraße. Dort sind Reisende mit Waren von China bis nach Europa und ans Mittelmeer gereist und haben dazu beigetragen, dass eben auch solche Typen von A nach B transportiert wurden. So kam es zu einer Durchmischung des Genpools: Typen aus dem Tian-Shan-Gebirge, wo Malus sieversii herkommt, wurden in Ländern wie Georgien und Aserbaidschan angebaut. Solche Typen sind dann nach Europa gekommen, in Klöstern aufgepflanzt worden. Dort wurden dann wieder Nachkommen selektiert, sodass also unser Kulturapfel aus heutiger Sicht ein großes Konglomerat von Merkmalen aus verschiedenen Apfelwildarten ist. Wenn man in diese Gebiete fährt, wo noch tausende von Einzelindividuen unter natürlichen Bedingungen vorkommen, dann hat man Chancen, Merkmale zu finden, die in diesem gesamten Selektionsprozess in unserem Kulturapfel über die Jahrhunderte hinweg verschwunden sind.
Antje: In Nordamerika gibt es ja auch Wildäpfel. Die haben sich ja nicht zu Kulturäpfeln entwickelt. Können Sie sagen warum?
Dr. Henryk Flachowsky: Na, ich denke einmal, weil dieses Gebiet in Nordamerika wesentlich weniger besiedelt war. Es gab weniger Handelsbewegungen. Und dann haben natürlich die Entdeckungsreisenden nach und nach Obst von Europa importiert. Da gab es nicht diesen langen Prozess, den es in Asien gegeben hat, wo man vom Wildapfel bis zum Kulturapfel über Jahrhunderte hinweg selektiert hat. Sondern dort hat ja, sagen wir mal, die zunehmende Zivilisation erst relativ spät angefangen, dass man überhaupt in die Bereiche vorgedrungen ist, wo Wildäpfel wachsen. Nichtsdestotrotz sind auch diese Wildapfelarten für uns von Interesse und werden von Züchtern sowohl dort als auch hier verwendet, um Merkmale zu finden.
Antje: Wäre es denkbar, dass einfach dadurch, dass das nomadisch lebende Menschen waren, die nicht sesshaft neben dem Haus einen Apfelbaum angepflanzt haben, diese Selektion, die Sie eben beschrieben haben, unterblieben ist?
Dr. Henryk Flachowsky: Ja, und weil es einfach auch viel weniger waren. Die gesamte Gartenbaukultur hat sich ja in asiatischen Ländern entwickelt. Da gab es zum Beispiel die Tscherkessen im Kaukasus, die eine uralte Gartenbaukultur hatten und auf Bergterrassen Obst kultiviert haben, einfaches Gemüse kultiviert haben, um sich davon zu ernähren.[29] Das hat es bei nomadisch lebenden Völkern in dem Ausmaß nicht gegeben. Und die hatten eben auch nicht den Austausch zwischen Kontinenten, den Europa und Asien von jeher hatten. Dass Sachen über weite Distanzen transportiert wurden und erst mal als exotische Waren gehandelt, aber dann später irgendwann in unseren Gebrauch so übergegangen sind, dass wir sie heute als Grundnahrungsmittel genießen.
Lebensmittel-Kooperative Łódź / Kooperatywa Spożywcza w Łodzi, Polen
Alicja: Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich mag die alten Apfelsorten sehr gern. Diese Pflanzensorten haben sich in unserem Klima entwickelt, auf unserem Boden, sodass sie eher ungünstigen Witterungsbedingungen widerstehen können. Dies ist wertvoll, es ist ein Teil unseres kulturellen Erbes, und ich denke, aus diesem Grund allein lohnt es sich, diese Art von Vielfalt zu erhalten.
Martyna: Ich denke auch an die alten Sorten von Pflanzen und Gemüse, die ausgerottet wurden und die extrem schwer zu bekommen sind, auch wenn sie essenziell polnisch sind. Ein Beispiel dafür ist Kohl, den man fast nirgends mehr bekommt, oder Topinambur, was sehr einfach anzubauen ist; aber es ist nicht rentabel, deshalb macht das niemand. Ich bin sehr traurig, dass man nicht in der Lage ist, vieles rein polnisches Gemüse und Obst in Polen zu kaufen.
Alicja: Pastinake ist eine andere Pflanze, die heute praktisch unbekannt ist, oder Schwarzwurzeln.
Antje: Das ist sehr interessant. Wenn wir über das Lokale sprechen, ist das Lokale oft auch global. Wenn du über lokale Topinambur[30] sprichst – sie kommt aus Südamerika. Die Kartoffel ist das lokalste Essen in Deutschland und in Polen – auch aus Südamerika. [31] Der Apfel kam vor allem aus Kasachstan. Es ist sehr interessant, den unterschiedlichen Wurzeln der Pflanzen zu folgen und zu realisieren, dass die Menschen in Europa eigentlich schon immer in einer globalen Welt gelebt haben. Die Wurzeln des Handels waren immer sehr global, schon vor mehr als zweitausend Jahren. Ich denke, das Lokale ist sehr wertvoll, wenn es um die Klimabilanz geht. Aber wenn es um die lokale Flora geht: Wenn man wirklich nur das anbauen würde, was vor der Ankunft der Menschen hier wuchs, würde man wahrscheinlich keine der Pflanzen finden, die heute in den Gärten oder sogar in Parks wachsen.
Alicja: Wenn ich über die biologische Vielfalt und das kulturelle Erbe rede, dann meine ich damit, dass einige Pflanzen aus Kasachstan vor vielen Jahrhunderten importiert wurden, aber lokal wurden, indem sie hier lebten. Bestimmte Sorten wurden hier von den lokalen Gärtnern angebaut. Diese Art des kulturellen Erbes sollten wir erhalten. Es geht nicht darum, in der sogenannten Natur zu leben, denn die Natur, das sind wir. Ich bin kein Öko-Freak, mir ist sehr bewusst, dass wir in einer Kultur leben und sie immer noch wächst. Wir können Pflanzen als Symbol, als Zeichen unserer Lokalität und Globalität behandeln.
Abteilung für Genetische Ressourcen und Sortengarten, Institut für Gartenbau und Blumenzucht, Skierniewice, Polen
Grzegorz Hodun: Das hier ist eine Sammlung von Wildarten. Ich denke, wenn man die in der freien Natur sehen würde, wären Sie nicht in der Lage, zu sagen, welche Art von Pflanze es ist. Dieser Baum hat jetzt Früchte, aber er hat in den letzten acht Jahren keine Früchte getragen. Die Blätter entwickeln eine wunderschöne Verfärbung. Dies ist ein Apfelbaum. Aber wenn wir genau hinsehen, ähnelt er überhaupt nicht einem Apfelbaum …
Antje: Und woher kommen diese Wildarten?
Grzegorz Hodun: Ein Teil von ihnen wurde von Menschen von verschiedenen Exkursionen hierher gebracht – sie stolperten über interessante Sorten während ihrer Reisen und brachten Reiser mit. Ich habe einige Arten und Sorten beispielsweise aus Dresden-Pillnitz in Deutschland im Rahmen eines Austausches bekommen. Diese sind sehr interessant, weil die Person, die sie mir geschickt hat, Sorten ausgewählt hat, wie Malus sargentii oder Malus zumi, die Resistenzgene besitzen, die sie unter anderem gegen echten Mehltau immun machen. Derzeit sehen wir die größten Probleme in Zusammenhang mit beispielsweise dem Holzapfel, auch als Malus sylvestris[32] bekannt. Es ist eine Wildart des Apfelbaums, die in Wäldern wuchs. Es gelang mir, ihn vor zwei Jahren ausgerechnet in einem Wald in der Nähe von Łodz zu finden.
Antje: Er war der Europäische Baum des Jahres vor zwei oder drei Jahren, der Malus sylvestris, er wurde unter Naturschutz gestellt, weil er in Europa fast ausgestorben ist.
Grzegorz Hodun: Soweit ich weiß, ist es schwierig, einen reinen Malus sylvestris zu finden. Wir hatten eine Reihe von Besuchern, darunter Monika Höfer aus Dresden-Pillnitz, die auf der Suche nach Malus-sylvestris-Bäumen hierhergekommen sind. Sie haben den Urwald von Białowieża durchsucht, aber wie sich herausstellte, konnten sie keinen einzigen Malus sylvestris finden.
Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Pillnitz, Deutschland
Dr. Monika Höfer: Wir befinden uns jetzt in der Obstgenbank des Julius Kühn-Instituts. Ich bin die Kuratorin der Obstgenbank. Insgesamt haben wir circa 3000 verschiedene Muster – bei den Kultursorten nennen wir sie Sorten, und bei den Wildarten nennen wir sie Muster. Beim Apfel gibt es je nach Eingruppierung etwa zwanzig bis fünfzig verschiedene Wildarten.
Antje: Das ist mehr, als ich dachte. Und wo kommen die her?
Dr. Monika Höfer: Alle Wildarten kommen nur auf der nördlichen Hemisphäre vor. Das Genzentrum für den Malus ist Asien, Südostasien, dort sind die ursprünglichen Äpfel entstanden, das hat sich dann weiter ausgebreitet. Wir befinden uns in der Wildartensammlung vom Malus, und hier sind wir jetzt im Besonderen in der Sammlung der Malus sieversii, das ist der Hauptvorfahr unserer Kulturäpfel. Die USA hat Expeditionen nach Kasachstan organisiert, und von diesen Expeditionen haben wir Samenmaterial bekommen. Zunächst hatten wir tausend Sämlinge, also tausend Bäume auf eigener Wurzel stehen. Diese wurden charakterisiert, also die Resistenz und die Morphologie beobachtet, und natürlich die Früchte untersucht. Und von diesen 1000 wurden jetzt 94 ausgesucht, um hier wieder neu aufveredelt zu werden und in der Obstgenbank zu stehen. – Malus sieversii ist eine Wildapfelart und zeigt eine große Diversität. Es können sowohl Äpfel auftreten, die ganz klein und grün sind und nach nichts schmecken, als auch wohlschmeckende, große Äpfel. Wir haben Schorf- und Mehltauresistenzen vorliegen, aber wir haben auch anfällige Muster in dieser Wildapfelart – und deswegen gibt es nicht den Baum, sondern viele. Jeder Samen ist ein anderer Baum, ein anderes Muster. Wir wollten mit möglichst wenig Material die Diversität, eine Core Collection, zeigen. Vom Wuchs sind einige sehr stark unterschiedlich; oder wann die Blüte beginnt, der unterschiedliche Reifezeitpunkt der Äpfel, der Herbstlaubfall …
Antje: Und haben Sie schon einen Versuch gemacht, die wieder einzukreuzen?
Dr. Monika Höfer: Unser Züchter hat teilweise ausgewählte Muster schon genutzt, um sie in die Kreuzungsarbeit einzubeziehen.
Antje Majewski: Und ist da schon eine Sorte bei entstanden?
Dr. Monika Höfer: Nein.
Antje Majewski: Das dauert zu lange, oder?
Dr. Monika Höfer: Das dauert! (lacht)
Antje: Haben Sie auch Äpfel aus Nordamerika in Ihrer Sammlung?
Dr. Monika Höfer: Ja, hier drüben. – Es gibt in Nordamerika im Wesentlichen zwei verschiedene Typen von Äpfeln. Einmal Malus coronaria[33], der ist flachgedrückt, das Holz ist silbrig. Der kommt im mittleren Teil von Nordamerika vor, bis zur Ostküste. Die sehen alle so aus, werden auch nicht rot. Sie können auch gerne mal kosten, so appetitlich ist der nicht. Und dann gibt es noch eine zweite Art: Malus fusca[34], die kommt an der Westküste in Nordamerika vor, Oregon zum Beispiel. Und die Äpfel dazu … hier!
Antje: Die kann man schon fast nicht mehr sehen. – Der Malus sylvestris ist ja sehr selten geworden.
Dr. Monika Höfer: Ja, der Europäische Wildapfel, Malus sylvestris, kann theoretisch in ganz Europa vorkommen, ist aber ein sekundäres Holz. In der Forstwirtschaft steht er nicht im Vordergrund. Er kommt hauptsächlich am Waldrand vor und auf Lichtungen. Im Wald selbst hat er viel zu große Konkurrenz von anderen Baumarten. Und natürlich ist das ein Konkurrent für die Landwirtschaft; wenn er am Waldrand vorkommt, wird er zurückgedrängt. Außerdem können sich die Wildarten, in unserem Fall Malus sylvestris, immer mit den Kultursorten kreuzen, die in Gärten oder Obstplantagen stehen. Und damit ist natürlich nicht auszuschließen, dass man auch in der freien Landschaft bei uns Hybriden findet.
Antje: Den Malus sylvestris kann man nicht nutzen, oder?
Dr. Monika Höfer: Doch, ältere Leute wissen noch, dass sie Früchtetees in ihrer Kindheit getrunken haben. Hat einen relativ hohen Vitamin-C-Gehalt, dieser Holzapfel, und der Tee schmeckt ganz gut.
Antje: Wenn es einen Erreger gäbe, der sich in Europa ausbreitet, und für den sehr viele der Kulturäpfel anfällig sind, dann könnte es doch sein, dass man auf den Malus sieversii zurückgreift?
Dr. Monika Höfer: Das könnte sein, ja. Wenn wir danach suchen. Neue Resistenzen, neue Inhaltsstoffe, die für die Gesundheit nützlich sind – es wäre durchaus möglich, dass man dann ein Screening macht und danach sucht. Deshalb ist die Erhaltung der Wälder dort, in situ, wichtig.
Stand für Kasachstan auf der Internationalen Grünen Woche, Berlin, Deutschland
Aidos Baltayev: Ich vertrete Kasachstan, und Kasachstan ist wohl bekannt für unsere eigenen natürlich angebauten Äpfel. Äpfel werden nur in einem Teil von Kasachstan angebaut, im Süden, und die Stadt heißt Almaty. Almaty ist aus dem Kasachischen, unserer eigenen Sprache, übersetzt und bedeutet „Apfelstadt“, wie der Big Apple. Der Duft unserer Äpfel ist großartig, alle in Deutschland werden vom Duft der Äpfel angezogen. Sie riechen natürlich, sie riechen nach Wald, wie alle Früchte in einem Apfel zusammengenommen. Ich wollte einen unserer Äpfel mit den deutschen vergleichen, aber sie rochen nicht gut, sie rochen wie Plastik, aber sie hatten in der Tat einen sehr guten Geschmack. Das sind unsere Äpfel, made in Kasachstan. Diese Äpfel sind eine Sorte namens Aport. Sie sind sehr süß, und sie schmecken, als wenn Sie Zucker mit Honig essen würden, miteinander vermischt, und das Ganze mit Karamell überzogen. Das ist der Geschmack unserer Äpfel. Willkommen in Kasachstan, und essen Sie unsere Äpfel, und bleiben Sie gesund. Danke.
Auf dem Weg in die Berge des State National Natural Park Ile-Alatau, in der Nähe von Almaty, Kasachstan
Erzhan Ashim Kitzhan-uly Oralbekov: Ich bin ein Aktivist der Bewegung Save Kok Zhailau: Wir wollen das Tal des Kok Zhailau in der Nähe der Stadt Almaty retten.
Antje: Das könnte also ein Sievers-Apfel sein, oder?
Erzhan: Vielleicht ist es ein Sievers-Apfel … (probiert den Apfel) Ja, er ist nicht so süß. Es ist kein Kulturapfel. Nicht so süß. – Und dieser Apfel? – Auch nicht süß. Ist er ein echter Sievers-Apfelbaum, Urgroßmutter und Urgroßvater aller Äpfel auf dem Planeten Erde? Der an den Berghängen wächst, die die Stadt Almaty und das Tal Kok Zhailau voneinander trennen? Rings um Almaty gibt es viele Orte, wo wir Sievers-Apfelbäumen und auch Niedzwetzki–Äpfeln begegnen können. Aber leider zerstört die Zivilisation in unserer Zeit viele der Orte rund um Almaty. Und die Orte, wo wir wilden Apfelbäumen begegnen können, werden immer weniger. Ich finde, wir sollten den wilden Zustand unserer Natur erhalten. Für nomadisch lebende Menschen war es unmöglich, über den Kauf oder Verkauf von Land nachzudenken. Wir haben versucht, diese Kenntnisse und Situationen den Machthabern unserer Stadt zu erklären: dass dieses Land allen Menschen der Stadt Almaty gehört, und auch allen in Kasachstan. Auf diesem Land könnte ein Skigebiet für das Vergnügen von reichen Leuten gebaut werden. Menschen mit normalen Einkommen haben keine Verwendung für die Dienste eines Skigebiets, und auch keine Verwendung für einen Golfplatz. Menschen unteren und mittleren Einkommens brauchen dieses Gebiet als wilde Natur, als Teil des Nationalparks. Es ist kein Gegenstand des Kommerzes. Das Land gehört allen Menschen!
Büro der NGO-Organisation Green Salvation, Almaty, Kasachstan
Sergei Kuratov: Unsere Organisation ist der Verein Green Salvation. Er wurde vor 22 Jahren als städtische Organisation gegründet und registriert. Wir sind klein, nur zehn Personen, und das Hauptziel ist es, das menschliche Recht auf eine gesunde Umwelt zu schützen. Wir versuchen, unsere unberührte Natur und die Naturparks zu schützen – da der Großteil der Natur, in der der Apfelbaum wächst, im Auftrag von unserer Regierung zu Nationalparks erklärt worden ist. Jetzt haben wir gerade in Almaty ein anderes Problem: Land, das keine Eigentümer hat. Denn das ist manchmal merkwürdig: Wir bekommen die Antwort, dass niemand weiß, wer der Besitzer dieses Landes ist. Das Land gehört nicht der Stadt, nicht der Region, aber wer ist der Eigentümer? Es gibt keine Trennung zwischen Behörden der Republik, Behörden der Kommunen und privaten Unternehmen. Zum Beispiel war der Nationalpark im Besitz der nationalen Regierung. Aber weil die administrativen Grenzen sich geändert haben, ist ein großer Teil des Nationalparks jetzt innerhalb der Stadtgrenzen. Lokale Behörden betrachten das Land nun als Land der Stadt, nicht des Nationalparks. Und dieser Konflikt dauert schon viele Jahre an. Und hier geht es um den Hauptbereich der wilden Apfelwälder in der Nähe der Stadt Almaty.
Zhongar-Alatau Naturpark, Kasachstan
Ainur Jamantaeva: Der Naturpark Zhongar-Alatau wurde 2010 mit Hilfe der Resolution Nr. 370 von der Regierung der Republik Kasachstan gegründet. Die Fläche des Nationalparks beträgt 356.022 Hektar. Die Gründung unseres Nationalparks geht auf den Malus sieversii zurück, der als Mutter aller domestizierten Äpfel der Erde gilt. Unser Hauptziel ist, die Apfelbäume zu schützen, und den Park zugleich in seinem aktuellen Zustand zu bewahren. Es gibt 72 Arten von endemischen Pflanzen, die es nur innerhalb des Nationalparks gibt. Zusätzlich gibt es eine Menge von bedrohten Pflanzen. Der Nationalpark ist sehr reich und einzigartig, Sie sind herzlich willkommen, ihn zu besuchen!
Im Wildapfelwald
Sergei Filatov: Bär!
Vladimir Kolbintsev: Bärenkot … Oh ja, da sind Samen! Bereit zu wachsen. Und die besten Äpfel hervorzubringen.[35] – Ich bin ein Biologe und momentan ein Feld-Naturforscher. Ich interessiere mich sehr für Botanik und bin immer auf der Suche nach verschiedenen Pflanzen, und in diesem wunderbaren Apfelwald fühle ich mich absolut glücklich! Nun sind wir in der Mitte der Dsungarischen Berge, in der Mitte des alten Paradieses, denn überall um uns herum wächst Malus sieversii. Wir sind auf der mittleren Höhe der Dsungarischen Berge, über 1300 m, die beste Höhe für Malus sieversii. Ich stehe in einem echten Apfelwald, leicht gemischt mit Espen, Fichten und einige anderen kleineren Bäumen. Malus sieversii wächst hier bereits seit mehreren Millionen Jahren, aber wie lange, weiß niemand. Aber wie auch immer, er ist immer noch da, und er produziert immer noch viele Äpfel. Jeder Baum ist anders: anderer Geschmack, andere Form, andere Textur der Früchte. Und einige Bäume sind ziemlich alt – heute fanden wir einige Bäume, die aus meiner Sicht fast 1000 Jahre alt sind. Dieser Apfelwald ist ein stark geschütztes Gebiet – durch den Staat geschützt, weil Malus sieversii eine recht gefährdete Art ist. Gefährdet, weil jederzeit ein schlimmes Feuer ausbrechen kann, das alle Apfelwälder töten könnte. Deshalb wird er von der Regierung geschützt, weil hier das Herz und die Hauptquelle der Biodiversität der Gattung Malus liegt.
Sergei Filatov: Sie sind in das Zhongar-Alatau-Naturschutzgebiet gekommen, um den Sievers-Apfel zu beobachten und zu bewundern. Dieser Baum ist das Kostbarste, was wir in Kasachstan haben. Der Apfelbaum ist zum Großteil nur auf unserem Territorium anzutreffen – er ist ein sehr seltenes Geschöpf, das wir erhalten müssen, um neues Wachstum zu haben. Wir legen spezielle Bereiche im Wald fest, wo wir die Kerne sammeln, und legen Forstbaumschulen an. Die Wissenschaftler kommen und untersuchen die Bäume: Gibt es irgendwelche Krankheiten? Wir markieren sie mit Signalmarken und benachrichtigen sie, sodass die Fälle untersucht werden können. Dann wird eine Bespritzung aus der Luft durchgeführt.
Robert Gaber (Arche Noah): Der Apfelwickler ist hier genauso wie in Europa vorhanden. Man sieht da das Ausbohrloch. Da ist der angefressene Samen und die schon fast reife Raupe, die sich bald aus dem Apfel ausbohren wird und im Boden verpuppt und dann nächstes Frühjahr, wahrscheinlich hier im Mai, wieder ihre Eier auf die Äpfel legt, sodass die schlüpfenden Raupen sich in den Apfel hineinfressen können. Das ist Fruchtmonilinia, die tritt vor allem dann auf, wenn in Folge vom Apfelwickler der Apfel angestochen ist oder von Wespen angefressen ist. Dann dringt dieser Pilz in die Frucht ein, und das führt zu verfaulten Äpfeln. Es ist eigentlich nirgends Blattschorf hier zu sehen, auch auf der Frucht gibt es kaum Apfelschorf, aber das kann genauso von der Witterung abhängen.
Wir sind von der ‚Arche Noah’ hierhergekommen, um die Ursprünge des Apfels kennenzulernen, und vor allem um die Apfelwälder zu sehen, die es sonst nirgends auf der Welt gibt. Die ‚Arche Noah’ beschäftigt sich mit der Erhaltung von Kulturpflanzenvielfalt. Jetzt arbeiten wir seit dreißig Jahren an dem Thema „Apfel“. Und es ist ganz einfach: Der Ursprung des Apfels ist hier! Das ist die Geburtsstätte unserer Äpfel, und daher war das Verlangen groß, das einmal zu sehen.
Bernd Kajtna: Ich bin im Verein zuständig für die Obstsortensammlung und auch in der Geschäftsführung tätig. ‚Arche Noah’ ist ein Verein, wir kümmern uns um die Erhaltung von alten Obst- und Gemüsesorten, die selten und vom Aussterben bedroht sind. Wir haben ein Netzwerk von Personen, die alte Sorten in ihren Gärten anbauen, und wir haben auch eine Genbank, das Sortenarchiv, wo wir etwa 6000 verschiedene Sorten erhalten. Wir sammeln seit vielen Jahren alte Apfelsorten in Österreich. Wir wollten hier selbst sehen, welche Standortvoraussetzungen der Malus sieversii braucht, um daraus Rückschlüsse für die Kultursorten zu ziehen. Es gibt hier viele Äpfel, die wenig Bitterstoffe haben, die viel Zucker enthalten, die auch eine ansprechende Größe haben – wo man sich wirklich vorstellen kann, dass daraus der Apfel, den jeder kennt, entstanden ist.
Vladimir Kolbintsev: Wir haben gerade einen wunderbar schmeckenden Apfel gefunden. Einen sehr schönen alten Apfelbaum, vielleicht hundert Jahre alt. Und wir fanden nur eine einzige Frucht! Warum? Schau mal auf den Boden! Es ist völlig nackt, da gibt es überhaupt keine Vegetation. Weil die domestizierten Tiere, die Pferde und Rinder, hier auf die besten Äpfel warten.
Bernd Kajtna: Wir haben diesen Apfel gefunden und ausgewählt, weil er von allen hier am besten schmeckt. Wir haben Reiser runtergenommen und werden die jetzt veredeln und die Bäume dann auspflanzen und verschenken.
Antje: Denkt ihr, dass die Äpfel angepflanzt wurden?
Robert Gaber: Nein, nicht gepflanzt. Aber sie waren das Ergebnis einer Auswahl. Die Nomaden waren im Frühling im Flachland, und im Sommer kamen sie mit all ihrem Vieh hier hoch. Sie verwendeten Apfelbäume als Futter für die Herden, sodass sie die anderen Bäume fällten. Äpfel haben Früchte, die auch für Schafe gut sind, deshalb ließen sie sie wachsen – das ist der Grund, warum wir hier Äpfel in Monokultur haben, glaube ich.
Johannes Maurer: Es ist also Kulturland. Nicht Wildnis.
Robert Gaber: Die Apfelbäume werden wegen der importierten Arten verschwinden, wegen Eichen und Ahorn, und – na ja, was sonst? Populus (Pappeln) … Der Apfel hat keine Chance gegen all diese Arten. Die Eichen sind …
Vladimir Kolbintsev: … wirklich stark!
Robert Gaber: Ja! Sie haben größere Blätter als in Österreich!
Antje: Und wer, meint ihr, hat die Eichen importiert?
Vladimir Kolbintsev: Menschen natürlich!
Antje: Ja, aber die Wildhüter hier, oder was für Leute?
Vladimir Kolbintsev: Nein, nein, nein! Ich bin sicher, das ist vorher passiert. Vor sechzig Jahren, also in den frühen fünfziger Jahren. Dieses Gebiet wurde für Forstwirtschaft verwendet. Forstwirtschaft: die Einführung neuer Pflanzen und Bäume aus der ganzen Welt. Du kannst europäische Eiche finden, amerikanischen Acer negundo (Eschenahorn) …
Antje: Also, die Apfelbäume waren seit ein paar Millionen von Jahren hier …
Vladimir Kolbintsev: Was, Äpfel? Natürlich!
Antje: … und jetzt gibst du ihnen nur noch …
Vladimir Kolbintsev: Ich denke, Äpfel waren seit mehreren Millionen Jahren hier, aber nicht mehr als fünf Millionen. Es ist ein Relikt! Es ist eine echte relikte Art. Aber ich denke, sie sind in anderen Bereichen immer noch in Ordnung, zum Beispiel in mehr ariden und trockenen Gebieten im nördlichen Teil der westlichen Tian-Shan- und Karatau-Berge, da sind sie okay. Aber es gibt sehr wenige Äpfel, sehr wenige Exemplare. Und sie sind okay.
Antje: Und hier, was denkst du, wie viele Jahre gibst du ihnen, bis sie verschwunden sein werden?
Vladimir Kolbintsev: Nun, ich kann nur raten. Vielleicht hundert Jahre – vielleicht dreihundert Jahre –, aber es wird sicher eine Veränderung geben.
Antje: Und glaubst du, dass irgendetwas dagegen getan werden kann?
Vladimir Kolbintsev: Ich bin nicht sicher. Es ist einfach, etwas zu zerstören, aber schwieriger, etwas wieder aufzubauen.
Institut für Ökologie und stabile Entwicklung, Almaty, Kasachstan
Anatoliy Michshenko: Seit einigen Jahren arbeite ich im Bereich Biodiversität und Schutz der Arten. Es gibt zwei verschiedene Weisen, über den Wildapfel nachzudenken: Vom einen Standpunkt aus denkt man an den Apfel als einen wilden Obstgarten; vom anderen Standpunkt aus an den Apfel als Art, als die dominierende Art eines bestimmten Gebirgsgürtels. Wenn wir über den Apfel als Teil der Wälder nachdenken, denke ich, dass er in einigen Jahrzehnten verschwunden sein wird. Wir haben 14.000 Hektar wilde Populationen untersucht und nur einige hundert Hektar unberührte Gebiete gefunden. Es gibt mehrere Gründe: falsches Management der wilden Wälder, genetische Degradation, und schließlich Beweidung. Und der Wechsel des Klimas.
Vladimir Kolbintsev: In früheren Zeiten waren die Menschen viel freundlicher zu der Natur. Im Mittelalter, in prähistorischer Zeit … Als die Menschen begannen, diese Berge zu beweiden, war es einfach natürliches Grasen, in Kombination mit dem Grasen der wilden Tiere. Schließlich begannen die Menschen, über den Schutz der Natur nachzudenken; sie begannen, Naturschutzgebiete und Nationalparks einzurichten, in denen Grasen nicht mehr erlaubt ist. Aber zu dieser Zeit waren die meisten wilden Tiere fast aus diesem Gebiet verschwunden. Also haben wir heute im Nationalpark überhaupt keine Beweidung; sehr wenig natürliche Beweidung; und keine vom Menschen gemachte Beweidung. Das führte dazu, dass das Gebiet überwucherte. Also, was geschieht in dem unberührten Gebiet? Schwer zu sagen. Aber heute hast du gesehen, wie groß die Vegetation ist, wie die Bäume wachsen und einen Krone bilden und Schatten werfen und die jungen Bäume nicht mit den anderen Bäumen konkurrieren können. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum die Apfelbäume sich auf diesem Gebiet nicht erneuern können.
Antje: Was ist mit dem Klimawandel; meinst du, er hat Auswirkungen auf die Apfelbäume?
Vladimir Kolbintsev: Schwer zu sagen, wie schnell sich das Klima verändert. Nun, natürlich beeinflusst es die Bäume. Das Klima hat sich immer auf der Erde verändert, immer. Aber jetzt machen die Menschen ein paar zusätzliche Anstrengungen, es zu ändern. Aber ich bin mir nicht sicher, wie viel. Der Apfel ist viel älter ist als die letzte Eiszeit. Wahrscheinlich hat der Apfel mehrere Eiszeiten überlebt. Es ist okay.
Antje: Ich hoffe, er wird auch die nächste Veränderung überleben.
Vladimir Kolbintsev: Ich hoffe es.
Antje: Nun, sicher hat er sich selbst eine Lösung für sein Überleben geschaffen – die Lösung, dass Menschen ihn in sehr unterschiedliche Klimazonen bringen, nur in unterschiedlichen Formen …
Vladimir Kolbintsev: Ja, ja … Na ja, irgendwas wird passieren. Das ist Evolution! Es hat immer und wird immer Veränderung geben. Also, vor langer Zeit gab es kein Leben auf der Erde, dann war es die Zeit der Dinosaurier, und so weiter … Jetzt ist es die Zeit der Menschen. Schließlich wird der Mensch von der Erde verschwinden … Das ist normal!
Zurück in der Hütte. Die Männer der ‚Arche Noah’ sammeln Wildapfel-Kerne.
Antje Majewski: Ich glaub, ich muss dann mal bei euch vorbeikommen, und schauen, was daraus wird …
Johannes Maurer: Du kannst dann einen kleinen Baum haben.
Antje Majewski: Aber ihr macht jetzt alle durcheinander?
Vladimir Kolbintsev: Jetzt nicht die Guten und die Schlechten vermischen!
Auf der Rückfahrt übernachten wir am Ufer eines laugenhaltigen Sees in einer Jurte. Am Abend nutze ich die Gelegenheit und frage Bernd Kajtna nach den möglichen Problemen dabei, den Malus sieversii auf diese Weise nach Europa zu bringen.
Antje: Ihr habt jetzt hier Kerne und auch Zweige mitgenommen.
Bernd Kajtna: Ja, wir haben ein paar Äpfel gesammelt – keine bestimmten, sondern einfach das, was in den Apfelwäldern vorhanden war –, und es geht uns nun vor allem darum, ein paar Samen des Wildapfels anzubauen und dann ein paar Bäume des Wildapfels in Österreich in Gärten auszupflanzen; einfach um die Art zu erhalten, um ihn zu beobachten und zu schauen, wie er in anderen Breiten gedeiht. Die Ausfuhr von Vermehrungsmaterial ist problematisch aus verschiedenen Gründen: Zum einen gibt es die rein rechtlichen Aspekte, dass man Pflanzen nicht ohne Genehmigung von einem Land in ein anderes Land transportieren darf. Das hat auch Pflanzenschutzgründe. Es kann ja sein, dass man unbeabsichtigter Weise einen neuen Schädling, eine neue Krankheit in ein anderes Land bringt und so für die Verbreitung sorgt.
Ein anderer Aspekt ist aber: Hier in Kasachstan ist der Apfel eine wichtige genetische Ressource, es ist sein Ursprung, und es ist vielleicht nicht ganz legitim, hier Genmaterial zu entnehmen, um daraus einen Nutzen zu erzielen. Solang man das nur macht, um die Art zu erhalten und zu beobachten, ist nichts dagegen einzuwenden. Problematisch wird es dann, wenn es in Richtung Genpiraterie geht: Man nimmt Pflanzen aus egal woher und entwickelt daraus eine neue Sorte, oder ein Medikament, und verdient damit viel Geld. Dann hat man etwas genommen, um das sich viele Menschen davor gekümmert haben, und den Profit schöpft jemand anderes ab.
Antje: Aber ihr habt das ja nicht vor. Ihr wollt nur die Art erhalten, und die ist hier in Kasachstan aus verschiedenen Gründen bedroht …
Bernd Kajtna: Ja, wir haben nicht dezidiert vor, das groß zu vermarkten, damit kann man auch keinen Profit machen. Es hat immer schon diesen Vorwurf gegeben der Biopiraterie. Darum hat sich die internationale Staatengemeinschaft nach langen Verhandlungen darauf verständigen können, hier ein Regelwerk einzuführen, das einzudämmen und in geregelte Bahnen zu leiten. Das ist der International Treaty for Plant Genetic Resources for Food and Agriculture[36]. Dieser internationale Vertrag regelt, wie in der Zukunft der Vorteilsabgleich auszuschauen hat. Darunter versteht man, dass der, der eine Leistung hineingesteckt hat, zum Beispiel in den Erhalt des Wildapfels, auch davon profitiert, wenn aus dieser genetischen Ressource einmal ein Produkt entwickelt wird, das auf dem Markt viel Geld einbringt. Man könnte jetzt im Sinne dieses Vertrages agieren: Wenn wir diesen Apfel, den wir jetzt mitnehmen, vermehren und weitergeben, dann müsste ich, als derjenige, der ihn in Besitz genommen hat, mit demjenigen, dem ich ihn weitergebe, wiederum einen Vertrag abschließen. Dafür gibt es einen Standardvertrag. Wenn der das weitergibt, muss er wieder mit dem Nächsten einen Vertrag machen. Und wenn es dann mal jemand bekommt, der daraus etwas Wichtiges herstellt, was er verkauft, dann wäre das rückverfolgbar bis nach Kasachstan. Es wäre dann theoretisch möglich, dass Erlöse aus diesem Verkauf zurückfließen, um den Wildapfel zu schützen.
Antje: Ich möchte ja versuchen, den Zweig, den ich mitgenommen habe, aufzupfropfen, das zu vermehren, und die neuen Bäume wiederum an freien Plätzen in den Städten anzupflanzen, wo sie niemandem gehören.
Bernd Kajtna: Das kann man vertraglich nicht regeln, natürlich nicht. – Man muss auch noch differenzieren: Die Art zu erhalten gelingt natürlich nicht, wenn man in Österreich irgendwo fünf Bäume auspflanzt. Der Genpool des Apfels kann ja nur dann erhalten bleiben, wenn es viele tausend Bäume gibt, in denen wirklich alle potentiellen Eigenschaften der Nachwelt erhalten bleiben. Wenn ich nur einen kleinen Teil da rausnehme, habe ich auch nur einen kleinen Teil der Gene abgesichert. Es ist wesentlich wichtiger, die Vorkommen hier zu erhalten, und zweitrangig ist es, Saatgut mitzunehmen und die Bäume großzuziehen, zu studieren und zu schauen, was für ein Potential für Züchtung da ist. Das ist auch legitim, und ich bin der Meinung, dass das nicht eingeschränkt werden darf. Prinzipiell sollte es jedem möglich sein, hier als Züchter aufzutreten. Es kann nicht sein, dass das nur Forschungsinstituten vorbehalten bleibt. Eigentlich ist ja der Apfel so entstanden, dass Leute wie du und ich einfach die Früchte aus dem Wald mitgenommen und irgendwo anders ausgepflanzt und weiter vermehrt und die besten herausselektiert haben – das ist etwas, was kein Forscher gemacht hat, keine Firma gemacht hat, sondern was Bauern gemacht haben.
Das ist ein Grundrecht, das weiterhin jedem zusteht. Der freie Austausch von Vermehrungsmaterial, egal, ob das Saatgut ist oder Edelreiser, darf durch verschiedene Gesetzeswerke nicht eingeschränkt werden. Das führt sonst dazu, wenn wir beim Beispiel Apfel bleiben, dass nur eine große Firma aus den kasachischen Apfelwäldern neue Sorten herausholen kann und zur Anmeldung bringen kann. Kasachstan ist jetzt nicht in der EU, aber theoretisch könnte es sogar so sein, dass es selbst in Kasachstan nicht erlaubt ist, Saatgut eines Apfels zu nehmen und weiterzugeben oder Edelreiser zu schneiden, so wie das in Europa verboten werden soll.
Europa ist momentan noch divers, es gibt in jedem einzelnen Mitgliedsland verschiedene Gesetzeswerke, die die Weitergabe von Saatgut oder von Edelreisern regeln. Österreich ist das liberalste Land in der gesamten EU, momentan ist es in Österreich noch erlaubt, dass ich Saatgut einer seltenen Sorte weitergebe – das könnte aber in Zukunft auch in Österreich nicht mehr erlaubt sein, wie auch in allen anderen Staaten der EU. Und zwar deshalb, weil eine Verordnung geplant ist, die den freien Austausch von seltenen Sorten massiv beschränkt. Das ist die sogenannte EU-Saatgutverordnung, die auch für Vermehrungsmaterial im Allgemeinen gültig sein wird. [37]
Antje: Und wem nutzt die Verordnung?
Bernd Kajtna: Es gibt wenige Saatgutfirmen, die den Markt beherrschen; und wenn es kleineren Firmen schwerer gemacht wird, auf diesem Markt zu bestehen, dann verstärkt sich nochmals die Konzentration an Firmen, die Obstsorten verkaufen, die Saatgut verkaufen.
Antje: Könnte man das Agrarkapitalismus nennen – die Tendenz zu immer stärkerer Verengung auf wenige Sorten in der Hand von großen Firmen?
Bernd Kajtna: Ja, auf alle Fälle! Eine Beschränkung des Saatgutmarktes durch strenge Vorgaben hilft den wenigen Firmen, die heute schon den Markt dominieren. Es wird dann kleineren Firmen schwerer gemacht, seltene Sorten, Spezialitäten, Raritäten überhaupt noch auf den Markt zu bringen. Einer Spezialitätenbaumschule, die nur alte Sorten anbieten möchte, wird damit das Leben schwerer gemacht oder das Überleben unmöglich.
Antje: Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und einer globalen Homogenisierung …
Bernd Kajtna: Das ist sicher richtig. Interessant ist schon, dass dieser Nischenmarkt der alten Obstsorten, der aus Sicht des Wettbewerbs fast vernachlässigbar ist, noch kleiner gemacht werden soll. Weil es ja absolut niemandem, auch nicht den Großen, schadet. Das macht es eigentlich noch absurder. Da geht es wohl nur darum, dieses System zu festigen: Es darf nur das angeboten werden, was homogen ist, was ich überall auf der ganzen Welt anbieten kann, und was mir keine Schwierigkeiten macht. Alles, was nicht so weltweit vermarktet werden kann, macht eigentlich nur Probleme, das braucht man nicht, verbietet es am besten.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Eckart Brandt: Es geht darum, dass von Staats wegen festgeschrieben werden soll, welche Apfelsorte auf den Markt gebracht werden soll, welche Apfelsorte vermehrt werden darf, welche Sorten eine Zukunft haben dürfen und welche nicht. Und ich weiß nicht, warum das reguliert werden muss. Es ist ja schon so viel an diesem Sektor herummanipuliert worden, dass wir jetzt schon ein sehr eindeutiges Standardsortiment haben, das den ganzen Markt beherrscht. Warum muss dieses Nebenschaufeld, was wirtschaftlich ja sowieso nur eine minimale Bedeutung hat, auch noch reguliert werden? Ich finde das absolut unsinnig, weil dann im Rahmen von so einer Regulierungswut eine ganze Genressource plattgemacht werden kann. Ich finde, dass die alten Sorten auch aufgehoben gehören, weil in ihnen ganz viele Eigenschaften schlummern, die wir für die Zukunft noch brauchen werden. Das Klima ändert sich, wir brauchen vielleicht in den nächsten Jahrzehnten andere Äpfel, die andere Resistenzen haben, gegen Krankheiten und Schädlinge, die wir vielleicht noch gar nicht kennen, und wenn wir da nicht breit aufgestellt sind, mit einem breiten Sortiment an den vielfältigsten Sorten mit den vielfältigsten Eigenschaften, haben wir ganz schlechte Karten für die Zukunft.
Es entbehrt eigentlich jeglichen Sinns. Es kann schon noch einen Hintersinn haben: dass versucht wird, nur noch bestimmte standardisierte Lebensmittel auf dem Markt zu haben. Und die wirklich total unter Kontrolle zu haben, und möglichst in die Hände von irgendwelchen großen Konzernen zu geben, die eine Lizenz darauf haben. Das würde diesen Leuten am besten in den Kram passen. Und das darf überhaupt gar nicht passieren!
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Markus Kobelt: Die Bürokratie tendiert immer dazu, über die Stränge zu schlagen. Wenn man dem Staat zu viel überlässt, der kommt auf unglaubliche Ideen. Einerseits gute, zum Beispiel diesen Sortenschutz, den wir in Europa haben – aber warum muss man alles regulieren? Warum braucht es Pflanzenpässe? Warum braucht eine Pflanze, wenn sie da herumwandert, einen Pass? In Deutschland, von Land zu Land – das ist schon fast lächerlich. Und das in einer Zeit, wo die Grenzen offen sind, und wo wir auch uns laufend mit Fremdem – Gutem und Schlechtem – auseinandersetzen müssen. Das ist lächerlich.
Das ist auch so ein Thema, das ich liebe, das Gerede von invasiven Neophyten[38]. Auch so ein Blödsinn. Es gibt eine Handvoll von ganz gefährlichen Pflanzen, die wirklich Gesundheitsprobleme auslösen. Aber die gibt es immer. Das ist wie eine Krankheit oder so etwas. Das Klima verändert sich, da wird sich auch die Vegetation verändern, warum soll ich sie schützen? Ich bin froh, dass sie sich anpasst, und wenn dann plötzlich Kirschlorbeer in einem Wald wächst … Ich habe nichts grundsätzlich dagegen. Oder ein Sommerflieder, der an einem Bachrand wächst, er ist zwar fremdländisch – das ist übrigens alte Nazi-Ideologie, von „fremdländischen Pflanzen“ zu reden, und heute wird das vor allem von Grünen und Sozis erzählt … Da freue ich mich, ich finde, das ist fast eine subversive Pflanze! Und dann erfriert sie mal wieder und kommt sie mal wieder …
Bernd Kajtna: Unserer Meinung nach sollte es keinerlei Beschränkungen geben. Es ist nicht notwendig, dass ich eine Sorte erst zu einer Anmeldung bringen muss, damit ich danach Saatgut produzieren und verkaufen oder weitergeben darf. Wir sind der Meinung, dass jede Sorte grundsätzlich frei vermehrbar und zugänglich sein sollte. Für einen Bauern, der darauf Wert legt, dass er nur Sorten bekommt, die staatlich anerkannt sind, soll so ein Anerkennungsverfahren weiterhin möglich sein.
Ich kann es am Beispiel eines Apfels erklären. Wir haben ja nun hier in Kasachstan Edelreiser ausgewählt und mitgenommen. Die Ausfuhr ist das eine Problem – und das nächste Problem ist, dass ich diese Sorte, die ja erst mal noch keine Sorte, sondern ein Wildfund ist, dann, wenn die neue Saatgutverordnung Gültigkeit hat, nicht vermehren und über eine Baumschule verkaufen darf. Das wird verboten, weil das ein Zufallssämling ist, der bislang in Europa noch nicht am Markt erhältlich war. Möchte ich ihn aber verkaufen, dann müsste ich diese Sorte registrieren lassen. Das heißt, ich müsste ein sehr aufwändiges Prüfungsverfahren beantragen, das würde dann über mehrere Jahre durchgeführt und kostet einige tausend Euro, und erst wenn dann die Sorte zugelassen ist, dann darf ich Bäume davon verkaufen. Das ist etwas, was ‚Arche Noah’ nicht machen kann, weil einfach zu viel Geld investiert werden müsste, um die Sorte überhaupt in den Verkauf zu bringen. Es wäre besser, wenn man diesen Fund einfach auf den Markt bringen dürfte. Das ist schon eine massive Beschränkung.
Antje: Wenn man das vergleicht mit dem 19. Jahrhundert, wo es das Fieber war, immer neue Sorten zu entdecken, zu beschreiben und zu preisen …
Bernd Kajtna: Das ist ein guter Vergleich, deshalb sind wir heute bestrebt, möglichst viele alte Sorten zu erhalten. Das macht ja nicht nur ‚Arche Noah’; innerhalb der EU ist es ein anerkanntes Ziel, die Biodiversität zu erhalten. Man muss sich mal vor Augen halten, dass diese vielen alten Apfelsorten nie entstanden wären, wenn nicht vor hundert, zwei-, dreihundert Jahren Leute Sämlingsfunde hergenommen hätten, beschrieben und vermehrt hätten.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Antje: Patente auf Pflanzen gibt es ja bis jetzt nur ganz wenige. Da sind noch keine Äpfel darunter, oder?[39]
Eckart Brandt: Nein, ich glaube noch nicht. Es gibt jetzt ja schon genügend Clubsorten: Sorten, wo man erst mal eine Lizenzgebühr bezahlen muss.[40] Clubäpfel sind Neuzüchtungen von Apfelsorten, die gezielt in Auftrag gegeben werden, von Interessentenclubs. Das können also irgendwelche Firmen sein, das kann ein Zusammenschluss von Erzeugern sein … Die geben bei Zuchtinstituten bestimmte Vorgaben ab, so und so soll der Apfel bitte aussehen – und nur die Auftraggeber haben das Recht, diesen Apfel zu vermarkten, jedenfalls über eine geraume Zeit von Jahren. Und die sind dann nicht mehr allgemein verfügbar. Man kann gegen eine Lizenzgebühr natürlich immer Material erwerben, oder auch Äpfel kaufen und weiterverkaufen. Aber da ist dann immer ein Lizenznehmer dazwischen, der seinen Obolus einfordert. Das darf doch nicht auf den ganzen Sektor der Obstwirtschaft ausgedehnt werden, wo es hunderte von Sorten gibt. Das war ja schon häufiger mal ein Ansatz, dass irgendwelche Konzerne versucht haben, eine real schon existierende Sorte, an der sie ein bisschen rumgefummelt hatten, plötzlich mit einem Lizenzzeichen zu versehen, sodass die anderen da nicht mehr ran kamen.
Antje: Wenn Sie jetzt hier eine Sorte einsammeln von jemandem, der die in seinem Garten hat, dann fordert derjenige keine Lizenzgebühr von Ihnen?
Eckart Brandt: Nein, der hat ja in der Regel die Sorte auch nicht erfunden. Also, wenn er jetzt nachweisen könnte, sein Opa hat diese Sorte aus einem Samen gezogen oder so was, dann könnte er das ja mal versuchen, aber er muss ja dann auch einen langen Weg durch irgendwelche Instanzen gehen, dass er das überhaupt anerkannt bekommt. Wir haben hier hinten zum Beispiel einen Roten Holsteiner Cox, und zwar eine rote Mutante. Die hatte eine Baumschule hier im Land Hadeln entdeckt auf ihren Anbauflächen, hat die dann ein bisschen vermehrt und in Umlauf gebracht, und Roter Holsteiner Cox Typ Esselborn genannt. Und als solches läuft der immer noch in der Obstbaugeschichte herum, und die Nachfahren ärgern sich, dass Opa das versäumt hat, rechtzeitig eine Lizenz anzumelden. „Sonst hätten wir heute immer noch kassieren können“, meinten die.
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Institut für Obstbau
Kamil Jeziorek: In Österreich werden im intensiven Obstanbau 3000–3500 Bäume pro Hektar gepflanzt. Sie bauen hauptsächlich rote Sorten und Clubsorten an. Um Clubäpfel anzubauen, müssen Sie die Lizenz kaufen, und es ist nicht gerade selbstverständlich, so viel Geld zu haben.
Antje: Und wer vergibt dafür die Lizenz?
Kamil Jeziorek: Wenn ich der Autor dieser Sorte bin, kann ich die Lizenz vergeben.
Antje: Zum Beispiel Ligol. Gibt es so etwas wie eine Club-Lizenz für den Ligol?
Kamil Jeziorek: Nein, denn diese Sorte stammt aus dem Instytut Sadownictwa in Skierniewice, das ist keine private Institution, es ist eine Institution der Regierung. Sie machen das für unsere Bauern, ohne Lizenz.
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Antje: Wenn Sie diese ganze Arbeit machen, die über viele Jahre läuft, diese Züchtungsarbeit, wie lohnt sich das für Sie?
Markus Kobelt: Nun, das habe ich mit meinem Treuhänder und Steuerberater auch schon diskutiert. Der sagt: „Das lohnt sich gar nicht.“ Und dann sage ich: „Darum gibt es uns.“ Die ganze Geschichte unserer Firma – ich habe vor über zwanzig Jahren allein mit einem kosovo-albanischen Mitarbeiter begonnen, und wir haben Erde geschaufelt, und wir haben getopft und Pflanzen produziert, heute sind wir dreißig bis vierzig Mitarbeiter an zwei Standorten – zeigt eigentlich, dass es funktioniert. Denn die Züchtung neuer Sorten, neuer Produkte, ist der Motor unserer Firma. Ich glaube, etwas Wichtiges ist es, dass wir eigentlich nicht für Erwerbsanbau züchten, sondern zunächst für die Hobbygärtner zu Hause. Damit haben wir ein klares Zielpublikum, das ich immer vor Augen habe, wenn ich selektioniere. Wir verkaufen auch direkt an die Gärtner, also, wir hören es. Ich war dieses Wochenende drei Tage auf Schloss Ippenburg, da war ein Frühlingsfestival, da haben wir hunderte von Gärtnern gesprochen. Da hört man, was die Probleme sind, und kann sich dafür Lösungen vorstellen. Darum haben wir auch eine niedrige Einstiegshürde, Pflanzen auf den Markt zu bringen. Wir haben nicht bei jedem Apfel das Ziel, den ganzen Weltmarkt zu erobern, und am Schluss habe ich gar nichts. Das passiert den staatlichen Forschungsanstalten, die einen Riesenapparat bedienen, um am Schluss vielleicht eine Sorte zu finden, die erfolgreich ist. Wir wollen die ganze Apfelwelt abbilden, von früh bis spät, mit allen Farben, auch unbekannten Farben, mit unbekannten Geschmäckern, und da ist jede Nische für uns interessant. So ein kleiner Apfel, der einen wunderbaren Geschmack hat, leicht rötlich gefärbt, ist für mich den Gedanken wert, den auf den Markt zu bringen, weil der eine ganz spezielle Form hat. Wir können diese Nischen füllen, die Pflanzen auf den Markt bringen und damit direkt einen Rückfluss des Geldes haben. Dann ist natürlich auch für uns die Lizensierung von Sorten an Dritte, für den Erwerbsanbau vor allem, interessant und wichtig, denn das Einkommen, das daraus kommt, ist Direktertrag, Direktgewinn. Das ist bis jetzt vor allem mit den Redloves® und mit ein, zwei von den Paradies®-Sorten gelungen.
Antje: Redlove® ist ja ein Trademark?
Markus Kobelt: Ja.
Antje: Wo muss man das dann eintragen lassen, das Trademark?
Markus Kobelt: Bei den Patentämtern weltweit oder in den Märkten, wo man hinein will, wobei nur der Name geschützt ist, die Marke. Daneben es gibt einen Sortenschutz, damit wird die genetische Einheit geschützt. Da gibt es verschiedene Verfahren: in Europa den Sortenschutz, in den USA auch einen Patentschutz. Und beides können Sie schützen lassen.
Antje: Wie lange gilt der Sortenschutz?
Markus Kobelt: Sortenschutz? Ich glaube, 20 oder 25 Jahre. Markenschutz kann man immer wieder erneuern. Der Unterschied ist: Das europäische System ist so, das finde ich eigentlich sympathisch, dass jeder auch sortengeschütze Sorten benutzen kann, um selber weiterzuzüchten. Ohne diesen Effekt hätten wir zum Beispiel gar nicht beginnen können zu züchten. Inzwischen, nach zwanzig Jahren, leben wir sehr stark von unseren alten Züchtungslinien. Achtzig Prozent der Sorten, die ich zum Kreuzen benutze, sind schon eigene. Aber wenn man startet, holt man sich zunächst mal alles zusammen, was es gibt. Und das wäre in einem amerikanischen System, wo der Patentschutz gilt, nicht möglich. Das amerikanische System hat den Vorteil, dass der Patenschutz letztlich deutlich billiger ist als der Sortenschutz. Der Sortenschutz ist eigentlich für Nischenprodukte, für kleine Züchter, zu teuer. Trotzdem: Entscheidend ist, dass ich jede Sorte, die auf dem Markt ist, auch selber zum Züchten benutzen kann. Das ist schon wichtig.
Antje: Und wie sehen Sie das, wenn jetzt dieses amerikanische Handelsabkommen kommen wird, also TTIP[41]? Es gibt ja zwei Handelsabkommen, die gerade diskutiert werden: mit Kanada und mit Amerika.
Markus Kobelt: Gut, ich kenn da die Details nicht. Wenn es so wäre, dass wir die Sorten dann nicht mehr selber zum Züchten benutzen könnten, fände ich das schade. Das führt schlussendlich zu Monopolisierungen. So Firmen wie wir hätten dann viel mehr Schwierigkeiten, in den Markt einzusteigen. Trotzdem, solange in Europa für europäische Sorten das alte Recht weiter gelten würde, denke ich, würde das weitgehend genügen. So wichtig sind dann die amerikanischen Sorten bis jetzt auch nicht.
- Wie entstehen neue Sorten?
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Eckart Brandt: Dieser heißt Filippas Apfel, mit „F“, dänisch nämlich. Das ist eine Tochtersorte vom berühmten Gravensteiner, und da weiß man auch die Geschichte genau. Er geht nämlich zurück auf eine dänische Lehrerstochter, die Filippa Johansen hieß. Die wollte Experimente machen mit dem Nachziehen von Apfelbäumen und hat zwei Gravensteiner-Kerne in einen Blumenpott gepflanzt. Die kamen auch beide auf, und als die Bäume dann etwas größer wurden, wurden sie in den Garten verpflanzt. Dann kam eine streunende Kuh und fraß einen der beiden Sämlinge, bevor er überhaupt irgendwie zum Blühen oder zum Tragen kam. Der andere aber überlebte und trug diese wunderschönen Äpfel, die auch herrlich duften; und der Apfel wurde dann Filippas Apfel genannt.
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Institut für Obstbau
Prof. Andrzej Przybyła: Das ist der Ligol. Es stammt aus einer Kreuzung von Linda und Golden Delicious. Ich habe ihn 1972 gezüchtet – und ich musste viele Jahre lang warten, aus verschiedenen Gründen … Aber zu guter Letzt entschieden die Produzenten, dass er wirklich gut ist, und er hat sofort einen so hohen Ertrag ermöglicht … (lacht). Es gibt einen weiteren Vorteil von Ligol: Sie können ihn das ganze Jahr lang lagern, zwölf Monate lang oder länger, ohne dass sich seine Eigenschaften ändern.
Antje: Wow, wie haben Sie das geschafft?
Prof. Andrzej Przybyła: (lacht) Mit Glück. Das braucht man auch bei der Züchtungsarbeit, um Erfolg zu haben. Im Institut haben meine Freunde viele tausend Sämlinge und keine Ergebnisse. Hier waren es nur etwa zwanzig Sämlinge, und zwei super Sorten: Ligol und Ligolina. Ligolina ist die Schwester von diesem hier.
Kamil Jeziorek: Ein Mann mit viel Glück.
Industrieller Apfelanbaubetrieb, Michrow, Polen
Marian Orzeszek: Sowohl Ligolina und Ligol werden hier angebaut. Ligol trägt etwas kleinere Früchte. Die Sorte Ligolina ist viel bemerkenswerter.
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Institut für Obstbau
Prof. Andrzej Przybyła: Die Zuchtprogramme haben im 19. Jahrhundert begonnen. Vorher war es zufällig. Wenn Sie eine neue Sorte züchten wollen, sollten Sie sich zunächst für ein Ziel entscheiden. Wonach suchen wir? Nach Resistenzen? Nach rotem Fleisch, nach der Form, oder nach einer sehr langen Lagerbarkeit? Und wenn wir uns entschieden haben, suchen wir dafür die Eltern. Wer wird die Mutter, wer der Vater …? Dann gehen wir in den Sortengarten oder den Botanischen Garten, wo die Eltern der neuen Schöpfung wachsen. Der erste Schritt ist die Emaskulation der Mutter, und nächste Schritt ist die Bestäubung mit dem Pollen des Vaters. Danach warten wir und bekommen Kerne. Wir lassen die Kerne keimen und treffen eine Auswahl unter den Nachkommen und suchen nach dem gewünschten Ziel.
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Markus Kobelt: Meine Assistentin ist in der Schweiz jetzt gerade daran, Kreuzungen zu machen. Hat ein bisschen Pech, weil jetzt schlechtes Wetter ist. Sie muss immer, wenn mal die Sonne scheint, rausrennen und bestäuben. Das geht so: Man entscheidet: „Das ist die Vatersorte, das ist die Muttersorte.“ Bevor die Blüte aufgeht, wenn die Blüte im Ballonstadium ist, werden die Bäume der Muttersorte mit insektensicheren Netzen eingepackt, damit keine Insekten reinkommen und Fremdbefruchtung machen können. Und dann gehen wir zur Vatersorte und schneiden die Staubfäden hier raus; trocknen sie an der Sonne, mit Licht oder auch ohne Licht – da gibt es verschiedenen Schulmeinungen –, bis der Pollen rauskommt, wenn man so ein bisschen schüttelt. Dann gehen wir im richtigen Moment, wenn die Blüte der Muttersorte aufgegangen ist, mit dem Pinsel heran und befruchten die Blüte mit dem Vaterpollen. Und nachher gibt es Äpfel; die Äpfel werden entkernt, die Kerne werden rausgenommen; sie werden stratifiziert, also, die Winterruhe wird gebrochen. Sie werden ausgesät, und dann gibt es Sämlinge.
Wir produzieren jedes Jahr 15.000 bis 25.000 Sämlinge in unserem Apfelzüchtungsprogramm, also ein ganze Menge. Die werden schon im Zwei-, Dreiblattstadium auf Schorf getestet, und die, die Schorf bekommen, werden gleich weggeschmissen. Nur die Resistenten überleben. Dann lassen wir sie ein Jahr lang im Topf wachsen. Und dann machen wir eine leichte Selektion auf Mehltau und auf bestimmte Wuchstypen. Wenn wir das Ziel haben, einen Säulenbaum zu haben, werden wir alle, die keinen Säulenwuchscharakter haben, ausschließen. Wenn wir das Ziel haben, einen rotfleischigen Apfel zu haben – und wir haben eine Genetik wie bei den Redloves®, wo Rotfleischigkeit sich rot im roten Austrieb zeigt –, werden wir alle, die nicht rot sind, wegschmeißen. So können wir dann die Mengen reduzieren, und nach einem Jahr nehmen wir die Spitze dieses kleinen Bäumchens, veredeln es auf eine schwach wachsende Unterlage, auf einen Wurzelstock, und machen damit einen Baum. Der Baum wird dann in die Obstanlage gepflanzt, in unsere Zuchtanlage in Buchs, und da lauf ich dann am Sonntagnachmittag und am Abend, und immer wenn ich Zeit habe, durch und esse Äpfel – von Mitte Juli bis Mitte Oktober. Ich esse pro Jahr vielleicht drei-, vier-, fünftausend Äpfel. Essen heißt: ein Biss, und eine Entscheidung.
Antje: Wie viele Sorten haben Sie insgesamt? Apfelsorten?
Markus Kobelt: Das weiß ich gar nicht. Ich habe in den letzten zwanzig Jahren über hundert neue Sorten rausgebracht für den Hausgarten, alle Sorten zusammen, nicht nur Äpfel … Wir haben bis jetzt zwei Miniapfelsorten. Wir haben vier Redloves® … gibt sechs. Dann haben wir, glaub ich, fünf Säulenbäume … elf. Dann haben wir auch über zehn Paradies®-Äpfel … Es sind schon über zwanzig verschiedene Apfelsorten, die wir in den letzten zwanzig Jahren rausgebracht haben, wobei die Produktivität natürlich zunimmt. Wenn man ein Züchtungsprogramm vor jetzt 23 Jahren begonnen hat, dann beginnt das nach etwa 12 Jahren zu fließen. Da kommen dann die ersten Sorten, und das jetzt wird immer mehr, und immer besser.
Antje: Und diese Zigtausend, die Sie im Feld stehen haben, sind im Prinzip auch Sorten, nur dass sie noch niemand benannt hat. Können Sie vielleicht diesen Moment beschreiben, in dem Sie sagen: „Das hier ist jetzt eine neue Sorte.“?
Markus Kobelt: Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste ist: Man läuft bei bestimmten Kreuzungen durch und versucht, das Beste herauszufiltern. Das ist harte Arbeit. Da muss man sich die Kriterien im Kopf zurechtlegen, und man geht raus und sagt: „Ja, ich möchte die besten zehn Prozent rausfiltern.“ Dann gehen die in die zweite Teststufe, und vielleicht in die dritte, und vielleicht kommt eine Sorte dabei heraus. Und dabei gibt es immer noch magische Momente, wo man genau weiß: von diesen Zwanzig ist es jetzt der.
Aber was es auch gibt: dass man durch die Sämlinge durchläuft, also durch die tausende durchläuft, einen Apfel sieht und irgendwie weiß: „Heureka, das wird eine Sorte!“ Und fast immer, wenn es so ist, wird es auch was besonders Gutes. Und wenn man nachher zu den Urnotizen zurückgeht, die man beim ersten Mal, am ersten Tag, an dem man ein bisschen gegessen hat, geschrieben hat, dann stimmen die. Das ist wie beim Wein degustieren. Wenn Sie den ersten Eindruck in Worte fassen können, ist das immer der beste.
Ich bin vor etwa zwölf, dreizehn Jahren mal mit meinem Cousin – der ist Psychiater und wollte mal was Richtiges tun, was Bodenständiges – einen Nachmittag lang durch die Äpfel gelaufen, und da hat er mir zwei Äpfel selektioniert. Ich kann mich an den Nachmittag erinnern, ich kann mich an die Äpfel erinnern, und beide sind Sorten geworden. Den Moment gibt es.
Luther Burbank[42] war ein amerikanischer Züchter, Ende des 19., Beginn des 20. Jahrhunderts. Er war der produktivste Züchter, den es je gab. Man sagt, er hat 500 Sorten herausgebracht. Ganz verrückt. Er wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts belächelt und kritisiert von den Züchtungswissenschaftlern, weil sie gesagt haben, das ist unwissenschaftlich. Der hat auch immer erzählt, dass da ein mythisches Moment dabei ist beim Züchten. Ich denke, er hat aber Recht! Und niemand von seinen Nachfolgern ist so produktiv gewesen wie er. Er hat im Prinzip das Wissen, das er hatte – ein bisschen Darwin, ein paar andere Sachen, aber er hat Mendel nicht vollständig wahrgenommen –, zusammengebracht mit seiner Intuition, und das ist immer um Welten besser, glaube ich, als Wissenschaft.
Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Pillnitz, Deutschland
Dr. Henryk Flachowsky: Die systematische Züchtung beim Obst existiert erst im 20. Jahrhundert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit der Wiederentdeckung der Vererbungsregel von Gregor Mendel und der Entdeckung des Gens als kleinster Einheit der Träger von Merkmalen, ist man dazu übergegangen, dass man Merkmale ganz gezielt zwischen Eltern kombiniert hat, indem man Kreuzungen durchführte und dann die Nachkommen auslas, die die gewünschten Merkmale in sich trugen. Einer der Pioniere der systematischen Pflanzenzüchtung war Erwin Baur[43] in Müncheberg bei Berlin. Dort hat man schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen, ganz gezielt Schorfresistenzzüchtung zu betreiben, Frostresistenzzüchtung zu betreiben.
Antje: Pillnitz ist ja bekannt für die Zuchterfolge, die hier stattgefunden haben, Pinova zum Beispiel … [44]
Dr. Henryk Flachowsky: Ja, in Pillnitz haben wir bei den Apfelsorten zwei Zuchtreihen. Wir haben einmal die aus dem Qualitätsobstbereich, da fangen die Sorten alle mit „Pi“ an – Pinova, Pivita, Pisaxa, Pirella –, da kann man sofort erkennen, die kommen aus Dresden-Pillnitz. Und dann haben wir ein Resistenzzüchtungsprogramm. Diese Sorten fangen alle mit „Re“ an: Regia, Rewena, Releika … Das Problem in der Züchtung ist einfach, dass viele Resistenzmerkmale nicht im Pool der Kultursorten zu finden sind. Da müssen wir Kreuzungen machen mit Wildarten. Wenn Sie sich mal so eine Apfelwildart angeschaut haben, dann haben Sie dort sehr, sehr kleine Fruchtgrößen. Da ist eine Frucht so groß wie der Nagel vom kleinen Finger, oder vielleicht vom Daumen. Wenn Sie das als Kreuzungspartner verwenden, dann haben die Nachkommen ähnlich kleine Früchte. Das heißt, Sie werden dort nicht so schnell wieder eine Sorte züchten können, deren Früchte Sie am Markt erfolgreich verkaufen können. Deswegen gibt es diese zwei Reihen: die „Pi“-Reihe, wo wir auf Qualität züchten, um jetzt schon mit Sorten an den Markt zu kommen, und die Resistenzzüchtungsreihe, wo wir versuchen, Resistenzen weiter zu entwickeln und das Zuchtmaterial dahin zu trimmen, dass wir irgendwann große Früchte ernten können, die qualitativ vergleichbar sind mit denen der aus der „Pi“-Reihe.
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Antje: Bei den Lubera-Sorten sind mir besonders diese Redlove®-Sorten aufgefallen, weil die hier was ganz Spezielles sind, was andere Züchter nicht haben.
Markus Kobelt: Das hängt mit unserer Ausrichtung zunächst auf den Hausgartenmarkt zusammen. Wir züchten zunächst mal, im ersten Durchgang, vor allem Sorten für den Hobbygärtner. Der hat ganz andere Bedürfnisse als der Erwerbsanbauer. Er möchte etwas haben, was resistent ist. Darum haben wir in alle unseren Sorten, auch in die Redloves®, mindestens Schorfresistenz eingezüchtet. Er möchte etwas, was einfach zu kultivieren ist; was nicht extrem wächst, nicht alterniert, sondern möglichst schnell nach zwei, drei Jahren Früchte gibt; möchte etwas, was gut schmeckt; und das vierte Kriterium ist: Er möchte vielleicht etwas Anderes, ja? Etwas, was nicht das Gleiche ist wie beim Nachbarn. Und da kam mir die Idee, rotfleischige Äpfel zu züchten. Wir züchten auch samenlose Äpfel, aus der gleichen Überlegung heraus. In der Natur gibt es in der Bibliothek der alten Sorten und der Wildsorten rotfleischige Äpfel: in der Regel ungenießbar, sehr sauer, sehr bitter. Da haben wir getestet, welche sich am besten für die Züchtung eignen; haben dann über zwei Generationen – jetzt sind wir teilweise schon in der dritten, vierten und fünften Generation – Tafeläpfel rausgezüchtet, die gut schmecken, die einfach zu kultivieren sind, die schorfresistent sind, und die eben anders sind. Die rot blühen, roten Austrieb haben, rotes Fruchtfleisch, und letztlich auch ein ganz anderes Benutzungsprofil haben als der Apfel. Man sollte eigentlich von einer neuen Obstart sprechen.
Antje: Aber genetisch gesehen sind sie Äpfel. Und wie groß ist da der Anteil vom Wildapfel?
Markus Kobelt: Ich würde sagen, nicht größer oder nicht viel größer als bei anderen Tafelsorten. Weil natürlich über die laufende Rückkreuzung der Anteil des Wildapfels immer kleiner geworden ist. Nur hat es trotzdem andere Geschmackssachen reingebracht. Der rote Farbstoff und einige begleitende Polyphenole führen dazu, dass es eben saurer und bitterer ist, und das gibt ein anderes Geschmacksprofil. Niemand möchte Rotweine, die genau gleich sind wie Weißweine, und so sage ich auch, ein Redlove® sollte zum Schluss nicht genau gleich schmecken wie ein Golden, sondern er sollte ein anderes Profil haben. Letztlich ein Geschmacksprofil, das interessanter, spannender und vielschichtiger ist als beim Apfel. Als Züchter weiß ich, dass Redloves® objektiv vor allem in der Textur noch nicht ganz gleich einfach zu essen sind wie Äpfel. Man könnte auch sagen: dass sie da etwas schlechter sind. Aber wenn ich einen halben Tag lang in den Redloves® gearbeitet habe, und gehe nachher in normale Äpfel rein, ist es mir langweilig. Die sind schlichtweg interessanter.
Antje: Könnten Sie vielleicht einige Wildsorten nennen, die rotfleischig sind?
Markus Kobelt: Es gibt ja Zieräpfel, viele, auch hängende, Zieräpfel, die rotfleischig sind. Es gibt einen Mostapfel in Deutschland, der noch gar nicht so alt ist, der rotes Fruchtfleisch hat, da gibt es sehr viel Material. Wir haben eine Sorte namens Geneva eingekreuzt. Wir versuchen immer noch neue Quellen zu finden und zu schauen, ob es andere Genetik gibt, die vielleicht interessant wäre. Wir haben jetzt wieder aus einem botanischen Garten mehrere Sorten eingekreuzt, um zu schauen, ob die vielleicht etwas mehr beitragen als das, was wir haben. Bin aber eher skeptisch. Wir kommen mit den Züchtungssträngen, die wir haben, relativ gut vorwärts. Aber am Schluss liegt es eben dann auch am Züchter, sich zu entscheiden: „Will ich etwas, was genau gleich ist wie ein Gala oder Elstar, nur zufälligerweise rot? Oder will ich versuchen, etwas komplexeres Neues zu finden?“ Es ist die Genetik, die die Möglichkeiten vorgibt, aber es ist dann der kreative Moment des Züchtens und Selektionierens, wo man sagt: „Das möchte ich jetzt und eben nicht das.“
Abteilung für Genetische Ressourcen und Sortengarten, Institut für Gartenbau und Blumenzucht, Skierniewice, Polen
Grzegorz Hodun: Wir sind stehen hier im Versuchsgarten des Instituts für Obstbau. Die Versuchsanlage in Dąbrowice führt alle Arten von Forschungen durch und dient dem Schutz der genetischen Ressourcen durch einen Sortengarten. Die Forschung umfasst Sorten, Krankheiten, agrotechnische Verfahren, also praktisch jeden denkbaren Bereich. Agrotechnische Verfahren umfassen verschiedene Baumschnitt-Techniken und alle Krankheiten. Wir führen auch Forschungen durch, um zum Beispiel zu bestimmen, welche Unterlagen am besten für bestimmte Sorten geeignet sind. Im vergangenen Jahr habe ich mit einem Experiment an siebzig Sorten begonnen, die im Freiland schorfresistent sind, aber ich muss dies überprüfen und herausfinden, ob es von dem Ort abhängt, auf dem sie wachsen, oder ob diese Sorten tatsächlich Gene besitzen, die sie resistent gegen Apfelschorf machen. Es wird deshalb gerade eine genetische Untersuchung durchgeführt. Das Institut hat auch eine Abteilung für Pflanzenzucht, die spezialisiert ist auf die Züchtung neuer Sorten. Einer der Schwerpunkte ist es, Sorten zu züchten, die gegen Krankheiten weniger anfällig oder ganz resistent sind – also in der klassischen Züchtungsarbeit Sorten zu kreuzen, die Resistenzgene gegen Apfelschorf haben, um Nachkommen zu erzeugen, die sehr resistent oder immun gegen Schorf sind.
Bio-Hof Bölingen, Grafschaft, Deutschland
Bert Krämer: Ich komme vom Bio-Hof Bölingen aus Grafschaft, das ist im südlichen Rheinland, an der Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Wir haben seit 29 Jahren einen biologischen Obstbaubetrieb mit circa 25 Sorten, die wir verkaufen, und circa 7 Sorten, die bei uns im Test sind. Wir haben ganz alte Sorten wie die Ananasrenette, die circa 400 Jahre alt ist; und im Test sind Sorten, die ganz neu auf dem Markt erscheinen sollen. Das heißt, Züchter geben uns Bäume, um die drei, vier Jahre lang zu testen: Wie verhält der Baum sich im biologischen Anbau, welche Fruchteigenschaften hat er? – Zum Beispiel kann der Apfel sehr schön glatt und farbig sein, aber er kann durch die Mittel, die wir im biologischen Anbau einsetzen, eine stärkere Berostung bekommen, eine raue Haut, und das ist dann teilweise unerwünscht. Und wir prüfen natürlich den Geschmack und das Ertragsverhalten. Ob die Sorte lecker ist, ob die schön aussieht, ob die sich lange hält, ob die beim Verbraucher ankommt – das ist dann die Sache, die in den nächsten fünfzehn Jahren in der Regel getestet wird. Bis ein neuer Apfel am Markt erscheint, sodass Menschen den Namen zum ersten Mal hören, vergehen in der Regel fünfzehn bis zwanzig Jahre.
Man will im Endeffekt bei der Züchtung bestimmte Sachen verstärken und hat dann auf bestimmte Inhaltsstoffe nicht kontrolliert oder darauf verzichtet, weil man bei der Züchtung nicht alles berücksichtigen kann. Man muss bestimmte Schwerpunkte berücksichtigen, und das sind in den letzten 50 Jahren ganz klar Aussehen, Haltbarkeit und Geschmack gewesen, nicht die Inhaltsstoffe. Dadurch, dass man den Golden Delicious mit eingekreuzt hat – in 80 % unserer heutigen Apfelsorten ist in irgendeiner Vater-Mutter-Position der Golden Delicious mit drin –, hat man eine genetische Einsamkeit bekommen. Der französische Staat hat im Kaukasus Genmaterial genommen und versucht, das in eine neue Züchtung miteinzubeziehen. Da gibt es schon den ersten Apfel auf dem Markt, und man hat gedacht, der wäre gegen bestimmte Sachen resistent, hat aber nach fünf Jahren schon festgestellt, dass die Resistenz durchbrochen ist. Also, so einfach ist es nicht, bestimmte Eigenschaften mit wenigen Züchtungsjahren in einen Apfel wieder einzupflanzen. Hier habe ich den Topaz, das ist ein Apfel, der bis vor zwei Jahren resistent gegen den Apfelschorf war. Die ist allerdings in den letzten zwei Jahren in vielen Regionen, in Holland oder auch in Deutschland, durchbrochen worden, sodass man hier nicht mehr von einer Resistenz sprechen kann, weil alle Pilze sich sehr schnell auf so einfache Resistenzen einstellen können.
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Institut für Obstbau
Antje: Golden Delicious, Gala, Jonagold, Granny Smith, Pink Lady – das sind alles Äpfel, die nur in Symbiose mit Chemikalien existieren können. Wie sehen Sie das?
Prof. Andrzej Przybyła: Die Menschen wollen Obst haben. Und natürlich können wir das auf ökologische Weise produzieren, aber solche Äpfel werden immer teurer sein, nicht für jedermann. Aber alle wollen Obst essen. Es bedeutet, dass wir zwei Richtungen in der Produktion haben. Bisher wurden viele Sorten vor allem für den industriellen Anbau verwendet. Und solche Sorten sind natürlich sehr ertragreich, sehr attraktiv, und schmecken sehr gut. Aber sie benötigen Chemikalien. Und wir wollen diese Chemikalien nicht dem menschlichen Organismus geben – das ist sehr gefährlich. Im Falle von McIntosh musste man nach jedem Regen spritzen! Und solche Äpfel, chemische Äpfel … Ich glaube nicht, dass sich keine Chemikalien im Apfel ablagern, wenn Sie so oft spritzen … Außerdem ist es schlecht für die Umwelt. Wenn wir die Umwelt schützen wollen, ist es notwendig, nicht zu viele Chemikalien zu verwenden. Oder spezielle Chemikalien. Wir sollten weniger Chemikalien verwenden, indem wir neue Sorten schaffen. Immer wieder neue Sorten, die weniger anfällig sind für Krankheiten. Aber die Krankheiten entwickeln sich ebenfalls und brechen die Resistenz. Und das ist das Problem, deshalb ist die Züchtung eine nie endende Aufgabe.
Wir verwenden viele Wildarten im Fall von Äpfeln, in die wir zum Beispiel Widerstandsfähigkeit gegen Schorf einbauen wollen, gegen sehr wichtige Krankheiten. Malus atrosanguinea[45], Malus baccata … Aber sehr oft nehmen wir auch alte Sorten für unsere Zuchtprogramme, historische Sorten. Solche historischen Sorten sind sehr wichtig. Wissen Sie warum? Weil sie vor hundert Jahren oder mehr angebaut wurden. Und in dieser Zeit gab es noch keine Chemikalien zum Spritzen. Und wir haben solche Sorten! Zum Beispiel der Weiße Klarapfel (White bzw. Yellow Transparent) – er ist frostbeständig, mehr oder weniger schorfresistent, resistent gegen Mehltau. Oder Antonowka. Auch Kosztela, der schmeckt wirklich gut und ist eine typisch polnische Sorte.
Solche Orte wie Kasachstan und die anderen Republiken darum herum, die eine Population von Malus sieversii haben, sind sehr interessant für Züchter, denn wenn es Millionen von Bäumen gibt, können Sie immer einen auswählen, der die besten Eigenschaften hat. In der Vergangenheit war es üblich, beispielsweise im Kaukasus, dass Menschen die besten Bäume aus ganzen Wäldern von Fruchtbäumen auswählten und für ihre Gärten mitnahmen.
Antje: Die wild wachsenden Wälder sind also ein gigantisches Labor, etwa wie Ihr Labor – wo auf natürliche Weise Millionen von verschiedenen Individuen …
Prof. Andrzej Przybyła: … viele Kombinationen herstellen, weil sie heterozygot sind, was bedeutet, dass sie Mutter und Vater haben – und wenn die sich kreuzen, werden die Merkmale gemischt, und Sie haben eine Riesenauswahl von allem. Die gleiche Art, aber so viele Merkmale, dass Sie die besten wählen können. Das haben wir beispielsweise mit der Schorfresistenz bei Malus floribunda[46].
Antje: Wenn man eine Analogie zwischen Äpfeln und Menschen ziehen würde, könnte man sich vorstellen, eine ganze Stadt wäre das Gleiche wie ein Wald, mit all diesen unterschiedlichen Menschen, die alle Sex haben und Kinder bekommen und Eltern haben können. Und eine Industrieapfelplantage wäre eine Stadt voller identischer Klone. Tausende Male dieselbe Person, die man in vielen Exemplaren und manchmal über viele Jahrhunderte weiterleben lässt. Wenn sich beispielsweise Schorf entwickelt, dann haben die Gene dieser Klone, die vorher vielleicht resistent waren, keine Chance, sich weiterzuentwickeln, wie bei Kindern, die aus Sex entstehen und immer neue Kombinationen und manchmal Mutationen sind … Diese Wälder zu retten, ist also sehr wichtig. Es würde bedeuten, dass man zumindest eine Stadt in der Welt hat, in der die Bürgerinnen und Bürger Sex haben können, mit wem sie wollen, und Zufallskinder; und einige von ihnen können sehr intelligent sein, einige von ihnen stark, viele einfach durchschnittlich … Was wir also auch für die Menschen wollen, dass sie sehr unterschiedlich sein können. Jetzt haben wir noch all diese Gesetze gegen die Züchtung von Menschen, das halte ich für richtig, dass man nicht entscheiden kann, welche Art von Kind man haben will.[47]
Kamil Jeziorek: Wenn Sie einen roten Vater und eine rote Mutter haben, werden Sie nie ein gelbes oder grünes Kind bekommen. Wenn Sie eine neue Sorte mit grüner Haut wollen, können Sie nicht Gala und Ligol nehmen. Es ist also eine Wahl. Aber wenn Sie versuchen, neue Sorten zu finden, haben Sie neue Möglichkeiten. Jede neue Sorte ist eine neue Genbank. Wie in einem Wald.
Antje: Aber nur so als Spekulation: Während sich die Menschen immer mehr in der Welt mischen und wir eine Menge von verschiedenen Kombinationen von Hautfarben und so weiter haben, werden gleichzeitig die Apfelsorten weniger und weniger. In China finde ich die gleichen Gala, Pink Lady, Golden Delicious und so weiter. Sie haben nur zehn bis fünfzehn verschiedene Sorten von Äpfeln, die weltweit erfolgreich sind. Seltsame Koinzidenz.
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Antje: Der „Nestor der deutschen Pflanzenzüchtung“ Erwin Baur war aktiv bei den Nazis. Am Anfang der wissenschaftlichen Pflanzenzüchtung steht auch die Idee von Menschenzüchtung, die dann zu schrecklichen Dingen geführt hat. Bei der Pflanzenzüchtung habe ich das Gefühl, das, was jetzt so global angebaut wird, diese Monokulturen von ganz wenigen Sorten – wenn man das auf Menschen übertragen würde, dann würde einem schwindlig. Deswegen finde ich es so wichtig, dass es eine Vielfalt gibt an ganz vielen verschiedenen Apfelsorten und Möglichkeiten von einer Pflanze, sich auszudrücken.
Markus Kobelt: Historisch, durch Darwin, auch teilweise durch ein Missverständnis von Darwin, hat man halt Anfang des 20. Jahrhunderts gefühlt: Alles ist machbar. Und hat da, denk ich, über die Stränge geschlagen. Es sind nicht alle schlechte Menschen gewesen, die da komische Gedanken hatten. Aber die hatten wirklich teilweise komische Gedanken.
- Kann Gentechnik die Probleme der Apfelbauern lösen?
Warschauer Naturwissenschaftliche Universität (SGGW), Institut für Obstbau
Prof. Andrzej Przybyła: Heute forschen wir mit Hilfe der Biotechnologie. Wir forschen daran, spezifische Gene einführen zu können. [48] In diesem Augenblick beurteilen wir in meinem Labor für molekulare Marker, welche Gene verantwortlich sind für dieses oder jenes Merkmal. Zum Beispiel suchen wir nach Genen, die für die Resistenz gegen Feuerbrand, Erwinia amylovora[49], verantwortlich sind. Wir haben ein solches Gen gefunden, und als nächsten Schritt können wir die Transformation durchführen.
Auch die Anforderungen unterliegen einer Entwicklung. Jetzt suchen wir zum Beispiel nach Äpfeln mit rotem Fleisch. Weil Flavonoide gegen Krebs wirken usw., wissen wir, dass diese Chemikalien für unsere Gesundheit sehr wichtig sind. Dann suchen wir auch nach Äpfeln für Menschen, die Allergien haben. Hier in Europa haben viele Menschen Allergien gegen Birke, und die Allergene der Birken und der Äpfel sind fast identisch. Wer also eine Birkenallergie hat, wird mit ziemlicher Sicherheit auch eine Apfelallergie entwickeln. Golden Delicious und Pinova sind an der Spitze der Liste von Äpfeln, die Allergien auslösen.
Antje: Denkt man darüber nach, Gene aus anderen Pflanzen in Äpfel einzuführen?
Prof. Andrzej Przybyła: Nun – das wäre ein Problem, weil es verboten ist (lacht). Der Anbau von solchen Neuschöpfungen …
Antje: Im polnischen Recht?
Prof. Andrzej Przybyła: Überall in Europa. Aber im Moment gibt es eine andere Methode. Wir können Gene von Eltern einführen, die zwischen ihnen gekreuzt werden. Das bedeutet, dass wir Gene von einer Sorte verwenden, von einer Art von Apfel, und sie dann in die andere Sorte Apfel übertragen. Und auf diese Weise arbeiten wir die ganze Zeit mit Äpfeln.
Antje: Und passiert das bereits in anderen Ländern?
Prof. Andrzej Przybyła: Ja, in den Niederlanden zum Beispiel …[50]
Antje: Aber wenn Sie nur Gene von einem Apfel auf einen anderen übertragen, können Sie es auch auf natürliche Weise tun …
Prof. Andrzej Przybyła: Ja, das könnten Sie! Aber Sie müssen viele, viele Jahre warten! Aber wenn Sie so eine Art der Transformation machen, haben Sie nach ein, zwei Jahren Ergebnisse.
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Antje: Sind für Sie in der klassischen Züchtungsarbeit die Wildäpfel wichtiger, oder die alten Sorten, oder wie gehen Sie vor?
Markus Kobelt: … Eklektisch. Das, was ich gerade brauche. Man muss auch sagen, ein Leben dauert siebzig, achtzig, neunzig Jahre; eine Züchtungsgeneration zehn Jahre; eine Sorte vielleicht zwölf bis achtzehn, zwanzig Jahre … Man muss sich auch Ziele setzen. Das heißt, wir arbeiten fast nicht direkt mit Wildäpfeln. Ich nehme gern das Bild vom Zwerg auf den Schultern vom Riesen. Unsere Vorgänger, die gezüchtet haben, auch die Kollegen, die züchten und solche Basisarbeit machen, das sind die Riesen, und ich bin der Zwerg, der auf der Schulter sitzt. Aber ein bisschen weiter sehe ich. Und ich benutze das, was sie genommen haben. Wenn ich wieder ganz heruntersteige und mit der Basis anfange, das ist einfach nicht effizient. Es ist super – das ist übrigens die Aufgabe, die ich schon bei den Forschungsanstalten sehe –, wenn wieder neue Wildäpfel eingekreuzt werden. Aber das kann ich privat schlichtweg nicht finanzieren. Und da nehme ich mir da alte amerikanische Sorten für samenlose Äpfel – da nehme ich eine Mostapfelsorte für Rotfleischigkeit, oder was auch immer, und versuche, zu neuen Resultaten zu kommen.
Antje: Ihre Äpfel haben verschiedene Resistenzen, die Sie mit einzüchten. Um was handelt es sich da im Einzelnen?
Markus Kobelt: Zunächst versuchen wir, als Basis eine ganz einfache VF-Schorfresistenz einzuzüchten – versuchen aber, durch die Auswahl der Eltern möglichst auch polygene Resistenzquellen einzuzüchten. Zum Beispiel gibt es frühe Sorten, wie unsere Sorten Julka und Katka, das ist so ein Züchtungsstrang, der von Discovery, von englischen und amerikanischen Sorten, herkommt und eine polygene Resistenz gegen Schorf hat. Auch die versuchen wir einzuzüchten und zu kombinieren. Und dann machen wir einen extrem reduzierten Pflanzenschutz während den sieben, acht Jahren in der Züchtungsanlage; die werden die ersten zehn Jahre gar nicht gespritzt. Dann kam es aber zu sekundären Pilzkrankheiten. Zum Beispiel hat die Sternrußkrankheit dazu geführt, dass die Äpfel nur noch braun sind. Dann ging das nicht. Heute machen wir ungefähr ein bis drei Pflanzenschutzeinsätze in der Anlage. Das ist halt doch eine Monokultur. Es stehen da zwanzig-, dreißigtausend Apfelbäume. Aber mehr machen wir nicht. Das heißt, allein schon optisch, dass man natürlich einen kranken Baum nicht auswählt, haben wir da noch mal ein gutes Selektionskriterium. Mehltau zu selektionieren ist schwierig, trotzdem werden auch da extrem anfällige Sorten nicht selektioniert. Es gibt kein Früherkennungsmerkmal beim Mehltau. Der Mehltau an juvenilen Pflanzen ist nicht der gleiche wie an einer adulten Pflanze. Darum ist es schwierig, das früh zu selektionieren. Und an Feuerbrand haben wir jetzt sechs Jahre sehr intensiv gearbeitet.
Antje: Der ist ja auch in den letzten zwanzig Jahren so gefährlich geworden …
Markus Kobelt: Ja, gut, der ist halt importiert worden. Immer, wenn eine Krankheit in einem anderen Kulturraum verbreitet ist und in einen neuen Kulturraum kommt, dann durchseucht sie das mal. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen für die Globalisierung, denke ich, den wir auch gerne zahlen können. Man kann nicht das Eine haben und dann das Andere nicht haben, damit muss man leben.
Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Pillnitz, Deutschland
Antje: Wenn der Erwerbsobstbauer aus Polen überhaupt überleben will, dann muss er den Einsatz an Arbeitskraft reduzieren, den diese vielen wöchentlichen Spritzungen von welchen Mitteln auch immer bedeuten. Und das geht eigentlich nur über Resistenzen …
Dr. Henryk Flachowsky: Ja, wir wissen aus unserem klassischen Züchtungsprogramm, dass ein Schorfresistenzgen ausreicht, um in vielen Teilen Deutschlands die Applikationen gegenüber Schorf auf ein bis zwei Spritzungen zu reduzieren. Wir kommen von siebzehn Pflanzenschutzmittelbehandlungen auf zwei Pflanzenschutzmittelbehandlungen runter. Das heißt: Mit einem Gen können wir schon eine ganze Menge bewirken. Selbst in Gebieten, wo diese Resistenz gebrochen ist und es Schorfrassen gibt, die trotzdem die Sorte befallen können, reichen ein bis zwei Fungizidbehandlungen im Jahr aus. Das zeigt eigentlich, welches Potential in Pflanzenzüchtung steckt – unabhängig davon, ob wir über Cis-Genetik oder über klassische Verfahren reden. Mit klassischen Verfahren können wir dasselbe schaffen wie mit gentechnischen Verfahren, nur dort brauchen wir eben viele Jahrzehnte, um verschiedene Resistenzen zu kombinieren. Mit gentechnischen Verfahren könnten wir es in einem wesentlich kürzeren Zeitraum schaffen, viele Resistenzen zu kombinieren, um dann solche Sorten zu entwickeln. Das ist technisch möglich.
Das ist ein In-vitro-Kulturen-Raum. Hier werden verschiedene Apfelsorten, Apfelgenotypen in der In-vitro-Kultur gehalten. Das sind Sprossspitzenkulturen, die auf einem künstlichen Nährmedium wachsen – die stehen einfach nur als Spross mit Blättern ohne Wurzeln hier und können sehr lange Zeit kultiviert werden. Das ermöglicht es uns, Experimente in kleinem Maßstab zu machen, oder auch Material anzuziehen für Gewächshausversuche, beispielsweise, wenn wir Inokulationen durchführen mit verschiedenen Erregern, die Krankheiten hervorrufen. Wir haben eine ganze Reihe von Pilzkrankheiten im Apfelanbau: Schorf ist ein Pilz, Mehltau ist ein Pilz; zunehmend auch Blattfall-Krankheiten – Marssonina coronaria ist ein Pilz, der in den letzten Jahren in der Bodenseeregion und im ökologischen Anbau große Probleme bereitet. Wir machen auch Experimente, um die Funktion von einzelnen Genen zu charakterisieren. Warum ist die eine Sorte widerstandsfähig und die andere nicht? Wir suchen gezielt die Gene, die dafür verantwortlich sind, diese Resistenz auszuprägen. Wir versuchen dann, diese Resistenzen näher zu beschreiben, indem wir diese Gene in anfällige Sorten übertragen, um dann zu studieren: Wird diese Sorte dadurch wirklich resistent? Gibt es Auswirkungen auf Pflanzeninhaltsstoffe, auf Allergene, irgendwelche Seiteneffekte, die wir so nicht abschätzen können?
Wir haben hier Pinova, das ist eine Pillnitzer Sorte. Sie hat in den achtziger Jahren Sortenschutz bekommen und ist heute eine der führenden Sorten am Markt. An Pinova machen wir sehr viele Untersuchungen im Hinblick auf Blütenbiologie. Pinova hat den Vorteil, dass sie regelmäßig trägt – man kann mit Pinova sehr gut jedes Jahr in ausreichender Menge qualitativ hochwertige Früchte erzeugen, während andere Sorten dazu neigen, in ihrem Ertrag zu alternieren. Uns interessiert: Warum gibt es Sorten, die offensichtlich dafür weniger anfällig sind? Und warum sind es vor allen Dingen alte Sorten, die sehr stark zum Alternieren neigen? Das ist natürlich eine Sache, die ein Obstbauer heute nicht gebrauchen kann. Ein Jahr muss er die Bäume auspflücken, damit er von den vielen Früchten auf wenige reduziert, um die Qualität anzuheben, und im nächsten Jahr hat er gar keine Früchte am Baum. Dem wäre es am liebsten, er hätte jedes Jahr eine ausgeglichene Anzahl an Früchten am Baum, mit denen er eine ordentliche Qualität erzeugen kann. Und der Druck am Markt ist inzwischen so hoch, dass eine moderne Sorte so was mitbringen muss.
Wir haben auch sogenannte Rassetester hier. Bei verschiedenen Pilzen gibt es unterschiedliche Rassen. Beispielsweise beim Schorf – und wenn wir Sorten draußen bei uns im Versuchsfeld haben, die natürlich infiziert werden von dem Rassespektrum, was in Pillnitz vorhanden ist, dann kann es sein, dass eine Sorte bei uns befallen wird, die woanders nicht befallen wird, weil wir andere Rassen des Erregers hier haben. Oder aber die Sorte zeigt bei uns keinen Befall, und alle anderen Leute in Deutschland sagen: Die ist hochanfällig, die Sorte. Deshalb ist es für uns wichtig zu wissen: Was sind für Rassen in Pillnitz vorhanden? Da nehmen wir Sorten, die von Natur aus ganz spezifische Resistenzgene haben. Und wir wissen, diese Sorte kann eben nur von Rasse 147, zum Beispiel, befallen werden, aber nicht von Rasse 3 und 4. Über eine ganze Reihe solcher sogenannter Rassetester können wir eine Information über das Rassespektrum des Schaderregers bekommen, der in Pillnitz hier vorhanden ist. Das hilft uns dann, eine Aussage darüber zu treffen, wogegen unsere Sorten resistent sind.
Antje: Wie viele verschiedene Rassen von Mehltau gibt es?
Dr. Henryk Flachowsky: Bei Mehltau sind noch keine Rassen beschrieben, aber wir wissen, dass es Isolate gibt – von Leuten, die aus unterschiedlichen Regionen befallene Blätter zusammengetragen haben und von diesen Blättern Mehltau isoliert haben. Diese unterschiedlichen Isolate reagieren unterschiedlich auf verschiedene Genotypen, das entspricht mehr oder weniger diesem Begriff „Rasse“. Aber es sind nie so klar Rassen definiert worden, wie das zum Beispiel beim Schorf der Fall ist. Beim Schorf kennen wir mittlerweile mehr als 15 verschiedene Rassen, die international beschrieben sind. Dazu kommt, dass der Mehltau ein obligat biotropher Parasit ist. Das heißt, den können Sie nicht so einfach auf einer Agarplatte kultivieren, den müssen Sie immer auf der Pflanze halten. Und das macht sich recht schwer, denn Sie müssten dann unterschiedliche Isolate auf unterschiedlichen Bäumen halten und Sorge tragen, dass die sich nicht vermischen. Wir hatten das mal vor Jahren in so In-vitro-Versuchen, das ist sehr viel Arbeit, und Sie haben ein hohes Risiko, dass Sie Kontamination bekommen. Das ist beim Schorfpilz nicht der Fall, den können Sie sehr gut auf einem künstlichen Nährmedium anziehen. Dann können Sie die einzelnen Rassen auf unterschiedlichen Petrischalen halten, damit kann man viel besser experimentieren. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum sich in der Welt viel mehr Leute mit Schorfresistenzzüchtung beschäftigen als mit Mehltau, weil man eben mit Mehltau viel mehr Schwierigkeiten hat. Das ist der Nachteil von diesen obligat biotrophen Parasiten.
Antje: Kriegen die da überhaupt Luft in den Weckgläsern?
Dr. Henryk Flachowsky: Die haben ein Mikroklima. Die machen alles selbst – Gasaustausch usw. Es wird sicher durch die Öffnung auch geringfügig Luftaustausch mit der Außenwelt stattfinden, aber das Ziel ist, den so gering wie möglich zu halten und dieses Mikroklima möglichst so einzurichten, dass wenig Kondenswasser entsteht. Deswegen müssen wir auch aufpassen, dass die Pflanzen nicht zu klein sind und nicht zu groß sind, sondern dass die in der Lage sind, das Klima in diesen Gläsern selbst zu regulieren.
Hier haben wir Gene aus verschiedenen Apfelsorten isoliert, von denen wir meinen, dass es Schorfresistenzgene sein könnten. Resistenzgene sind von ihrer Struktur her immer sehr ähnlich aufgebaut. Es gibt also Sequenzmotive innerhalb des Gens, die sehr konserviert sind – die sind also in vielen Genen ein und derselben Genfamilie nahezu identisch; und wenn diese Motive vorhanden sind, dann können wir schon was über die Funktion des Gens vorhersagen. Das ist ein Gen, das für Entwicklung verantwortlich ist, beispielsweise für Blütenentwicklung, Blütenbildung. Oder das ist ein Gen, das wird vorwiegend in der Fruchtentwicklung eine Rolle spielen. Oder das ist ein Gen, das irgendwas mit Abwehr zu tun hat. So etwas nennt man auch „Resistenzgen-Analoga“. Wir haben hier Analoga gefunden, die einem bekannten Schorfresistenzgen sehr ähnlich sind, dem HcrVf2-Gen aus dem Malus floribunda. Und wir wollen jetzt testen: Sind diese Resistenzgen-Analoga richtige Resistenzgene? Und wirken die vielleicht gegenüber anderen Rassen? Oder haben die zu dem Zeitpunkt in der Evolution, als sie in ihrer Sequenz geringe Unterschiede zu diesem Resistenzgen angehäuft haben, ihre Funktion verloren und sind jetzt sozusagen als evolutionärer Müll noch im Genom vorhanden? Dazu haben wir diese Gensequenzen isoliert und haben sie in anfällige Apfelsorten übertragen – das machen wir in der Regel in Pinova und Gala, das sind Sorten, die sich sehr gut in der In-vitro-Kultur vermehren und handlen lassen –, dann werden die hier vermehrt, gehen ins Gewächshaus und werden mit unterschiedlichen Schorfrassen getestet, ob sie dadurch resistent geworden sind oder nicht. Eine Sorte ist nicht unbedingt resistent gegenüber allen Rassen, sondern die Resistenz wirkt unter Umständen nur gegen einen Teil des Rassespektrums. Und andere Sorten sind wieder resistent gegenüber einem anderen Teil des Rassespektrums. Das heißt, die müssen ein anderes Resistenzgen haben. Oder das Resistenzgen muss anders funktionieren.
Die hohe Kunst der Züchtung wäre, verschiedene Resistenzgene so zu kombinieren, dass die Sorten, die dann mehrere dieser Resistenzgene haben, möglichst gegenüber allen Rassen resistent sind. Das nennen wir „Pyramidisierung“. Aber um intelligent pyramidisieren zu können, müssen wir erst mal wissen: Welches Resistenzgen wirkt denn nun gegenüber welchen Rassen? Das wäre so ein Versuch, den wir hier machen: Resistenzgene werden in ein und dieselbe Sorte übertragen und dann gegenüber verschiedenen Rassen getestet. Und dann können wir sagen: Dieses Resistenzgen wirkt gegen Rasse 1 bis x; das Resistenzgen wirkt gegenüber 2 bis y; und wenn wir die kombinieren, dann haben wir ein sehr breites Spektrum an Rassen, das wir abdecken.
Antje: Und was bedeuten die kleinen Aufkleber mit den Nummern drauf?
Dr. Henryk Flachowsky: Die kleinen Aufkleber mit den Nummern drauf sagen, um welchen Genotyp sich das handelt. Wenn wir solche Experimente bei der Übertragung von Genen machen, dann entstehen Einzelpflanzen, und jede Einzelpflanze ist ein eigenständiges Individuum, ein eigenständiger Genotyp. Das kennzeichnen wir der Einfachheit halber mit Nummern.
Antje: Aber jetzt sind ja in jedem Glas zwanzig drin. Das sind dann zwanzig Individuen?
Dr. Henryk Flachowsky: Auch diese Individuen werden hier wieder vegetativ vermehrt, indem man den einen Spross in kleine Teile schneidet, diese kleinen Teile wieder aufsetzt, aus den Achselknospen treiben neue Sprosse – und so kann man, ähnlich wie man das draußen verklont, das in der In-vitro-Kultur auch verklonen. Ja, das ist der Vorteil der In-vitro-Kultur, dass wir aus sehr wenig Material in relativ kurzer Zeit sehr viel Material machen können, und das genetisch identisch vermehren. Das hier sind verschiedene Akzessionen von unterschiedlichen Wildarten, ausgewählte Genotypen, die über verschiedene Eigenschaften verfügen, wie beispielsweise Resistenzgene gegenüber Feuerbrand. Wir haben Malus baccata dabei, dann habe ich hier Malus prunifolia gesehen und Malus robusta persicifolia.
Antje: Prof. Przybyła erwähnte, dass im Moment viel geforscht wird, zum Beispiel am Malus atrosanguinea, an Äpfeln mit rotem Fleisch, weil die Flavonoide darin gesundheitsfördernde Eigenschaften haben. Machen Sie so etwas auch?
Dr. Henryk Flachowsky: Das machen wir auch. Wir charakterisieren ja unsere Genbank, die wir hier draußen haben, anhand der Merkmale, die sie ausprägen … Wir haben knapp tausend Sorten hier im Feld stehen, und ähnlich viele Wildartenakzessionen. Das geht von Fruchtform, Festigkeit, Größe, Geschmack, Blütezeitpunkt, über Regelmäßigkeit der Blüte – es sind viele, viele, viele Eigenschaften, die übers Jahr an diesen Pflanzen evaluiert werden –, und dann suchen wir aus diesem gesamten Pflanzenmaterial welche heraus, von denen wir sagen: Die haben Eigenschaften, die haben die anderen nicht! Und das könnten wir in einer neuen Sorte gebrauchen. Dazu zählen auch Fruchteigenschaften. Zum Beispiel Fruchtfleischfarbe. Da ist jetzt ein großer Trend, Rotfleischigkeit – und diese Rotfleischigkeit ist oft kombiniert mit einer sehr schlechten Lagereignung. Die Früchte verbräunen sehr schnell im Lager und sind dann schlecht zu vermarkten. Die haben aber nicht nur schlechte Lagereigenschaften, sondern auch so einen adstringierenden Geschmack. Und das ist das, was der Verbraucher nicht will. Was uns dabei interessiert, ist, ob dieses Gen, das für die Rotfleischigkeit verantwortlich ist, auch gleichzeitig für die Lagerverbräunung verantwortlich ist. In Neuseeland wurde vor einigen Jahren dieses Gen identifiziert.[51] Wir haben dieses Gen inzwischen auch hier und untersuchen jetzt, ob dieses Gen dazu führt, das beispielsweise Früchte sehr schnell verbräunen, oder ob es zu diesen negativen Geschmackseigenschaften führt. Ich kann den Geschmack vielleicht in Nuancen verbessern, aber ich werde nie eine rotfleischige Sorte mit einem Top-Geschmack züchten können. Um so etwas frühzeitig abzuschätzen, ist es ein Vorteil der modernen Züchtungsforschung, dass wir nicht mehr fünfzig, sechzig, hundert Jahre Experimente machen müssen, um irgendwas rauszufinden, sondern wir können ganz gezielt Gene auswählen, können deren Funktion studieren, und wenn wir die Funktion wissen, dann können wir vorhersagen: Macht Züchtung auf dieses Merkmal hin überhaupt Sinn? Oder geraten wir hier in eine Sackgasse, wo wir sagen müssen: Wir haben zwar ein Merkmal verbessert, uns aber so viele negative Eigenschaften mit eingekauft, dass wir am Ende Sortenkandidaten haben, die am Markt eigentlich keine Chance haben? Das Problem, was ein Apfelzüchter hat, ist im Prinzip, dass er versucht, sehr, sehr viele Merkmale in ein und derselben Pflanze zu kombinieren. Er muss also sehr viele Pflanzen herstellen, um das Glück zu haben, dass eine dabei ist, die wirklich alle gewünschten Eigenschaften in sich trägt. Das kann man sich einfach so vorstellen: Wenn Sie nur ein Merkmal betrachten und das vererben, dann bekommen die Hälfte der Nachkommen dieses Merkmal, das heißt fünfzig Prozent der Pflanzen. Wenn Sie zwei Merkmale betrachten, ist es bloß noch ein Viertel.
Antje: Das gilt aber doch nur bei dominanten Genen?
Dr. Henryk Flachowsky: Ja, bei rezessiven sind es entsprechend noch weniger. Und je mehr Merkmale Sie betrachten, umso weniger Pflanzen werden dabei sein, die am Ende alle gewünschten Merkmale in sich tragen. Sie müssen in der Regel viele tausend Pflanzen herstellen, um am Ende eine zu finden, die wirklich die Chance hat, eine neue Sorte zu werden. Deshalb ist das Ziel, das die Züchter von jeher haben, Methoden zu entwickeln, die es ihnen ermöglichen, aus sehr vielen Pflanzen diese eine möglichst schnell finden zu können. Früher hat man versucht, sich visuelle Hilfsmittel zu schaffen. Wird zum Beispiel ein Merkmal, das ich erst an der Frucht sehe, vielleicht gemeinsam vererbt mit einer bestimmten Blattbehaarung, Blattfarbe oder irgendwas, das ich relativ schnell sehen kann, nachdem ich die Pflanzen ausgesät habe? So was nennen wir „morphologische Marker“. Ich gehe also an eine Aussaatschale, habe mehrere tausend Pflanzen und sehe relativ schnell: „Aha – die, die rotes Laub haben, die werden auch später rotes Fruchtfleisch haben.“ Das klappt natürlich nur dann, wenn ich solche morphologischen Merkmale habe. Aber die gibt es nicht für alle Merkmale, sondern nur für sehr wenige. Und da macht man sich zunutze, dass DNA-Muster den gleichen Vererbungsprozessen unterliegen. Solche DNA-Muster können wir schon aus dem ersten Blatt, was sich entwickelt, isolieren und danach schauen, ob es Muster gibt, die mit einem Merkmal, was uns interessiert, gemeinsam vererbt werden. Das nennen wir „molekulare Marker“. Im Grundprinzip liegen in der Meiose – also da, wo sich die Zellen teilen – die Merkmale alle auf den Chromosomen. Wenn man sich so ein Chromosom wie einen Spazierstock vorstellt, dann kann man folgende Situation haben: Man hat zwei Merkmale. Das eine liegt an dem einen Ende von dem Chromosom, das andere am anderen. Während der Zellteilung kommt es da zu Brüchen. Wenn die beiden Merkmale weit auseinander liegen, dann werden bei jeder Zellteilung, wenn die Geschlechtszellen reifen, die beiden Merkmale vorher getrennt. Je näher die zusammenliegen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass da ein Bruch passiert. Wir suchen also DNA-Muster, die möglichst nah auf dem Chromosom an dem Merkmal liegen, das uns interessiert, und dazu machen wir genetische Karten. Auf so einer Karte sind Merkmale aufgetragen, DNA-Muster. Wir betrachten sehr viele dieser DNA-Muster, machen also eine große Generation aus einer Kreuzung von zwei Eltern. Der eine Elter hat bestimmte DNA-Muster, der andere hat bestimmte Muster; dann studieren wir die Nachkommen – teilweise bis dreitausend Nachkommen – und schauen nach, welcher Nachkomme von welchem Elter welches DNA-Muster geerbt hat. Wenn wir das statisch verrechnen, dann können wir feststellen: Es gibt Muster, die werden häufig gemeinsam vererbt, und es gibt solche, die werden nie gemeinsam vererbt. Je häufiger sie gemeinsam vererbt werden, umso näher müssen die ja auf diesem Stock räumlich beieinanderliegen. Wenn man sehr viele dieser Merkmale betrachtet, hat man die Anordnung der Merkmale auf den Chromosomen. Man hat am Ende nur noch so viele Gruppen, wie die Zelle Chromosomen hat. Und so können wir herausfinden: a) wie die Chromosomen des Apfels aufgebaut sind; und b) welche Merkmale sich auf welchem Chromosom und wo auf welchem Chromosom befinden. Und dann können wir diese DNA-Muster, die molekularen Marker, verwenden, und können dann die Eltern untersuchen.
Antje: Mein Vater war Humangenetiker[52], daher kenne ich das ein bisschen, aber nicht von Pflanzen, sondern von Menschen – da ging es um Fehlbildungen. Wenn ein Kind statt fünf Fingern sechs hat, wäre das beispielsweise ein Merkmal. Das Kind kann sechs Finger haben und gleichzeitig einen Herzfehler, den man nicht auf den ersten Blick sieht. Der Herzfehler wäre jetzt zum Beispiel das Merkmal, das Sie suchen – und die sechs Finger kann man als morphologisches Merkmal sehen, richtig?
Dr. Henryk Flachowsky: Genau, und dann könnte ich sagen: „Alle Kinder, die sechs Finger haben, haben einen Herzfehler.“ Das wäre nur dann der Fall, wenn die Sechsfingrigkeit oder das Merkmal „sechs Finger“ sehr eng auf dem gleichen Chromosom liegt wie der Herzfehler.
Antje: Wenn Sie jetzt zum Beispiel sagen, die rotfleischigen Früchte schmecken sauer – dann liegen diese beiden Eigenschaften eng beieinander?
Dr. Henryk Flachowsky: Genau. Und das haben wir über so eine genetische Kartierung herausgefunden. Wir sind aber noch nicht so weit, dass wir sagen können: „Dieses eine Gen für Rotfleischigkeit, das macht auch den adstringierenden Geschmack.“ Wir wissen nur: Dieses Gen liegt auf einem Chromosom, und ganz nah muss entweder das gleiche oder ein zweites Gen liegen, was für die schlechte Lagereignung und für den adstringierenden Geschmack verantwortlich ist, ja? Wenn es unterschiedliche Gene sind, hätten wir die Chance, dass wir sehr viele Nachkommen erzeugen, bis wir irgendwann mal einen Nachkommen finden, wo der Bruch genau zwischen den zweien stattgefunden hat. Dazu müssen wir aber mehrere tausend Nachkommen untersuchen. Wenn es aber durch das gleiche Gen hervorgerufen wird, dann können wir so viele Nachkommen untersuchen, wie wir wollen, dann werden die Rotfleischigen immer schlechte Lagereigenschaften zeigen und immer adstringierend schmecken.
Antje: Und wenn man jetzt sagen würde: „Ein Kind kann auch mit sechs Fingern klarkommen, aber es sollte keinen Herzfehler haben …“
Dr. Henryk Flachowsky: Genau.
Antje: „…denn mit dem Herzfehler wird es mit sechs Jahren sterben, aber die sechs Finger sind eigentlich nicht so schlimm.“? Wenn man jetzt versucht, sich das mal vorzustellen, ja, dann könnte man die beiden trennen, wenn man das wollte …
Dr. Henryk Flachowsky: Genau … Das ist, glaub ich, eine ethische Diskussion (lacht).
Was Sie hier im Prinzip sehen, sind zwei Allele eines Gens. Die eine Sorte hat das eine Gen, Gen 1a, die andere hat das andere Gen, Gen 1b. Wir wissen, dass Sorte 1 ein bestimmtes Merkmal ausprägt, was Sorte 2 nicht ausprägt, und dass dieses Merkmal von diesem Gen hervorgerufen wird. Nun interessiert uns: Woran liegt das? Dazu vergleichen wir die DNA-Sequenzabfolge dieses Gens oder beider Allele dieses Gens, und was wir eben sehen, ist, dass die über beide Strecken identisch sind. Aber es gibt zwei Stellen, wo es Unterschiede gibt. Nämlich genau hier … und hier. Wenn wir solche Stellen finden und herausfinden, dass so eine Stelle relevant ist für die Merkmalsausprägung, dann können wir ganz gezielt nach Nachkommen suchen, die genau dieses Muster an dieser Stelle haben. Dann wissen wir: Wenn dieses Muster da ist, dann wird die Pflanze später, wenn sie groß ist, das Merkmal auch ausprägen.[53]
Antje: Und das wären jetzt hier also Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin …
Dr. Henryk Flachowsky: Genau, das ist die Basenabfolge …
Antje: Und was ist „R“?
Dr. Henryk Flachowsky: „R“ ist immer genau dann, wenn bei der Bestimmung der DNA-Sequenzanalyse das Gerät zwischen zwei Varianten nicht unterscheiden kann. Dann führt man ein sogenanntes Wobble ein. Für Wobbles gibt es einen Buchstabencode, und anhand des „R“s könnte man dann ablesen, welche zwei Basen an dieser Stelle stehen können. – Aber hier zum Beispiel hätten wir einen „G-zu-T“-Austausch. Hier wissen wir genau, wie der Austausch war. Dann können wir sagen: „Okay, wenn an dieser Stelle ein „T“ steht, dann wird das Merkmal nicht ausgeprägt, und wenn an dieser Stelle ein „G“ steht, dann ist das Merkmal vorhanden.“ Und dann selektieren wir auf Nachkommen, die dieses DNA-Muster haben.
Antje: Und ist es denn möglich, ganz gezielt nur genau das „G“, das gewünscht ist, rauszuschneiden und woanders wieder reinzumachen?
Dr. Henryk Flachowsky: Solche Methoden gibt es heute. Die sind bei anderen Pflanzenarten etabliert. Unsere Obstgehölze sind genetisch schwerer zu verändern als krautige Pflanzen, zum Beispiel, da ist es noch nicht etabliert. Aber ich denke, das wird in wenigen Jahren möglich sein.
Antje: Denn das wäre ja die schnellste Variante …
Dr. Henryk Flachowsky: So eine Art Gentherapie.
Antje: … dass man einfach nur ein Gen, also wirklich nur eine Base, ganz gezielt austauscht, und zack, funktioniert das, hat es eine Resistenz …
Dr. Henryk Flachowsky: Genau, bei Mais und bei vielen Modellpflanzen ist so was heute möglich.[54]
Antje: Wird ja auch schon gemacht …[55]
Dr. Henryk Flachowsky: Das wird gemacht, ganz genau. Ein anderer Zweig dieser gentechnischen Verfahren ist die sogenannte Cis-Genetik. Bei der Cis-Genetik werden Gene, beispielsweise aus Apfelwildarten, isoliert und in einem Schritt in den Kulturapfel übertragen. Normalerweise würde man so was mit Kreuzungen machen, dazu müsste man den Wildapfel mit einer Kultursorte kreuzen, die Früchte der nächsten Generation würden geerntet, die Samen ausgesät – weil die Früchte immer noch sehr klein sind, müsste man wieder mit einer Kultursorte eine Kreuzung machen … Wir rechnen bei der Übertragung von Resistenzgenen aus Wildarten in den Kulturapfel mit wenigstens dreißig bis fünfzig Jahren. In Extremfällen kann das bis zu hundert Jahre dauern. So kann die Züchtung künftig nicht auf Probleme reagieren. Die Welt ist schnelllebiger geworden, und es wird immer schwieriger, mit so einem Verfahren mittelfristig auf Probleme reagieren zu können. Wir haben Schorf-Resistenzgene aus Wildarten isoliert, haben uns beteiligt an der Isolierung von Feuerbrand-Resistenzgenen, haben die in Kultursorten übertragen… Jetzt studieren wir: Funktionieren diese Gene? Wie stabil ist die Resistenz, die durch diese Gene bedingt wird? Und finden wir irgendwelche Nebeneffekte, die durch diese Gene ausgelöst werden – irgendwelche Inhaltsstoffe, die gebildet werden, die in den anderen Genotypen nicht gebildet werden? Um so eine Art Risikoanalyse zu machen. Das ist bei uns im Stadium, sagen wir mal, des Versuches.[56]
Antje: Wenn man jetzt noch mal an das Poster denkt, das wir uns eben angeschaut haben: Wäre das jetzt das Verfahren, bei dem man das „R“ oder das „T“ rausschneidet und in …
Dr. Henryk Flachowsky: Nein, also, im Moment übertragen wir ganze Gene.
Antje: Ganze Gene … also, so genau kann man noch nicht …?
Dr. Henryk Flachowsky: Nicht beim Apfel, ja.
Antje: Bei Mais schon?
Dr. Henryk Flachowsky: Bei anderen Pflanzenarten kann man das schon. Aber auch dort ist es noch im Versuchsstadium. Aber ich denke, in fünf bis zehn Jahren wird so was auch für die praktische Züchtung möglich sein.
Antje: Die Risiken könnten also darin liegen, dass man das ganze Gen überträgt und dass man nicht weiß, was man da alles noch mitübertragen hat. Ist das richtig?
Dr. Henryk Flachowsky: Also, ich denke, die Diskussion sollten wir an dieser Stelle lassen, weil wir da vom Hundertsten ins Tausendste kommen. Wovor der Mensch alles Angst hat! Der Mensch hat einfach Angst, weil er sich nicht vorstellen kann … Der Mensch hat auch keine Angst davor, Mutanten zu selektieren, die plötzlich eine andere Fruchtfarbe zeigen, aber weil das draußen passiert, macht es ihm keine Angst. Nur an den Stellen, wo er selber eingreift, da hat er plötzlich Angst. Wir haben in den Forschungen, die wir gemacht haben, nichts gefunden, was wir nicht auch im natürlichen Apfel finden. Mutanten entstehen dadurch, dass einzelne Gene mutieren. Da wird das Gen zerstört, oder es wird ein neues Gen kreiert, indem es an einzelnen Stellen zu Veränderungen in der DNA-Struktur kommt. Und so was können wir sehen. Wir lesen bewusst an Bäumen Zweige aus, an denen Früchte auftreten, die röter gefärbt sind. Dort können wir sehen, dass eine Veränderung der DNA stattgefunden hat. Das Apfelgenom ist voll von Retroelementen. Das sind Elemente, die ihre Position verändern können, und die führen zu solchen Mutationen.
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Eckart Brandt: Mutanten sind keine gezielten Züchtungen, das sind eigentlich Spielereien der Natur. Da ist dann plötzlich an einem Ast eines Baumes mit gelben Äpfeln der eine Apfel viel röter. Und nächstes Jahr ist er es wieder. Und wenn man jetzt von diesem Ast Vermehrungsmaterial runterschneidet, ist es in den Genen mitgespeichert, dass die Apfelsorte ab dann viel röter ist, und dann hat man eine rote Mutante einer bisher schon existierenden Sorte. So wie Jonagored eigentlich nur eine Mutante von Jonagold ist, gibt es von Ingrid Marie eine rote Mutante, die heißt Karin Schneider; es gibt einen Gravensteiner und einen Roten Gravensteiner; es gibt einen Finkenwerder Herbstprinz und einen Roten Finkenwerder Herbstprinz; es gibt einen Roten James Grieve und wer weiß was. Und in den meisten Fällen ist es so, dass die roten Mutanten röter sind, aber nicht unbedingt leckerer. Die haben häufig bestimmte Nachteile, die gar nicht so toll sind, aber angeblich werden die ja dann dadurch aufgewogen, dass der Apfel mehr in der Modefarbe Rot daher kommt.
Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Züchtungsforschung an Obst, Pillnitz, Deutschland
Dr. Henryk Flachowsky: Es gibt jetzt erste gentechnisch veränderte Sorten in Kanada. Es wird die Frage sein, wann wir mit den Produkten in Berührung kommen, wenn wir ein Freihandelsabkommen mit Amerika haben. Ich weiß nicht, wie sich das Ganze weiterentwickelt. Es ist zumindest ein interessantes Verfahren für die Pflanzenzüchtung, und es könnte dazu beitragen, viele Probleme mittelfristig in den Griff zu bekommen.[57]
Boomgarden-Projekt, Altes Land, Deutschland
Antje: Ab wann ist es eigentlich so, dass man sagen kann, ein Mensch ist der Urheber dieses Apfels?
Eckart Brandt: Das weiß ich nicht, ob man das überhaupt jemals sagen kann. Der Mensch spielt ja nur mit Elementen, die die Natur ihm zur Verfügung stellt. Und wenn er in einen Apfel ein Birkengen einkreuzt, wie es ja gemacht worden ist, ist er dann der Schöpfer dieses merkwürdigen Apfelbäumchens, das im ersten Jahr schon Früchte trägt? Eigentlich hat er nur zwei verschiedene Bausteine der Natur genommen und widernatürlich zusammengeschustert.[58]
Antje: Eigentlich ist es ja die Natur, die all diese Vielfalt herstellt, aber die Menschen helfen nach. Wie sehen Sie das Verhältnis von Natur zu Kultur?
Eckart Brandt: Ja, bislang ist es noch so, dass die Natur eigentlich die Oberhand hat. Sie macht letztendlich immer noch, was sie will. Gebrochen werden könnte das eventuell durch den Einsatz von Gentechnologie – dass man also gezielt bestimmte Eigenschaften einer anderen Pflanze in eine existierende Pflanze einbauen würde –, was aber auch gar nicht so leicht funktioniert, weil wir auch diesen Vorgang nicht so im Griff haben, dass wir ganz genau sagen können: „Dieses Segment, was wir jetzt aus der Pflanze A in die Pflanze B einbauen wollen, soll jetzt bitte da und da andocken und dann das und das Ergebnis haben.“ Da sind auch schon Sachen ganz nach hinten losgegangen und haben überhaupt nicht funktioniert.
Antje: Gentechnik ist ja hier auch noch gar nicht erlaubt.
Eckart Brandt: Nee, aber es ist ja genügend damit experimentiert worden, unter Verschluss, und man hat ja auch in den Obstzüchtungsinstituten durchaus Pflanzen erzeugt, die dann aber eben nicht in die freie Wildbahn hinaus sollten, oder durften, weil es bislang nicht erlaubt ist.
Baumschule und Versuchsanlage von Lubera, Bad Zwischenahn, Deutschland
Markus Kobelt: Ich denke, man kann drei Möglichkeiten aufzählen, die es gibt: Es wird ja heute unterschieden zwischen Trans-Genetik, wenn man verschiedene Arten zusammenbringt, also ein Gen von einem Fisch nimmt und in den Apfel einpflanzt. Es gibt die Cis-Genetik, wo wir innerhalb vom Malus, vom Apfel, bleiben, und da Gene reinbringen. Und die dritte Möglichkeit ist die passive Benutzung der gentechnischen Methoden, indem man sich analytisch ein Blatt nimmt, das analysiert und sagt: „Da drin ist diese und jene Eigenschaft, diese oder jene Resistenz.“
Wir benutzen nur diese dritte Möglichkeit und werden auch in Zukunft nur diese dritte Möglichkeit benutzen. Aus zwei Gründen: Der erste ist rein pragmatischer und nicht ideologischer Natur – es gibt keine Akzeptanz beim Konsumenten. Ich muss nichts gegen meine Freunde machen, oder? Meine Kunden sind meine Freunde. Und der zweite Grund ist: Ich glaube, der Markt – bei uns zunächst mal die Hobbygärtner, aber auch die Apfelkonsumenten – die wollen letztlich nicht Varianten des Gleichen, die wollen ein neues Produkt. Und nur durch die freie Rekombination der Gene, nur durch das, was Sie über klassische Züchtung erreichen: dass sich die Gene von Männchen und Weibchen mischen und dann jedes Kind eine anderes ist – aber nicht nur 2 oder 3 oder 1,4 wie in Deutschland, sondern Zigtausende –, und das Richtige da herauszufinden, das einen züchterischen Fortschritt bringt; nur das führt zu neuen Produkten. Das andere ist nachher nur ein Golden Delicious plus die Eigenschaft x – und das ist schlichtweg langweilig.
Wir haben sechs Jahre intensiv an einem Forschungsprojekt in der Schweiz mitgearbeitet, ZUEFOS hieß das[59]. Das war das einzige Mal, wo wir staatliche Gelder für die Züchtung bekommen haben – zwanzig-, dreißig-, bis vierzigtausend Euro pro Jahr –, und wir haben da auf konventionelle Art versucht, Züchtungseltern zu finden, Kreuzungen zu finden mit Resistenzen zum Feuerbrand. Beim Feuerbrand gibt es fast nur polygene Resistenzen. Und wenn Sie da zwei wenig anfällige polygen Resistente miteinander kreuzen, haben sie am Schluss vielleicht nur zwei, drei, vier, fünf Prozent, die auch wieder resistent sind. Wir haben versucht, Kreuzungseltern zu finden, die produktiver sind in diesem Projekt. Und das haben wir auch geschafft. Wir haben Züchtungsstränge gefunden, wo wir, wenn wir zwei Eltern miteinander paaren, eine gute Chance haben, bis zu fünfzig Prozent Resistente zu haben – war also sehr erfolgreich. Leider haben wir diese Gelder nicht mehr bekommen, weil jetzt mehr in Gentechnologie investiert wird.
Antje: Das Projekt war mit der ETH Zürich?
Markus Kobelt: Ja, genau.
Antje: Die machen ja gerade in Zusammenarbeit mit dem Julius Kühn-Institut gentechnisch veränderte feuerbrandresistente Gala, die sie auch auspflanzen in Wageningen. Wissen Sie darüber was?
Markus Kobelt: Es gibt in einigen Wildäpfeln monogenetische Resistenzen, die auf einem oder auf wenigen Genen beruhen, da ist man sich nicht ganz so sicher, und die kann man übertragen. Nur widersprechen sich die Kollegen da ein bisschen selber. Einerseits predigen sie seit dreißig Jahren, dass monogenetische Resistenzen gefährlich sind, weil sie einfach vom Pathogen durchbrochen werden können. Andererseits arbeiten sie gerade mit denen in der Gentechnologie, denn nur mit denen kann man arbeiten. Mit den polygenen Resistenzen kann man nicht arbeiten. Faktisch muss man beides machen. Natürlich kann ich mit monogenetischen Resistenzen über klassische Züchtung schnell Resultate erreichen. In fast jeder unserer Sorten ist VF-Schorfresistenz drin, die auf einem Gen – plus vielleicht noch ein paar Hilfsgenen, meiner Meinung nach – beruht. Das ist zugelassen. Aber man muss auch an den polygenen Resistenzen arbeiten. Wir haben da Züchtungseltern dafür. Bei neuen Krankheiten wie dem Feuerbrand ist es sehr wichtig, dass man mit polygenen Resistenzen arbeitet. Aber weil halt die heute bevorzugte Technik die Gentechnologie ist, wird nur in monogenetische Resistenzen investiert – Widerspruch.
Antje: Ich habe eine Frage zu den samenlosen Äpfeln. Das wurde in Dresden-Pillnitz auch versucht, als Reaktion auf die Probleme der Bevölkerung mit den transgenen Äpfeln. Haben die sich gedacht: „Na prima, dann machen wir samenlose Äpfel, dann kann sich keiner beklagen, dass die sich wild aussamen.“ [60]
Markus Kobelt: Das hab ich nicht gewusst … Wobei der Pollen sich trotzdem verbreiten könnte.
Antje: Ja. Und warum sind Sie an samenlosen Äpfeln interessiert?
Markus Kobelt: Ich überlege mir immer das Gebrauchsverhalten, also, für was brauchen die Hobbygärtner, und vor allem auch die Apfelesser, den Apfel. Es gibt natürlich vermehrt „convenience food“. Und ein Apfel ist ja an und für sich schon „convenience food“: Man kann ihn einfach so nehmen, vielleicht noch ein bisschen waschen, und essen. Aber da ist noch ein Problem. Da bleibt etwas übrig, das nachher so ein bisschen klebrig ist, das auf dem Schreibtisch liegen bleibt, im Auto liegen bleibt, bei mir übrigens immer unten auf der Matte vom Beifahrersitz, und die Kinder wissen auch nicht, wohin damit, zum Schluss bleibt dann eben so ein großes Teil übrig, das nicht ganz aufgegessen wird. Das könnte man eliminieren.
Antje: Sie meinten, es gibt Wildäpfel ohne Samen?
Markus Kobelt: Nein, das sind keine Wildäpfel. Das sind amerikanische Sorten. Zum Beispiel Wellington Bloomless, Spencer Seedless – es gibt einige andere, die wir eingezüchtet haben, die haben keine Petale[61]. Darum fliegen keine oder wenige Insekten darauf, darum gibt es keine Befruchtung und gleichzeitig die Fähigkeit, parthenokarpe Früchte ohne Befruchtung anzusetzen.[62] Hier verstärken wir eine Eigenschaft, die leicht da ist. Bei den Seedless-Sachen ist es ein bisschen kompliziert, weil es eine rezessive Eigenschaft ist, das heißt, ich muss zwei Generationen lang – zweimal zehn, zwölf, fünfzehn Jahre – arbeiten, bis ich das Resultat habe. Etwas für meine Pensionierungszeit.
Antje: Das heißt aber auch, dass diese Apfelbäume sich ganz grundsätzlich nur über Menschen weitervermehren können – über Menschen, die sie vegetativ vermehren und auf eine neue Unterlage bringen?
Markus Kobelt: Das könnte man so sagen, wobei es immer einzelne geben wird, auch da, wo aus Versehen, entweder über Flug oder über ein Insekt, ein Pollen draufkommt. Aber wenn keine Petalen, keine Blütenblätter, da sind, fliegen weniger Insekten drauf. – Aber es gibt wenige Äpfel – Kulturäpfel –, die einfach nur so über die Natur verbreitet worden sind.
Antje: Was halten Sie von dem Arctic® Apple? [63]
Markus Kobelt: Das ist ein Apfel, der nicht oxidiert, oder? Ich denke, das zeigt vielleicht am besten, wie blödsinnig da eine an und für sich sinnvolle Technik eingesetzt wird. Es ist sinnvoll, mehr darüber zu wissen, welche Eigenschaften in einem Apfel sind. Und das geht bei der markergestützten Züchtung. Ich nehme da ein Blatt, schicke das ein, bekomme die Resultate: „Du hast hier die Eigenschaft VF-Schorfresistenz, du hast eine VA-Schorfresistenz, und eine polygene wahrscheinlich noch drin, und du hast eine gute Chance, dass er feuerbrandresistent ist.“ Dann weiß ich, mit wem ich den paaren könnte. Das ist ein zusätzliches Handwerksinstrument, das mir an die Hand gegeben sein kann und das positiv ist. Nicht entscheidend für den Erfolg, aber es ist gut, das zu haben.
Aber ich denke, bei diesen gentechnologischen Methoden gibt es so einen Selbstverstärkungstrieb des Wissenschaftsbetriebs. Es ist halt einfach, gentechnologisch zu forschen und Eigenschaften zu übertragen. Es gibt immer ein Resultat, du musst es nur genügend häufig machen. Man kann ein Papier publizieren und wird dann vielleicht Professor oder Privatdozent, oder wird befördert, oder kann eine Abschlussarbeit machen – sehr praktisch für Professoren und ihre Studenten. Und das gibt diesen Selbstverstärkungstrieb. Auf dem Feld agronomische Forschung zu machen, ist sehr schwierig, sehr mühsam. Bis man Resultate hat in der Obstanlage, wo man Versuche macht, die man publizieren kann, braucht man vier, fünf, sechs Jahre, auch wenn man nicht Züchtung macht. Da werden sinnlose Sachen gemacht. Sie können auch Sorten selektionieren, die fast nicht oder gar nicht oxidieren – übrigens oxidieren auch die Redloves® auf Grund ihrer Säure sehr wenig. Das ist jetzt nicht die entscheidende Eigenschaft, auf die die Welt gewartet hat. Und da den Leuten etwas aufzuoktroyieren, was sie eigentlich gar nicht wollen – ob sie damit Recht haben oder nicht, das mag ich hier nicht beurteilen –, die wollen eindeutig keine gentechnisch veränderten Äpfel. Das ist blödsinnig … nur dumm.
Antje: Im Prinzip denkt man dann, das kann eigentlich nur ein Wunsch der Industrie gewesen sein, dass die Äpfel schon aufgeschnitten sind, also presliced …
Markus Kobelt: … Preslicing, ja, ja genau.
Antje: … die in den Supermärken dann über Wochen halten können.
Markus Kobelt: Aber das kann man ja auch mit Zitronensäure machen. Die Apfelindustrie, die Apfelkette, die geht von den Produzenten und ihren Organisationen, also vom Apfelbauern, über die Absatzorganisation oder Händler, die die Äpfel aufkaufen, lagern und dann weiter verkaufen; dann gibt es teilweise noch Vermittler dazwischen; und dann gibt es die Ketten, die das verkaufen. Die sind ein bisschen wie Stahlverkäufer, die können nicht wirklich ein Produkt vermarkten, sondern verkaufen Tonnen von Äpfeln. Und die haben lieber das Gleiche mit einer Zusatzeigenschaft, denn da müssen sie nichts machen, können ein Schild darauf kleben: “Ist jetzt so und so besser“, und müssen nicht eine neue Geschichte erzählen. Das ist denen lieber. Die Agronomie, vor allem die staatlich von uns finanzierten Forschungsanstalten, liefern genau die Resultate, die die wollen, obwohl es der Konsument nicht will.
Ich muss jeden Euro, jeden Franken, den ich in unsere Züchtung investiere, irgendwo verdienen. Und den muss ich von meinen Kunden bekommen, die ihren Apfelbaum für den Hausgarten von mir kaufen. Wir machen auch ein bisschen Lizenzgeschäft im Erwerbsanbau, von Leuten, die Redloves® pflanzen und Früchte damit produzieren. Da muss ich am Schluss ein Produkt haben, das einen klaren USP[64] hat – sagt man da im Marketing –, das einen klaren Unterschied hat, das also auch eine neue Geschichte erzählt. Es ist am Ende einfacher zu verkaufen. Die Forschungsanstalten, die hören nicht auf den Endkonsumenten, denn sie haben niemanden, der sie zahlt. Sie hören auf die Industrie. Sie hören auf ihre Vorgesetzten, die wollen Papiere – die produzieren ja keine Apfelsorten, das ist nicht das wichtigste Ziel. Jahresberichte sind viel wichtiger, oder? …
Antje: Haben Sie den Eindruck, dass die Forschungsinstitute wirklich daran arbeiten, Äpfel zu erzeugen, die keinen Pflanzenschutz mehr benötigen?
Markus Kobelt: Ja, das glaub ich wirklich, dass die das machen. Da war uns der Osten übrigens stark voraus. Als ich Anfang der 1990er Jahre nach Osteuropa gereist bin, zuerst Ostdeutschland, da meine Züchtungslehrer kennengelernt haben – Christa und Manfred Fischer, die in Dresden-Pillnitz gezüchtet haben –, dann nach Tschechien, nach Polen, nach Russland, die waren in der Resistenzzüchtung, vor allem in der Breite und Masse, weiter als in Westeuropa, weil die Pflanzenschutzmittel zu teuer waren oder nicht erreichbar waren …
Und dieser Druck, der kommt jetzt natürlich auch. Alle wissen es, und es sind ja die gleichen Institutionen, also der Staat, der die einschränkt, und daher funktioniert der Regelmechanismus einigermaßen, dass Richtung Resistenz gekreuzt wird. Nur etwas hab ich auch gelernt: Resistenz allein nützt nichts. Das ist ein Zusatzargument, das zum Schluss die Produktion einfacher macht. Am Ende muss der Apfel besser sein.
Antje: Die Apfelzüchtung hat ja hier in Europa eine Geschichte, die ein paar hundert Jahre andauert. Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Sie sich als Zwerg auf den Schultern von Riesen sehen. Würden Sie sagen, Gartenbaukunst ist auch Kunst?
Markus Kobelt: Ja, gut, der gestaltende Gartenbau ist sicher eine Kunst, verwandt mit der Architektur. Ich würde aber weitergehen und sagen, dass Züchtung letztlich eine Kunst ist. –
Ich muss vielleicht ausholen. Ich hatte vor zwanzig Jahren ziemlich viele Apfelsorten eines bestimmten tschechischen Züchters in meinen Versuchsanlagen stehen, als ich begonnen habe, weil ich ja von überall alles gesammelt habe. Und die waren überall verteilt, über zwei Hektar Fläche: da mal ein Sorte von ihm, da eine andere. Und nach zwei Jahren konnte ich ohne Plan immer sagen, welches seine Sorten waren, weil er einen bestimmten Stil hatte. So wie man sagt, ein Künstler hat einen Stil, oder ein Schriftsteller hat einen Stil. Ein bestimmter Stil – das war mein erster Hinweis. Und das andere ist der (das?) künstlerische oder magische Moment – der Moment, wo man sieht: Das ist eine Sorte. Wo man sich entscheidet. Und man hat ja nur Sekundenbruchteile dafür, und man hat den Moment eigentlich auch nicht hundertprozentig unter Kontrolle.
Ich hab einen Freund gehabt, den gibt es leider nicht mehr, einen kleinen Apfelzüchter in der Schweiz, Peter Hauenstein. Er ist schon verstorben. Der hat immer nur ganz kleine Populationen gehabt, aber er hat immer etwas gefunden, und immer etwa Spezielles. Ob es jetzt die Weltsorte geworden ist … Keine davon ist es geworden. Eine, die Rubinette, hat sich ein bisschen durchgesetzt als Spezialsorte. Er hat immer etwas gefunden, weil er genau wusste, welche, und weil er nachher die Geschichte erzählen konnte und auf die Sorte vertraut hat. Darum bin ich sicher – Züchtung ist letztlich eine Kunst.
Das war auch die Diskussion Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen den aufkommenden wissenschaftlichen Züchtern und diesem Luther Burbank. Ich habe diesen Winter ein bisschen über ihn gelesen und das hat mir ziemlich viele Sachen klar gemacht. Er war ein Künstler, hat auch nicht so viel begriffen und zu wenig über Wissenschaft gewusst – das war auch schade; wär besser gewesen, er hätte ein bisschen mehr gewusst –, und da waren die reinen Wissenschaftler. Aber er war produktiv! Es gibt heute noch zehn Sorten von ihm, die angebaut werden, von den reinen Wissenschaftlern gibt’s hier nichts mehr.
Antje: Und meinen Sie, die Pflanze spricht zu Ihnen?
Markus Kobelt: Das möchte ich jetzt nicht so sagen, das ist unwissenschaftlich. Aber der Luther Burbank, der hat so was gesagt.
- Die Freiheit der Äpfel
Lebensmittel-Kooperative Łodz / Kooperatywa Spożywcza w Łodzi, Polen
Antje: Was bedeutet für euch die Biodiversität?
Martyna: Ich verbinde mit der Frage nach Biodiversität die Monsanto-Affäre und Monokulturbetriebe, die die Bienen und die Landwirtschaft insgesamt töten. Deshalb glaube ich, dass die Erhaltung der Artenvielfalt wichtig ist, weil sie es erlaubt, dass Menschen bei guter Gesundheit leben; weil man nie weiß, was für Auswirkungen gentechnisch veränderte Pflanzen haben könnten, nicht nur in der Natur, sondern auch auf den Menschen.
Alicja: Derzeit werden Monokulturen zur beherrschenden Anbaumethode, und die alten Sorten von Pflanzen und Tieren werden ausgerottet, weil sie nicht die gleiche Art von Gewinn bringen.
Binder International, Smaki Tarczyna Factory / Apfelsaftfabrik, Tarczyn, Polen
Robert Pierściński: Apfelsaftkonzentrat wird als Basis für die Herstellung zahlreicher anderer Getränke verwendet, darunter Nektar und Mixgetränke. Während der Pasteurisierung, gleich nachdem der Saft gepresst ist, entfernt der Prozess der Entaromatisierung das Aroma aus dem Saft. Auf Wunsch des Kunden kann es zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu dem Konzentrat hinzugefügt werden. Wenn es verwendet wird, um Apfelsaft zu machen, dann fügen wir das Aroma in der Regel zurück, um den Apfelgeschmack deutlicher zu machen. Wenn jedoch das Konzentrat als Basis für andere Getränke verwendet wird, dann müssen wir das Aroma entfernen, da sie zum Beispiel mit Erdbeersaft gemischt werden. Das Apfelaroma würde den Geschmack des Getränks ruinieren. Im Fall von Apfelkonzentrat wird bei etwa 5 % unserer Gesamtproduktion das Aroma wieder hinzugefügt, zu 95 % wird er den Kunden ohne das Aroma verkauft.
Adam Miłoszewski: Wenn Sie in Ihren lokalen Supermarkt gehen und einen Blick auf die Zutaten werfen, aus denen sich eine Flasche Himbeersaft zusammensetzt, dann sind nur 15 % reiner Himbeersaft, der Rest ist Apfelsaft. Er bildet die Basis, wirkt als Füllstoff. Viele exotische Fruchtsäfte verwenden Apfelsaft als Basis. Vielleicht nicht so sehr Säfte, aber Nektare, Getränke und Sirupe.
Antje: Woraus setzt sich das Aroma zusammen, chemisch gesehen?
Robert Pierściński: Das Aroma sieht aus wie Wasser. Es ist eine Mischung aus Aldehyden, Estern, Alkohol, Zucker und einigen anderen chemischen Verbindungen. Es ist eine einfache, durchscheinende Flüssigkeit. Der Prozess, mit dem das Aroma aus dem Saft entfernt wird, erfolgt mit einem Gerät, das unterschiedliche Temperaturen und Druck verwendet, es ist ein rein physikalischer Vorgang, da wird nichts von außen zugegeben.
Antje: Ist es möglich, synthetische Aromen herzustellen, die chemisch identisch zu natürlichen Aromen sind?
Robert Pierściński: Aus chemischer Sicht ist es möglich. Einige Safthersteller haben sich dazu entschieden, das so zu machen. Es gibt eine Reihe von Regeln im EU- und internationalen Recht, die es den Produzenten nur dann erlauben, das Wort „Saft“ im Namen ihrer Produkte zu verwenden, wenn es natürliche Aromen enthält.
Antje: Wäre es möglich, Apfelsaft vollständig im Labor zu produzieren?
Adam Miłoszewski: Ich weiß nicht – Chemiker sind zu vielen Wundern fähig, aber ich glaube nicht, dass das finanziell machbar wäre, so in großem Maßstab.
Antje: Die Äpfel, die Sie für den Apfelsaft verwenden, wurden während eines langen Prozesses auf der Suche nach dem richtigen Äpfel ausgewählt, der im industriellen Maßstab wächst und den richtigen Geschmack hat. Könnten wir uns die Apfelplantagen als eine Art Fabrik denken? Die Forscher und Produzenten können genau steuern, welchen Geschmack Ihre Äpfel haben sollen, um Apfelsaft zu produzieren. Sie nennen sie industrielle Äpfel, weil die Industrie der Apfelplantage, die Ihre Früchte liefert, wie eine Maschine funktioniert. Da gibt es keinen großen Unterschied, die Natur ist tatsächlich zu Ihrer Fabrik geworden, denn es wäre teurer, den Apfelsaft chemisch im Labor herzustellen. Die Natur hat bereits die richtigen Mechanismen, um ihn zu produzieren …
Industrieller Apfelanbaubetrieb, Michrow, Polen
Antje: Haben Sie Ihren Job gerne, arbeiten Sie gern hier?
Marian Orzeszek: Wenn ich das nicht täte, wäre ich nicht hier, ich würde woandershin emigrieren. Ja, ich mag es. Ich liebe die Natur. Ich kann mir nicht vorstellen, in einer Stadt zu leben.
Antje: Und was ist es, was Sie an Ihrer Arbeit mögen?
Marian Orzeszek: Alles – wenn die Pflanzen zu wachsen beginnen, wenn die Vögel singen, ich liebe die Natur im Allgemeinen.
Sohn von Marian Orzeszek: Es ist nicht so sehr die Liebe zum Land, sondern es geht eher darum, dass ich die Stadt hasse. Welche Wahl habe ich, wenn ich die Stadt nicht leiden kann, dann ist die einzige Lösung das Land. Das sind so ziemlich meine Wahlmöglichkeiten. Landwirtschaft – ich meine Landwirtschaft, die auf eine Massenproduktion ausgerichtet ist – ist nichts anderes als Industrie. Dies hier ist keine Natur, denn man formt die Apfelbäume nach unseren Bedürfnissen. Wahre Natur ist an Orten, die noch nie von Menschen betreten wurden. Schauen Sie sich doch die Produktion von Apfelbäumen an – als ich ein Kind war, wurde ein Baum gepflanzt, und er wuchs einfach von Natur aus, ohne menschliche Eingriffe. Niemand wusste, wie man seinen Ertrag steigert. Und heute wächst der Baum, wie der Bauer es wünscht. Er will, dass er krumm wachsen soll, und er wächst krumm – er will, dass er gerade wachsen soll, und er wächst gerade. Praktisch zu hundert Prozent menschliche Eingriffe.
Marian Orzeszek: Es ist, wie mein Sohn es gesagt hat: Es ist die Natur, aber durch den Menschen geschaffen. Der Mensch erschafft, was er sich vorgestellt hat, nicht? Und Natur erschafft sich einfach selbst. Während alles hier von Menschenhand geschaffen wurde. So war des Menschen Vision. Durch den Menschen geschaffen, um eine bestimmte Form zu erhalten. Wilde Natur ist da, wo es Berge und Wildpflanzen gibt, das ist die Natur … Die Natur ist durch den Menschen verändert und gezähmt worden, selbst in den Bergen mischt sich der Mensch in die Natur ein, und die Natur beginnt, sich den Wünschen der Menschen zu unterwerfen.
Studio von Jimmie Durham, Berlin, Deutschland
Jimmie Durham: Es gibt so viele Dinge, die wir sofort tun könnten, wenn wir eine wissenschaftliche Betrachtungsweise hätten. Aber unsere Wissenschaft ist nicht sehr wissenschaftlich. Sie basiert sehr stark auf alter europäischer Verrücktheit oder alter chinesischer Verrücktheit …
Antje: Wie wäre denn die gute Wissenschaft?
Jimmie Durham: Sie bräuchten zunächst einmal nicht so viele Cash Crops anbauen, denn das ist nicht wissenschaftlich. Wenn man Kulturpflanzen nicht anbauen würde, um Geld damit zu verdienen, würde man kein Saatgut brauchen, das sich nicht reproduzieren kann. Wir sagen, wir mögen keine gentechnisch veränderten Pflanzen. Das ist nicht das Problem! Das Problem ist: Sie können einem Bauern ein paar Samen verkaufen, da liegt ein Copyright darauf, und sie reproduzieren sich nicht selbst! So verkaufen sie den Bauern Gift! Das ist das Problem. Es bedeutet, es ist ihm nicht länger erlaubt, Dinge für sein Gemeinwesen anzubauen.[65]
Ich denke, wir müssen einen Weg aus dieser permanenten Super-Idee von Luxus finden, die so viele der Ressourcen der Erde kostet. Wir haben dieses System auf dem Luxus unseres Lebens aufgebaut. Und wir sollten sehr empfindlich uns selbst gegenüber sein, was das angeht. Wir haben dies über tausende von Jahren hervorgebracht, in Genie und Verzweiflung zugleich. Ich liebe dieses Leben. Ich will nicht zurück und unter einem Baum leben, aber es hat nicht so zu sein! Also, so sehr ich dieses Leben liebe, ich würde kein Automobil haben wollen, und ich möchte auch kein Pferd. Diese beiden Dinge sind gleichermaßen teuer und machen Schwierigkeiten, und sie sind nicht gut für die Umwelt.
Es gibt diese sehr kapitalistische Kultur, die sich über die ganze Welt verbreitet hat. Und sie ist kapitalistisch, egal, ob sie russisch, chinesisch oder amerikanisch ist; es ist im Grunde dasselbe, und da geht es um eine sehr dumme Idee des Fortschritts, eine sehr dumme Idee von Wissenschaft, alles. Und wenn wir sie zu ihren Bedingungen umarmen, zu den Bedingungen der Macht, dann wird uns etwas verkauft, was nicht gut für uns ist. Wenn wir etwas entwickeln, kann das besser sein. Und das ist sicherlich das, was wir immer getan haben. Es ist eine Tradition. Es ist unsere beste Tradition. Als die Cherokee-Indianer nach Mexiko zogen, von dort, wo früher Sibirien war, dauerte es ein paar tausend Jahre, und in den paar tausend Jahren haben wir alles verändert. Wir ließen uns in Mexiko nieder. Und dann stellte sich heraus, dass es nicht so gut da war, und wir gingen nach Ohio. Eine ganze Menge von Veränderungen, also wo ist da die Tradition? Die Tradition ist die Veränderung. Und dennoch, die Tradition ist natürlich, ein wenig gesunden Menschenverstand haben, wo immer möglich. Nicht alles zu töten; nicht alles zu zerstören.
Antje: Und was ist mit Eigentum?
Jimmie Durham: Man kann auf Cherokee nicht sagen, dass Sie Land „besitzen“. Das Land ist das Land. Was wir auf Cherokee sagen: Das Land ist die Welt. Die Welt ist die Welt. Und sie geht dahin. Das ist, was sie ist. Wir nennen sie „das Dahingehende“. Das ist die Welt, hier ist sie. Wer könnte sie besitzen? – Nun, was du besitzen kannst, ist etwas, das du machst. Und sonst nichts. Du kannst keine andere Person besitzen, du kannst kein T-Shirt besitzen, du kannst keine eigenen Schuhe besitzen, du kannst kein Haus besitzen. Wenn du etwas machst – ich meine, irgendetwas Kleines, was du machen kannst und sagen: „Hier, das ist meins!“ … Aber das würdest du nicht sagen. Du würdest sagen: „Das, was ich gemacht habe – ist für dich“, vielleicht. Wir können jetzt sehen, dass diese ganze Geschichte mit dem Eigentum für die ganze Welt nicht funktioniert. Es funktioniert nicht. Und es ist intellektuell nicht gut für uns. Es macht uns dumm. Es lässt uns über Besitz nachdenken.
Die Wildäpfel Malus sieversii und Malus sylvestris sind Waldbäume, die es seit Millionen von Jahren gibt und die heute vom Aussterben bedroht sind. Der vor allem in Kasachstan vorkommende Malus sieversii kann mehrere hundert Jahre alt werden, einen Stammumfang von bis zu 2 m und eine Höhe von bis zu 30 m erreichen – und die vielfältigsten Äpfel hervorbringen, darunter auch große und gutschmeckende. Daraus entstanden im Laufe der Jahrtausende unsere Kulturäpfel, Malus domestica. Der Malus sieversii wird zwar in Naturschutzgebieten geschützt, aber durch aufgeforstete Fremdarten verdrängt und durch Kreuzung mit Kulturäpfeln in seinem Erbgut kontaminiert. Hinzu kommt der Klimawandel. Forscher nehmen an, dass er in spätestens 300 Jahren ganz verschwunden sein wird. Die Nachfahren der Wildäpfel, die verschiedenen Sorten des Malus domestica, wachsen sehr erfolgreich auf dem ganzen Planeten. Sie wurden durch Veredelung von Menschen als Sorten bewahrt und gezüchtet. Noch im 19. Jahrhundert gab es circa 11.000 verschiedene Sorten weltweit, die meist aus Zufallssämlingen entstanden waren. Heute gibt es in Europa kaum noch frei wachsende Natur, in der sich Äpfel aussäen können. Damit fehlt die natürliche Fortentwicklung des Genpools, durch die sich die Äpfel gegen Schädlinge und Krankheiten wehren könnten.
Jede Sorte ist in ihrem Ursprung ein individueller Baum, von dem Menschen Reiser genommen haben, die sie auf neue Unterlagen aufveredeln und somit klonen. Der Golden Delicious beispielsweise geht auf einen solchen Zufallsfund zurück. Während der erste Baum längst gestorben ist, lebt er in Millionen von Klonen auf der ganzen Welt weiter. Der industrielle Anbau des Golden Delicious und seiner Kinder hat heute fast alle anderen Apfelsorten verdrängt. Auf dem Markt gibt es global nur noch unter 20 relevante Sorten, die zu circa 80 % mit dem Golden Delicious verwandt sind. Ausgerechnet der Golden Delicious ist aber eine sehr empfindliche Sorte. Er und seine Verwandten können nur mithilfe von Chemikalien, Maschinen und Menschen existieren, da sie den verschiedenen Krankheiten und Schädlingen des Apfels gegenüber wenig Resistenzen haben. Für die Apfelbauern bedeutet das einen großen Aufwand an Pflanzenschutzmitteln und Arbeitskraft, sowohl im industriellen, konventionellen, als auch im biologischen Anbau. Die Abnehmer wollen niedrigste Preise für makelloses Obst bezahlen, das rund ums Jahr verfügbar sein soll. Die Bäume, die das liefern können, sind am Spalier gezogene Hochleistungsbäumchen, die meist nach einem Jahrzehnt wieder abgeholzt werden. Die Millionen an Tonnen Obst, die heute als Frucht oder im Saft konsumiert werden, können nicht auf Streuobstwiesen produziert werden. Aber in den Monokulturanlagen von Klonen, in denen fast wöchentlich verschiedene Mittel gespritzt werden müssen, können neue Varianten von Pilzen oder Schädlingen ganze Ernten vernichten und die Bauern in ihrer Existenz bedrohen.
Die Genforschung arbeitet deshalb heute daran, einen Superindustrieapfel mit mehrfachen (pyramidalen) Resistenzen herzustellen. Auch wegen der anhaltenden Ängste der Bevölkerung vor transgenen Organismen – bei denen zum Beispiel Gene aus der Birke oder aus Pilzen und Bakterien in das Genom des Apfels eingebaut wurden – arbeiten neueste Forschungen in Instituten wie beispielsweise dem Julius Kühn-Institut Dresden-Pillnitz, der ETH Zürich, oder HortResearch in Neuseeland an cisgenen Äpfeln, in denen nur Gene zum Beispiel aus Wildäpfeln verwendet werden, und argumentieren, dass sie damit letztlich nichts anderes machen als in der klassischen Kreuzungsarbeit, nur sehr viel schneller. Möglich wäre es auch, nur den Wurzelstock gentechnisch zu verändern, sodass die Früchte selbst davon zwar profitieren würden, aber keine Fremdgene enthalten. Oder es können samenlose und sterile transgene Äpfel entwickelt werden, die sich selbst nicht mehr fortpflanzen können – sodass keine Gefahr der Kontamination anderer Apfelsorten besteht …
Ein Apfel mit multiplen Resistenzen – zum Beispiel gegen verschiedene Schorfrassen, Mehltau und Feuerbrand – bräuchte sehr viel weniger Chemie auf dem Feld. Das wäre eine gute Nachricht für die Umwelt, würde sie nicht bedeuten, dass es in Zukunft wahrscheinlich noch weniger Sorten in globalen Monokulturen gibt. Die gentechnische Forschung beschäftigt sich vor allem mit den marktbeherrschenden Sorten Golden Delicious, Gala, Fuji und Granny Smith. Sollten die multiresistenten neuen Sorten entwickelt und zugelassen werden, wären sie für die industriellen Bauern konkurrenzlos. Lokalere Sorten würden sich nicht mehr lohnen, da der Handel die wenigen Sorten bevorzugt, die schon heute die globalen Märkte dominieren.
Gentechnik wird außerdem nicht nur angewandt, um Resistenzen einzubauen. Der erste Gentechnik-Apfel, der gerade in Kanada zugelassen wurde, nennt sich Arctic® und bräunt an Druckstellen oder nach dem Aufschneiden nicht. Das dient der Industrie, die damit vorgeschnittene Äpfel länger in den Supermärkten halten kann, ohne dass der Verbraucher merkt, wie alt der Apfel schon ist. Heutige konventionelle Industrieäpfel können in CA-Lagern mit SmartFresh-Begasung bereits über ein Jahr lang knackig gehalten werden. Dabei gehen aber wertvolle Inhaltsstoffe verloren. Andere Forschungsziele sind zum Beispiel Functional-Food-Äpfel mit rotem Fruchtfleisch, von denen angenommen wird, dass sie Antioxidanzien enthalten und die Gehirnleistung fördern; oder wiederum samenlose Äpfel, die leichter zu essen sind.
Es gibt immer noch private Züchter, die für den Privatgartenbau eine Vielzahl von neuen Sorten züchten, darunter auch rotfleischige Sorten. Anders als der industrielle Anbau und Handel sind die Privatgärtner an Diversität interessiert. Auch diese Äpfel werden auf Resistenzen hin selektioniert. Gegenüber den gentechnisch gezüchteten Äpfeln haben sie mehrere Vorteile. Sie können von Natur aus Resistenzen mitbringen, die auf mehreren Genen liegen, während die Gentechnik nur an monogenetischen Resistenzen arbeiten kann. Außerdem wird jedes Mal das gesamte Erbgut rekombiniert. Durch die geschlechtliche Vermehrung können immer wieder ganz überraschende, neue Äpfel entstehen. Da diese Züchtungsarbeit sehr aufwendig ist, werden diese Äpfel mit einer Trademark sortengeschützt.
Neue Apfelsorten für den Erwerbsobstanbau werden heute meist von Zusammenschlüssen aus mehreren finanzstarken Interessenten entwickelt und sortengeschützt. So entstehen „Clubäpfel“ wie z.B. Pink Lady, für die die Bauern eine Lizenzgebühr zahlen müssen. Auch gentechnisch hergestellte Äpfel könnten lizenzpflichtig werden, wie es heute schon viele Clubäpfel sind.
2014 wurde ein Entwurf für eine europäische Saatgutverordnung eingebracht, mit dem die freie Weitergabe von Saatgut und Reisern ohne aufwändige und teure Genehmigungsverfahren illegal geworden wäre – sie wurde zunächst vom Europaparlament abgelehnt. Was über Jahrtausende zur Entwicklung unserer Kulturpflanzen führte – dass Bauern Pflanzen vermehrten, die ihnen gefielen, und dass Händler sie auf dem Weg von Asien nach Europa mitnahmen –, wäre dann nur noch großen Konzernen oder staatlichen Forschungseinrichtungen möglich.
Der International Treaty for Plant Genetic Resources for Food and Agriculture, der international von immer mehr Ländern ratifiziert wird, möchte verhindern, dass genetisches Material über Landesgrenzen hinweg ohne Genehmigung transportiert wird. Er zielt darauf ab, Länder vor der Ausbeutung ihrer genetischen Ressourcen zu schützen. Aber er bedeutet auch, dass schon sehr bald jede einzelne Pflanze auf diesem Planeten jemandem gehört – Regierungen, Unternehmen oder Einzelpersonen.
Kann eine wilde Pflanze ein Eigentum sein?
Während bei den Wildäpfeln jeder Apfel ein Individuum, d.h. eigentlich eine neue Sorte war, werden in Zukunft ausschließlich die Bedürfnisse der Menschen darüber bestimmen, welches Apfel-Genom die Erlaubnis bekommt, in Form von Millionen von Klonen zu leben. Dabei ist es nicht der Konsument, der letztendlich darüber entscheidet, was er gern essen möchte. Es sind die Bedingungen der kapitalistischen Marktwirtschaft, die die industriellen Apfelbauern, Apfelsafthersteller, Großhändler und Supermarktketten dazu zu zwingen scheinen, den Apfel als Produkt immer billiger und homogener zu machen.
Der Apfelbaum: eine Maschine, die unseren Bedürfnissen dient. Die Früchte und Apfelsaft hervorbringt, genau wie wir es uns wünschen: süß, makellos, mittelgroß. Die immer gleich sein soll, wie ein Auto. Die sich nicht selbst vermehren darf. Statt einer unbegrenzten Vielzahl von möglichen Äpfeln werden weltweit vielleicht fünf geklonte, gentechnisch veränderte Individuen auf zwei geklonten Unterlagen übrig bleiben. Da der Apfelgriebsch die Ablage im Auto verklebt, werden diesen Äpfeln die Samen weggezüchtet werden. Wenn sie sich nicht mehr selbst vermehren können, führt kein Weg mehr zurück in die Vielfalt.
Wir können dabei helfen, die biologische Vielfalt von tausenden von Apfelsorten zu erhalten, wenn wir sie essen und anpflanzen. Wenn wir dort einkaufen, wo lokale Bauern auf Streuobstwiesen angebaute Äpfel anbieten, und bereit sind, dafür etwas mehr Geld zu bezahlen. Wir können Patenbäume in Sortengärten wie dem Boomgarden von Eckart Brandt adoptieren. Falls wir einen Garten haben oder freie Flächen kennen, könnten wir auch Wildäpfel aus Asien, Europa und Nordamerika anpflanzen. Sie sind vielleicht nicht so süß wie ein Golden Delicious, aber man kann Tee aus ihnen machen, sie in Fleischgerichten verwenden – oder sie einfach nur anschauen.
In diesem Projekt wollen wir ein paar alten Apfelsorten und dem heimischen Malus sylvestris dabei helfen, an neuen Orten zu wachsen: in den Städten von Łodz und Mönchengladbach, frei zugänglich für alle Bürgerinnen und Bürger, niemandes Eigentum.
Freie Äpfel für freie Menschen.
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Die Freiheit der Äpfel
HD Video, Farbe, Ton, Einkanalprojektion, 120 min
Mit Karen Albert-Hermann, Sotirios Arvanitis, Aidos Baltayev, Eckart Brandt, Gerd Czarnowski, Jimmie Durham, Marta Dygowska, Sergei Filatov, Dr. habil Henryk Flachowsky, Roland Gaber, Grzegorz Hodun, Dr. Monika Höfer, Ainur Jamantaeva, Kamil Jeziorek, Bernd Kajtna, Markus Kobelt, Bert Krämer, Dr. Alicja Kujawska, Erzhan Ashim Kitzhan-uly Oralbekov, Vladimir Kolbintsev, Sergei Kuratov, Antje Majewski, Johannes Maurer, Marian Orzeszek, Prof.Andrzej Przybyła, Caty Schernus, Martyna Urbańczyk , Xu Shuxian
Regie: Antje Majewski
Produktion: Muzeum Sztuki, Łódź, Polen
Kuratorinnen: Aleksandra Jach, Joanna Sokołowska
Produktionsassistenz: Przemysław Purtak
Kamera: Patricia Lewandowska, Antje Majewski
Sound: Patricia Lewandowska, Antje Majewski
Tonbearbeitung: Christian Obermaier
Schnitt: Antje Majewski
Schnittassistenz: Bettina Nürnberg
Zusätzlicher Schnitt: Magdalena Golba
Untertitel, Color Grading: Bettina Nürnberg
Assistenz: Maria Dabow
Beratung: Maike Majewski
Zusätzliche Kamera und Voice-over Japan: Fumiko Kikuchi
Assistenz Marokko: Assia Alaouni, M’Barek Ait Gmousse
Assistenz China: Xu Shuxian
Organisation Kasachstan: Dagmar Schreiber
Übersetzungen:
Deutsch–Englisch: Maike Majewski, Amy Patton
Polnisch–Englisch: Monika Fryszkowska
Englisch–Deutsch: Antje Majewski, Maike Majewski
Russisch–Englisch: Alisa Savtchenko
Transkriptionen: Monika Fryszkowska, Antje Majewski, Anna Vetter
Proofreading: Julia Noack, Amy Patton
[1] Cox’s Orange wurde 1830 vom pensionierten Gartenbauspezialisten Richard Cox gezüchtet. Heute stammen mehr als 50 % der englischen Tafeläpfel vom Cox Orange ab. Es ist allerdings eine empfindliche Sorte, die in vielen Umgebungen schwierig anzubauen ist, und anfällig für Krankheiten wie Apfelschorf, Mehltau und Krebs. Es ist ein Elter verschiedener bekannter Sorten, wie Elstar, Rubinette, James Grieve u.a.
[2] Gelber Köstlicher: DDR-Bezeichnung für Golden Delicious.
[3] Rubinettes anderer Elternteil ist, wie bei vielen Äpfeln, der Golden Delicious.
[4] Pomona war die römische Göttin der Baumfrüchte. Ihr Name leitet sich von dem lateinischen Wort pomum („Baumfrucht“, „Obstfrucht“) ab.
[5] Szczepan Aleksander Pieniążek (1913–2008). Professor der Warschauer Universität für Biowissenschaften, Leiter der Abteilung für Obstbau (Pomologie). 1951–1983 war er Mitbegründer und Leiter des Instituts für Obstbau in Skierniewice (später Institut für Obstbau und Blumenzucht), seine wissenschaftlichen Arbeiten befassten sich mit Obstbau, Pflanzenphysiologie, Anbau von Obstbäumen, Pflanzenschutz. Er hat über hundert wissenschaftliche Artikel und Bücher veröffentlicht und hat besonders niedrig wachsende Zwergsorten von Obstbäumen entwickelt, wie sie heute auf industriellen Plantagen verwendet werden.
[6] Der Begriff „Streuobstwiesen“ ist erst zwischen 1950 und 1960 entstanden. In Norddeutschland gibt es meist Obstwiesen mit langsam wachsenden, großen Hochstammbäumen, darunter Wiesen für die Viehnutzung. In Süddeutschland bestehen Streuobstwiesen in lockerem Bestand innerhalb größerer Wiesengebiete. Viele dieser Anlagen sind in Norddeutschland den drei großen Rodungswellen zum Opfer gefallen. In den 1960er-Jahren wurden zunächst unwirtschaftliche Bestände gerodet, von 1970 bis 1973 dann Obstwiesen, und in den 1990er-Jahren Erwerbsanlagen mit weniger als 700 Bäumen pro Hektar.
[7] M9 ist die häufigste Unterlage in den heutigen industriellen Plantagen. Sehr zwergwüchsig. Erreicht eine Höhe von 2,4 m bis 3,0 m. Früchte nach 3 bis 4 Jahren, maximale Ernte von 23 kg bis 29 kg nach 5 bis 6 Jahren. Dauerndes Anbinden, regelmäßige Düngung und Wässerung sind unabdingbar. Der Wurzelstock ist sehr anfällig für Feuerbrand und kann Grat Knoten entwickeln.
[8] M106-Unterlage: Höhe: 3-4 m, Wuchsbreite: 4 m, Ernte: 23–54 kg.
[9] M26-Unterlage – Halbzwergwuchs: Höhe: 3–4 m, Wuchsbreite: 4 m, Ernte: 13,5–23 kg.
[10] ATS (Ammoniumthiosulfat): Düngemittel und Mittel zum Ausdünnen von Bäumen. Ziel ist es, weniger, aber größere Äpfel zu produzieren, in der von den Verbrauchern gewünschten Größe.
[11] Regalis® Plus-Pack von BASF ist ein Wachstumsregler zur Ertragsregulierung in Äpfeln. Es beinhaltet den Wirkstoff Prohexadion-Calcium.
[12] Blattdüngung: Die Mineralstoffaufnahme erfolgt vor allem durch die Wurzel. Doch können auch die Blätter Wasser und die darin gelösten Stoffe durch Kleinporen aufnehmen. Theoretisch könnte man die Pflanze vollständig durch die Blätter ernähren. Im Integrierten Pflanzenbau gewinnt die gezielte Mineralstoffzufuhr (Spritz- oder Sprühverfahren) in bestimmten Wachstumsabschnitten mit verdünnten Düngersalzlösungen als Blattdüngung zunehmende Bedeutung. Seit Jahren bewährt sich im praktischen Anbau vorrangig die ergänzende Versorgung mit Stickstoff, Magnesium und Spurenmineralstoffen durch das Blatt.
[13] Der Gemeine Birnenblattsauger (Cacopsylla pyri syn. Psylla pyri) ist ein Birnenschädling aus der Überfamilie der Blattflöhe.
[14] Kupfersulfat-Pentahydrat (CuSO4 · 5 H2O) ist ein Fungizid. Allerdings sind einige Pilze in der Lage, sich an höhere Vorkommen von Kupferionen anzupassen. Kupfersulfat hemmt das Wachstum von Bakterien wie Escherichia coli.
[15] Bordeauxbrühe oder Kupferkalkbrühe war das erste erfolgreiche Fungizid. Dabei handelt es sich um eine Suspension von gebranntem Kalk (CaO) in einer wässrigen Kupfersulfatlösung (CuSO4 in Ca(OH)2).
[16] NeemAzal®-T/S (ökologisches Insektizid). NeemAzal®-T/S wurde speziell zur Bekämpfung freilebender saugender und beißender Schadinsekten und Milben entwickelt. Neben dem naturbelassenen Inhaltsstoff des tropischen Neembaumes enthält das Pflanzenschutzmittel Pflanzenöle und Tenside auf Basis nachwachsender Rohstoffe.
[17] Der Erreger des Apfelschorfes ist ein Pilz mit dem Namen Venturia inaequalis. Er überwintert im abgefallenen Laub der Bäume und infiziert im Frühjahr die ersten frisch ausgetriebenen Blätter des Apfelbaumes. Auf den Blättern und später den Früchten bilden sich zunächst blass olivgrüne, später bräunliche bis schwarze Flecken. Die Früchte verformen sich. Der Verzehr von Äpfeln mit Schorf ist zwar nicht gesundheitsschädlich, aber solche Früchte lassen sich nicht verkaufen.
[18] Der Golden Delicious ist ein Zufallssämling, möglicherweise eine Kreuzung aus Grimes Golden und Golden Reinette. Der ursprüngliche Baum wurde auf dem Bauernhof der Familie Mullins in Clay County, West Virginia, USA, gefunden. „Ich wurde 1876 auf dem Hof, wo der Apfelbaum später berühmt wurde, geboren. Mein Vater war L. L. Mullins, ihm gehörte der Hof. Nun, eines Tages, als ich etwa 15 Jahre alt war, das wäre also etwa 1891 gewesen, hat mich Vater mit einer großen alten Sense ausgeschickt, um die Weide zu mähen. Ich war so am Mähen mit der Sense, als ich auf einen kleinen Apfelbaum gestoßen bin, der etwa 20 cm hoch gewachsen war. Es war nur ein neuer kleiner Apfelbaum, der sich da angesiedelt hat. Es gab keinen anderen Apfelbaum da in der Nähe irgendwo. Ich dachte also so für mich: ‚Na, junger Mann, ich werde dich einfach mal da lassen‘, und das machte ich dann auch. Ich mähte um ihn rum und bei anderen Gelegenheiten hab ich immer wieder um ihn rum gemäht, und er entwickelte sich zu einem hübschen kleinen Apfelbaum, und schließlich war es ein großer Baum und trug Äpfel. Nun hat mein Vater später einen Teil des Hofs mit meinem Bruder, B.W. Mullins, getauscht, und noch später tauschte er das Land mit Onkel Anderson Mullins. Onkel Anderson hatte einen Schwiegerbruder namens Gus Carnes, und eines Tages beschlossen Gus und Onkel Anderson, einige der Äpfel zur Baumschule der Gebrüder Stark zu schicken, um rauszufinden, was das für ein Apfel war. Und dann hat es also angefangen, dass der Baum berühmt geworden ist, und die Sorte Golden Delicious entstand, denn es war dieser Baum, der jeden einzelnen der Golden Delicious-Apfelbäume hervorgebracht hat, die jemals irgendwo gewachsen sind. Die Starks haben einen Mann geschickt, der sich den Baum anschauen sollte, so wie du es gehört hattest, und sie haben den Baum und 30 Fuß Boden um ihn herum gekauft, und schließlich haben sie ihn eingezäunt. Sie haben dann alle Früchte des Baums bekommen, bis zum letzten Apfel.“ („Dunbar Man ‚Discoverer‘ of Golden Delicious Apple“. Charleston Daily Mail. 18. Okt, 1962).
[19] Der Seestermüher Zitronenapfel, auch Goldgelbe Renette oder Kohlapfel genannt, ein aromatischer Winterapfel.
[20] Tatsächlich ist es ein Produkt, das eine Interaktion von Ethylen mit dem Apfel verhindert. SmartFresh (SmartFreshSM Quality System) ist eine Marke eines synthetischen Qualitätsverstärkers auf der Basis von 1-Methylcyclopropen (1-MCP). Es wird von Agrofresh (das Dow Agrosciences gehört) vermarktet. Die Wirkungsweise von 1-MCP ist über eine bevorzugte Bindung an den Ethylenrezeptor, wodurch die Wirkung von sowohl endogenem und exogenem Ethylen blockiert wird. Es wird in Lagereinrichtungen und Transitcontainern angewendet, um den Reifeprozess und die Produktion von Ethylen bei Obst zu verlangsamen. MCP kann mit Controlled-Atmosphere (CA)-Technologie kombiniert werden, die in den letzten 50 Jahren zur einer Standard-Praxis in der Industrie geworden ist. Der zweite aktive Wirkstoff in SmartFresh, a-Cyclodextrin, ist wahrscheinlich für den Hauch von Duft nach synthetischem Parfüm verantwortlich, wenn der Apfel von den kühleren Temperaturen des Kühlregals im Supermarkt kommt. Früchte, die mit 1-MCP behandelt wurden, unterliegen keinen Kennzeichnungsvorschriften, sie sind für die Verwendung an zertifizierten Biolebensmitteln zugelassen und sind daher nicht unterscheidbar von nicht behandelten Produkten. Es gibt keine absolute Sicherheit oder umfangreiche Studien über die Gesundheitsrisiken bei der Verwendung dieses Produkts.
[21] Johann Georg Conrad Oberdieck (1794–1880) war ein deutscher lutherischer Pfarrer und einer der bedeutendsten deutschen Pomologen des 19. Jahrhunderts. Er hat in Sulingen 1.500 Sorten gesammelt. Siehe: Pomologische Tafeln zum Bestimmen der Obstsorten: systematische Zusammenstellung der Abbildungen des Illustrirten Handbuchs der Obstkunde von Overdieck, Jahn und Lucas, 1869; Pomologische Notizen, 1869
[22] Josef „Sepp“ Holzer (* 1942 in Ramingstein, Provinz Salzburg, Österreich) ist Bauer, Autor und internationaler Berater für natürliche Landwirtschaft. Er übernahm den elterlichen Bergbauernhof 1962 und wurde zum Pionier der Anwendung von Methoden des ökologischen Landbaus bzw. der Permakultur auf großen Höhen (1.100 m bis 1.500 m über dem Meeresspiegel). Holzer wird der „Agrar-Rebell“ genannt, weil er auf seine Anbaumethoden trotz Geldstrafen bestand. Er veredelt und beschneidet Obstbäume nicht. Sie können so im Gebirge Schneelasten überleben, unter denen beschnittene Bäume brechen würden.
[23] Diedrich Uhlhorn junior (1843–1915) war ein deutscher Ingenieur und Obstzüchter. 1878 züchtete er die Zuccalmaglios Renette, die nach seinem Schwiegervater benannt war, 1880 den Freiherr von Berlepsch, eine Sorte, die bis heute im Rheinland verbreitet ist, und 1906 die Apfelsorte Ernst Bosch.
[24] John Chapman (1774–1845), als Johnny Appleseed bekannt, war ein amerikanischer Pionier-Pflanzer, der Apfelbäume in große Teilen von Pennsylvania, Ohio, Indiana und Illinois sowie den nördlichen Bezirken des heutigen West Virginia eingeführt hat. Er war auch ein Missionar für die Neue Kirche (Swedenborg). Dem beliebten Bild von Johnny Appleseed nach verbreitete er Apfelkerne zufällig, wohin er ging. Tatsächlich legte er eher Baumschulen als Obstgärten an, errichtete Zäune um sie herum, um sie vor Tierverbiss zu schützen, ließ die Baumschulen in der Obhut eines Nachbarn, der Bäume als Teilhaber verkaufte, und kehrte regelmäßig zurück, um nach der Pflanzung zu schauen. Er hinterließ seiner Schwester Besitztümer von mehr als 1.200 Acres (490 ha) an wertvollen Baumschulen. Seine Äpfel waren nicht veredelt und lieferten Äpfel für Cider. Er hat damit den Alkohol nach Nordamerika gebracht. Sein Reiselied, die Swedenborg-Hymne, wird heute noch in manchen amerikanischen Haushalten vor den Mahlzeiten gesungen: „Oooooh, der Herr ist gut zu mir, und deshalb danke ich dem Herrn. Er gibt mir, was ich brauche: die Sonne und den Regen und die Apfelsamen. Der Herr ist gut zu mir. Amen, Amen, Amen, Amen, Amen.“
[25] Maria Theresa Alvez, * 1961, brasilianische Künstlerin.
[26] Der Malus sieversii, auch Asiatischer Wildapfel, ist der Hauptvorfahr des Malus domestica, des kultivierten Apfels. Er erreicht eine Wuchshöhe von ca. 5–30 Metern. Er wird mindestens 300 Jahre alt, vermutlich noch viel älter. Alte Exemplare erreichen einen Stammdurchmesser von einem Meter, im Extremfall zwei Metern. Die Heimat des Asiatischen Wildapfels liegt in Zentralasien; das Verbreitungsgebiet erstreckt sich vom südlichen Kasachstan über Kirgisistan und Tadschikistan bis in die chinesische Provinz Xinjiang. An einigen Stellen des Tian-Shan-Gebirges ist der Asiatische Wildapfel bestandsbildend, beispielsweise im Dsungarischen Alatau. Er wächst auf einer Höhe zwischen 1500 und 2200 m. Die Spezies ist heute vom Aussterben bedroht. Der Asiatische Wildapfel wurde vom deutschen Naturforscher Carl Friedrich von Ledebour 1833 unter dem Namen Pyrus sieversii erstbeschrieben, der sie im Altaigebirge entdeckte. Der kasachische Pomologe Aymak Djangaliev (1913–2009) hat sein ganzes Leben der Erforschung und dem Schutz dieser Spezies gewidmet. Er konnte durch seine wissenschaftlichen und historischen Untersuchungen aufzeigen, dass der Ur-Apfel eine Genkombination besaß, die während der Domestikation und der Reise von Asien nach Europa modifiziert wurde.
[27] Der Kaukasusapfel oder Orientapfel (Malus orientalis). Der Kaukasusapfel ist in seinen Merkmalen sehr variabel. Es ist ein Baum, der eine Wuchshöhe von etwa 9 bis 12, selten bis 20 Metern erreicht. Seine Früchte sind gelblich grün, kugelig, und messen 2 bis 3 cm Durchmesser. Sie sind süß bis sauer, oft jedoch bitter und adstringierend. Die Heimat des Kaukasusapfels liegt in Nordanatolien, Nordiran und im Kaukasus, nördlich reicht das Areal noch bis zur Wolga und zur Krim. Der Kaukasusapfel ist nach genetischen Untersuchungen der zweitwichtigste Vorfahre des Kulturapfels, hat jedoch einen geringeren Einfluss als der Malus sieversii. Obwohl es sich um eine Wildform handelt, werden die Früchte als Saft oder Marmelade genutzt. Die Sämlinge dienen als Unterlage für Kulturäpfel. Der Apfel ist anfällig für Schorf und Feuerbrand, je nach Herkunft auch für Mehltau.
[28] Malus baccata (Kirschapfel). Es wächst ursprünglich in den meisten asiatischen Ländern, aber kommt auch anderswo als Zierbaum und als Unterlage vor. Er trägt reichlich duftende weiße Blüten und essbare rote bis gelbe Früchte von etwa 1 cm Durchmesser.
[29] 2011 unternahmen Dr. Henryk Flachowsky, Monika Höfer und Prof. Viola Hanke gemeinsam eine Expedition in den Kaukasus. Aus dem Bericht: „Bereits Vavilov (1930) charakterisierte den Kaukasus als Zentrum unermesslicher Wälder, die einzig und allein aus den wilden Vorfahren des Obstes bestehen. Bumistrov (1995) spezifizierte den Kaukasus als eines der reichsten Diversitätszentren von wilden Obstarten der Erde: über 260 Arten von 37 Gattungen wurden nachgewiesen. (…) Eine besondere Stellung nehmen dabei die so genannten tscherkessischen Sorten ein, welche durch das Volk der Tscherkessen (Adygejer) im Ergebnis einer 3.000 Jahre alten Gartenbaukultur geschaffen worden sind. Eine der spezifischen Charakteristika der adygeischen Obstproduktion war die sehr hohe Diversität hinsichtlich der Sortenstruktur. Die Obstproduktion war nicht auf die Gärten in der Nähe der Häuser begrenzt, der umgebende Wald wurde in den sogenannten Wald-Garten transformiert. U. a. wurden die tscherkessischen Sorten Čerkesskij Bergamot (Birne) und Čerkesskij Rozmarin (Apfel) gefunden.“ Siehe: http://pub.jki.bund.de/index.php/JKA/article/viewFile/2211/2595
[30] Topinambur wurde nach dem Stamm Tupinambá benannt, der die Kolonialisierung Brasiliens nicht überlebt hat. Es wurde auch in Nordamerika gefunden. Der französische Entdecker Samuel de Champlain fand 1605 auf Cape Cod domestiziert angebaute Pflanzen und brachte sie mit nach Frankreich. Bis Mitte der 1600er wurde Tobinambur ein sehr häufiges Gemüse für den menschlichen Verzehr in Europa und Amerika und wurde auch als Tierfutter in Europa und den amerikanischen Kolonien verwendet.
[31] Wildkartoffel-Arten kommen in Nord- und Südamerika vor, von den USA bis in den Süden Chiles. Genetische Tests der verschiedensten Sorten und Wildarten beweisen einen gemeinsamen Ursprung im Gebiet vom heutigem Südperu und nordwestlichem Bolivien (aus einer Art der Gattung Solanum brevicaule), wo sie vor etwa 7.000–10.000 Jahren domestiziert wurden. Nach Jahrhunderten der selektiven Züchtung gibt es jetzt über tausend verschiedene Arten von Kartoffeln. Es bleibt ein wesentliches Nahrungsmittel in Europa (besonders Ost- und Mitteleuropa), in denen die Pro-Kopf-Produktion nach wie vor die höchste in der Welt ist; aber die schnellste Expansion in den vergangenen Jahrzehnten ist in Süd- und Ostasien aufgetreten. Ab 2007 führt China in der Kartoffelproduktion weltweit, und fast ein Drittel der Kartoffeln der Welt wird in China und Indien geerntet.
[32] Der Holzapfel (Malus sylvestris), auch als Europäischer Wildapfel bezeichnet. Er ist vor allem in Mitteleuropa verbreitet und heute stark bedroht. Der Holzapfel war der Baum des Jahres 2013 in Deutschland.
[33] Malus coronaria, auch bekannt unter den Namen Süßer Holzapfel oder Garland-Holzapfel.
[34] Malus fusca (umgangssprachlich: Oregon-Holzapfel oder Pazifischer Holzapfel) ist eine Unterart vom Holzapfel. Er kommt ursprünglich im westlichen Nordamerika vor, von Alaska bis Kalifornien, wo er in Nadelwäldern wächst.
[35] Bären lieben die Früchte und haben bei der natürlichen Selektion geholfen, da sie am liebsten große, süße Früchte vom Baum schütteln. Sie fressen sie und scheiden sie dann in Kothaufen wieder aus, die als natürlicher Dünger dienen.
[36] „Bei seiner Umsetzung zwischen 2007 und 2014 hat der Vertrag rasche Fortschritte bei der Verbesserung der globalen Nutzung von pflanzengenetischen Ressourcen entlang der Wertschöpfungskette von Saatgut gebracht. Der Vertrag hat mit 1,6 Millionen Proben von genetischem Material einen weltweiten Genpool für Ernährungssicherheit unter der direkten Kontrolle aller Vertragsparteien geschaffen, der die Forschung an wichtigen Nutzpflanzen wie z.B. Mais, Reis, Weizen und Maniok erleichtert.“ Siehe: http://www.planttreaty.org
[37] Die Europäische Kommission stellte das Vorhaben am 6. Mai 2013 der Öffentlichkeit vor. Die Verordnung sollte nach den Plänen der Kommission vermutlich 2016 in Kraft treten. Kritiker befürchteten Hürden, die nur von Großkonzernen wie Monsanto, Syngenta, Bayer CropScience oder KWS SAAT genommen werden können. Einige Verbände starteten eine gemeinsame Petition. Die Abgeordneten des Europaparlaments wiesen die Vorschläge der EU-Kommission am 11. März 2014 mit 650 zu 15 Stimmen deutlich zurück.
[38] Gebietsfremde Pflanzen.
[39] „Das zunehmende Wissen und der technische Fortschritt bei Verfahren der Genomik und Pflanzengenetik eröffnen neue Möglichkeiten der Züchtung und auch Patentierung von biologischem Material. Die EU-Biopatentrichtlinie (98/44/EG) von 1998 ist die Grundlage der derzeitigen Patentgesetzgebung in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten und setzt fest, inwieweit biologisches Material oder Lebewesen patentiert werden können.
– Patentfähig sind nur Erfindungen, nicht aber Entdeckungen. Vorhandene, nur vorgefundene Dinge, Teile der Natur oder Lebewesen dürfen nicht patentiert werden. Hingegen können durch ein technisches Verfahren isolierte Bestandteile von Organismen, wie eine Zelle oder eine Gensequenz, eine patentierbare Erfindung darstellen, da sie sich nicht in ihrem natürlichen Kontext befinden.
– Pflanzensorten und Tierrassen sind vom Patentschutz ausgeschlossen, ebenso „im Wesentlichen biologische Verfahren“ zur Züchtung, wie Kreuzung oder Selektion. Patentierbar sind dagegen neue molekularbiologische Verfahren, wie sie in der modernen Pflanzenzüchtung angewandt werden, sofern sie einen technischen Schritt beinhalten. Auch auf einzelne Gene kann ein Patent erteilt werden, jedoch nur, wenn eine „erfinderische Leistung“ erbracht wurde. Diese könnte darin bestehen, die konkrete Funktion eines Gens zu identifizieren und daraus eine gewerbliche Anwendbarkeit abzuleiten.
– Patentfähige Erfindungen sind nicht sortenspezifisch, da sie sich auf ein technisches Element beziehen, das in verschiedenen Sorten und Kulturarten angewendet werden kann.“ 12/2014, Quelle: http://www.pflanzen-forschung-ethik.de (TTN Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München)
[40] Verbreitete Clubsorten in Deutschland sind beispielsweise die Äpfel Cripps Pink (Markenname Pink Lady), Fuji (Markenname Kiku), Milwa (Marken Junami, Diwa), Civni (Marke Rubens), Nicoter (Marke Kanzi), Scifresh (Markenname Jazz), Ambrosia.
[41] Die Transatlantische Handels- und. Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) ist ein aktuell verhandeltes Freihandels- und Investitionsschutzabkommen in Form eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen der Europäischen Union und den USA. Die genauen Vertragsbedingungen werden seit Juli 2013 ausgehandelt, dieser Prozess wird vielfach als intransparent kritisiert.
[42] Luther Burbank (1849–1926) war ein US-amerikanischer Pflanzenzüchter, der mehrere hundert neue Obst-, Gemüse- und Zierpflanzensorten züchtete. Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet Burbank. Luther Burbank war zu seiner Zeit unglaublich populär, ein Star im Bereich der Botanik und Pflanzenzüchtung. Noch heute bedeutet das Verb to burbank so viel wie Verändern und Verbessern von Pflanzen. Die Kartoffelsorte Burbank zählt zu den wichtigsten Sorten auf dem US-Markt. Zur Schaffung einer neuen Sorte führte er dutzende Kreuzungen durch, zum Teil mit Pflanzen, die er sich aus der ganzen Welt schicken ließ. Üblicherweise liefen bis zu 3000 Experimente mit mehreren Millionen Pflanzen parallel. Während seiner Arbeit an Pflaumen testete er ca. 30.000 neue Sorten. Luther Burbank war ein Schüler von Paramahansa Yogananda und wird in dessen Autobiographie eines Yogis erwähnt: „Sein Herz war unergründlich tief, seit langem mit Bescheidenheit bekannt, mit Geduld und Opferbereitschaft. Sein kleines Heim zwischen den Rosen war streng und einfach; er kannte die Wertlosigkeit von Luxus, die Freude daran, wenig zu besitzen. Die Bescheidenheit, mit der er seine wissenschaftliche Berühmtheit trug, erinnerte mich oft an die Bäume, die sich tief unter der Last der reifenden Früchte beugen; es ist der kahle Baum, der sein Haupt in leerer Angeberei hoch trägt“. (Yogananda, 1952, S. 416)
„His heart was fathomlessly deep, long acquainted with humility, patience, sacrifice. His little home amid the roses was austerely simple; he knew the worthlessness of luxury, the joy of few possessions. The modesty with which he wore his scientific fame repeatedly reminded me of the trees that bend low with the burden of ripening fruits; it is the barren tree that lifts its head high in an empty boast.“ (Yogananda, 1952, p. 416)
[43] Erwin Baur (1875–1933) war ein deutscher Genetiker und Botaniker. Baur arbeitete in erster Linie auf dem Gebiet der Pflanzengenetik. Er war Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung (1938 Erwin-Baur-Institut, seit 2009 Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung). Baur gilt als der Vater der Pflanzenvirologie. Er entdeckte die Vererbung von Plastiden. Mit Fritz Lenz und Eugen Fischer veröffentlichte er 1921 und 1932 zwei Bände über die menschliche Erblehre, die einen großen Einfluss auf die Rassentheorien Adolf Hitlers hatten. Baur war einer der Schöpfer der Ideen der Notwendigkeit von „Rassenhygiene“ in menschlichen Populationen, in denen der Staat die Rolle der fehlenden natürlichen Feinde übernehmen und unerwünschte Individuen beseitigen sollte – und bereitete damit den Boden für den Holocaust.
[44] Die Anfänge der Obstzüchtung auf wissenschaftlicher Grundlage liegen in Deutschland in Pillnitz und in Müncheberg. 1922 wurde die „Höhere Staatslehranstalt für Gartenbau in Pillnitz an der Elbe“ gegründet, die bereits eine Abteilung Pflanzenzüchtung besaß. Siehe auch http://www.jki.bund.de. In dieser offiziellen Broschüre des Julius Kühn-Instituts wird Erwin Baur, nach dem auch eine Apfelsorte benannt ist, als „Nestor der deutschen Züchtungsforschung“ bezeichnet.
[45] Malus atrosanguinea. Resistent gegen Verticillium (Pilzkrankheit). Eine Wildapfelart.
[46] Der Japanische Wildapfel (Malus floribunda), auch Korallenstrauch. Die Art stammt aus Japan, von wo sie 1862 nach Europa gebracht wurde. Möglicherweise handelt es sich bei ihr um eine Hybride (M. sieboldii x M. baccata). Malus floribunda hat ein natürliches Schorfresistenzgen, das für die Züchtungsarbeit verwendet wird.
[47] 29. September 2014: Ein lesbisches Paar aus Uniontown, Ohio, hat in einem Fall von „wrongful birth“ eine Samenbank vor Gericht gebracht. Sie hatten den Samen eines weißen Mannes für ihr Kind gekauft, und stattdessen ein schwarzes Baby bekommen. Sie meinen, sie hätten „nicht das Vereinbarte bekommen“.
24. April 2015: Chinesische Wissenschaftler melden, dass sie zum ersten Mal genetisch veränderte menschliche Embryonen erzeugt haben. Das Team versucht, mithilfe einer Genome-Editing-Technik, auch als CRISPR/Cas9 bekannt, das Gen zu verändern, das für die Beta-Thalassämie, eine potenziell tödliche Erkrankung des Blutes verantwortlich ist. Genome-Editing ist eine neu entwickelte Art von Gentechnik, bei dem DNA eingefügt, ersetzt oder entfernt wird. Quelle: ResearchSEA
[48] 2010 wurde durch die Zusammenarbeit zwischen 18 Forschungseinrichtungen in den USA, Belgien, Frankreich, Neuseeland und Italien, geführt vom italienischen Istituto Agrario di San Michele all’Adige (IASMA) das komplette Genom des Golden Delicious-Apfels entziffert. Es hatte die höchste Anzahl von Genen (57.000) von jedem bis dahin erforschten Pflanzen-Genom. Die Gene wurden zu über 90 % auf den Chromosomen festgelegt, und 992 Resistenzgene wurden identifiziert, mit denen die Genforschung nun arbeitet.
[49] Der Erreger des Feuerbrands ist ein Bakterium mit dem Namen Erwinia amylovora aus der Familie der Enterobakterien. Das Krankheitsbild des Feuerbrands äußert sich dadurch, dass Blätter und Blüten befallener Pflanzen plötzlich vom Blattstiel welken und sich braun oder schwarz verfärben. Die Triebspitzen krümmen sich aufgrund des Wasserverlustes hakenförmig nach unten. Die Pflanze sieht wie verbrannt aus (daher der Name „Feuerbrand“). Innerhalb von zwei bis drei Wochen sterben junge Pflanzen ab. Unter optimalen Bedingungen kann Feuerbrand eine ganze Obstanlage in einer einzigen Saison vernichten. [Wikipedia] Die Feuerbrandkrankheit wurde erstmals in den USA im Jahr 1780 beobachtet. Das Wirtspflanzenspektrum des Bakteriums ist auf die Familie der Rosaceae beschränkt. Insbesondere Kernobst (Apfel, Birne, Quitte) und verschiedene Ziergehölzgattungen können befallen werden. In Europa wurde die Krankheit 1957 in Südengland erstmals beobachtet. 1971 wurde der Erreger in Deutschland in Schleswig-Holstein nachgewiesen. Von dort fand eine Ausbreitung in Richtung Westen und Süden statt. In den 80er Jahren führte der Feuerbrand in den Obstbaugebieten der DDR zu erheblichen Verlusten. Es wurden Rodungen in großem Umfang vorgenommen. Seit 1993 entwickelte sich in Süddeutschland, besonders in der Bodenseeregion, eine gravierende und teils für Erwerbsbetriebe existenzbedrohende Befallssituation durch Feuerbrand, die auch die bodenseenahen Obstbaugebiete Österreichs und der Schweiz betraf. In Norditalien verbreitete sich die Krankheit seit 1994. Erstmals war in 2002 auch im geschlossenen Apfelanbaugebiet in Südtirol Befall zu beobachten. Der Erreger ist heute in Deutschland endemisch und nicht ausrottbar. Das Ausmaß des Befalls hängt in erster Linie von den Witterungsbedingungen während der Blüte ab. (Information des Julius-Kühn-Instituts, http://feuerbrand.jki.bund.de/index.php?menuid=17)
(Quelle: http://www.transgen.de)
[50] Forscher der Firma Plant Research International aus dem niederländischen Wageningen schleusten schon im Jahr 1994 ein Resistenzgen der Gerste gegen Apfelschorf in das Apfelerbgut von Golden Delicious und Elstar. Die transgenen Bäumchen testeten sie anschließend im Freiland.
[51] Das Unternehmen HortResearch ist die privatisierte Nationale Forschungsanstalt für Gartenbau aus Neuseeland. Es hat mithilfe der SMART-Breeding-Technologie rotfleischige Äpfel entwickelt (siehe Anmerkung 54). Sie sollen eine hohe Konzentration von Anthocyanin enthalten, dem Flavonoid, das die Pigmentierung verursacht und von dem angenommen wird, dass es Antioxidans-Eigenschaften hat und potentiell die kognitive Entwicklung fördert. Dieser rotfleischige Apfel wurde 2006 zuerst vorgestellt, aber erfüllte die Industriestandards für Lagerbarkeit nicht und ist damit vor allem für Fruchtsäfte geeignet. Er zielt auf den wachsenden Markt für funktionelle Früchte. Rotfleischige Äpfel kommen besonders in Nordamerika sowohl bei wilden Äpfeln wie auch bei kultivieren Sorten vor, beispielsweise bei dem Black Arcansas-Apfel, den Jimmie Durham während der documenta pflanzen ließ. Lubera ist eines der wenigen privaten Unternehmen, das mit klassischer Züchtungsarbeit erfolgreich rotfleischige Sorten eingeführt hat.
[52] Frank Majewski (1941–2001) war ein deutscher Kinderarzt und Professor für Humangenetik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Nach ihm wurden folgende genetisch bedingten Fehlbildungs-Syndrome benannt: Lenz-Majewski-Syndrom, Mohr-Majewski-Syndrom, Majewski-Syndrom. Außerdem hat er intensiv zu den Ursachen der Alkoholembryopathie bzw. des Fetalen Alkoholsyndroms (FAE) geforscht. Seit 2003 gibt es den nach ihm benannten Frank-Majewski-Preis, mit dem die Syndromologie in der klinischen Genetik gefördert werden soll.
[53] Dieses Verfahren wird beim sogenannten SMART-Breeding angewandt. Präzisionszucht bzw. SMART-Breeding oder MAS steht für „Selection with Markers and Advanced Reproductive Technologies“, MAS für „Marker assisted selection“. Bei der Auswahl der passenden Pflanzen wird auf sogenannte Genmarker gesetzt. Mithilfe kurzer, künstlich hergestellter DNA-Schnipsel (Sonden), die sich an spezifische Genmarker im Erbgut anheften, können die Forscher schnell erkennen, ob in einer Pflanze die gewünschten Genvarianten vorhanden sind. Da der Genmarkertest bereits bei jungen Keimlingen funktioniert, wird im Gegensatz zur traditionellen Züchtung, bei der erst der Aufwuchs der Pflanzen abgewartet werden muss, Zeit gespart. Eine wichtige Einschränkung dieser Technik ist, dass die gewünschten Gene bereits in einer Pflanze existieren müssen, um sie heranzüchten zu können. Dem Internationalen Reisforschungsinstitut gelang die Züchtung einer Reissorte, die mehrere Wochen andauernden Überschwemmungen der Felder standhält. Für die Ketchup-Industrie wurden Tomaten gezüchtet, die einen erhöhten Zuckergehalt besitzen.
[54] Mais gilt seit Beginn der systematischen Pflanzenzüchtung als Modellpflanze für Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Züchtungsmethodik, die schließlich zu der heute weltweit betriebenen Hybridzüchtung führte.
[55] Monsanto ist der bekannteste und einer der größten Produzenten von gentechnisch veränderten Pflanzen. Er war unter den ersten, die eine Pflanzenzelle genetisch veränderten (1983) und Feldversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen durchführten (1987). Monsanto war ein Pionier in der Anwendung des biotechnologischen industriellen Geschäftsmodells für die Landwirtschaft: Unternehmen investieren stark in Forschung und Entwicklung und holen die Kosten durch Nutzung und Durchsetzung von biologischen Patenten wieder herein. Monsantos Anwendung dieses Modells auf die Landwirtschaft, zusammen mit der seit den 1980er-Jahren zunehmenden Richtung auf ein global einheitliches System an Gesetzen zur Pflanzenzucht hin , kamen in direkten Konflikt mit der üblichen Praxis der Bauern: Saatgut zu speichern, wiederzuverwenden, zu teilen und neue Pflanzensorten zu entwickeln. Monsantos Modell der Patentierung von Samen wurde auch als Biopiraterie und Bedrohung für die biologische Vielfalt kritisiert. Monsantos Saatgut wird oft genetisch auf eine Resistenz gegen Herbizide wie Glyphosat hin verändert. Die Firma verkauft Glyphosat unter dem Markennamen Roundup – das dagegen resistente Saatgut heißt Roundup Ready. Monsantos Einführung dieses Systems (der Pflanzung von glyphosatresistentem Saatgut und der Anwendung von Glyphosat, sobald die Pflanzen wachsen) ermöglicht den Bauern einen dramatischen Anstieg der Rendite aus einem bestimmten Stück Land, da es ihnen erlaubt, Zeilen näher zusammen zu pflanzen. Vorher hatten die Landwirte Reihen weit genug auseinander gepflanzt, um dem Unkraut mit mechanischer Bodenbearbeitung gegenzusteuern. In den Vereinigten Staaten sind zum Beispiel heute über 90 % des angebauten Mais (Mon 832), Soja (MON-Ø4Ø32-6), Baumwolle, Zuckerrüben und Raps glyphosatresistent.
[56] “Der Schweizer Wissenschaftler Cesare Gessler und sein Team an der ETH Zürich haben in Zusammenarbeit mit u.a. Dr. Henryk Flachowsky und Prof. Viola Hanke vom Julius Kühn-Institut in Dresden mit cis-gentechnischen Methoden in die Apfelsorte Gala das Apfelschorfresistenzgen Rvi6 aus Malus floribunda 821 eingebracht, das auch für klassisch gezüchtete resistente Apfelsorten verwendet wurde. Alle weiteren regulatorischen Sequenzen, die für die Übertragung und die Ausprägung des „Zielgens“ nötig sind, stammen ebenfalls aus Apfelpflanzen. Ein so genanntes Markergen, das erforderlich ist, um die erfolgreich gentechnisch veränderten Pflanzenzellen zu erkennen, wurde wieder entfernt, nachdem es seine Funktion erfüllt hatte. Der gentechnisch veränderte Apfel enthält am Ende also nur Gene aus einer natürlich kreuzbaren verwandten Apfelart. Deshalb ist das Produkt nicht „transgen“ (lat. trans = jenseits (der Artgrenzen)), sondern „cisgen“ (lat. cis = diesseits). Im Rahmen des schweizerischen Nationalen Forschungsprogramms NFP 59 wurden drei cisgene Apfellinien unter kontrollierten Gewächshausbedingungen getestet, seit Herbst 2011 werden die Apfelbäumchen an der Universität Wageningen im Freilandversuch angebaut.” Quelle: http://www.pflanzen-forschung-ethik.de (TTN Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München).
„ “Produkte, die aus genetisch veränderte Pflanzen gewonnen werden, werden von einem großen Teil der europäischen Öffentlichkeit vor allem wegen der potenziellen unerwünschten / unbekannten Auswirkungen des Zielgens als auch der Anwesenheit von selektierbaren Markergen (en) abgelehnt. Deshalb entschieden wir uns für den cisgenen Ansatz und erzeugten einen GM der Sorte ‘Gala’, in dem das dem Apfel endogene HcrVf2-Gen mit seinen eigenen regulatorischen Sequenzen durch eine Agrobacterium-Transformation eingesetzt wurde, gefolgt von der anschließenden Abspaltung der selektierenden Markergene.“ C. Gessler, T. Vanblaere, G. Parravicini, G.A.L. Broggin, Cisgenenic ‚Gala’ containing the scab resistance gene from Malus floribunda 821 and the Fire blight resistance genes from M.’evereste’, ISHS Acta Horticulturae 1048: II International Symposium on Biotechnology of Fruit Species, 2012
Im März 2014 wurde der erste cis-genetisch hergestellte Apfel mit einfacher Feuerbrandresistenz vorgestellt, der ebenfalls von Cesare Gessler (ETH Zürich) in Zusammenarbeit mit dem Julius Kühn-Institut Dresden entwickelt und getestet wurde. Diesmal wurde in die Sorte Gala ein Gen des Malus robusta 5 (Mr5) eingesetzt.
Siehe: Broggini GAL, Wöhner T, Fahrentrapp J, Kost TD, Flachowsky H, Peil A, Hanke M-V, Richter K, Patocchi A & Gessler C. ; Engineering fire blight resistance into the apple cultivar ‘Gala’ using the FB_MR5 CC-NBS-LRR resistance gene of Malus 9 robusta 5. Plant Biotechnol. J., 2014
[57] Das Julius Kühn-Institut hatte in der Vergangenheit mehrfach Probleme mit Umweltschützern, die sich zum Beispiel 2003 dagegen wehrten, das in Dresden-Pillnitz bis zu 10.000 transgene Apfelbäume in einem Freilandversuch ausgepflanzt werden sollten. „Die Apfelpflanzen, die freigesetzt werden sollten, enthielten jeweils eins von insgesamt acht verschiedenen Genkonstrukten, die die Abwehr der Pflanzen gegenüber Krankheitserregern erhöhen sollen. Die Gene stammen aus verschiedenen Organismen, aus Bakteriophagen, aus einem Pilz und aus der Seidenraupenmotte. Sie alle vermitteln die Produktion von Proteinen, die gegen Bakterien oder Pilze wirksam sind. Ein Gen aus dem Bakteriophagen T4 etwa sorgt dafür, dass die Apfelpflanze Lysozym produziert, ein Eiweiß, welches die Zellwand von Bakterien angreift. Ein anderes Gen aus dem Pilz Trichoderma harzianum ist verantwortlich für die Bildung des Enzyms Chitinase, welches die Zellwände von Pilzen zersetzt.“ Quelle: http://www.biosicherheit.de/archiv/195.apfel-freisetzungen-geplant.html
[58] „Bis eine Apfelpflanze das erste Mal blüht, dauert es sechs bis zehn Jahre. Somit können die Früchte von Sämlingen nach einer Kreuzung frühestens nach sechs Jahren bewertet werden. Das hat zur Folge, dass auch der nächste Züchtungsschritt erst nach dieser Zeit möglich ist. In Pillnitz ist es nun gelungen, Pflanzen zu entwickeln, die durch die Übertragung eines Gens aus der Birke bereits im ersten Jahr nach der Aussaat blühen. Diese früh blühenden Apfelpflanzen werden in einem konventionellen Züchtungsprozess eingesetzt. ‚Die Überlegung dabei ist’, erläutert Henryk Flachowsky, ‚wenn diese transgenen Pflanzen für die Kreuzung verwendet werden, dann sind fünfzig Prozent der Nachkommen transgen, werden also früh blühen. Wenn dann zusätzlich ein Resistenzgen eingekreuzt wird, haben auch fünfzig Prozent der Nachkommen dieses Resistenzgen, ein Viertel der Nachkommen hat beides. Aus diesem Viertel wird ein Sämling zur Rückkreuzung ausgewählt. Das wird in mehreren Schritten wiederholt bis die Fruchtqualität der Sämlinge ein bestimmtes Niveau erreicht hat. Am Ende des Zuchtprozesses werden dann Sämlinge weitergenutzt, die resistent sind und eine gute Fruchtqualität aufweisen, aber nicht mehr transgen sind. Es funktioniert also genau wie bei der klassischen Züchtung, nur in kürzerer Zeit.’ Um den Züchtungsprozess zusätzlich zu beschleunigen, wird mit molekularen Markern gearbeitet, d.h. nicht erst die ausgewachsenen Pflanzen werden nach ihrem Erscheinungsbild bewertet, sondern die Apfelsämlinge schon in einem frühen Stadium molekular auf bestimmte Gene hin untersucht. Am Pillnitzer Institut wird noch ein weiteres Konzept überprüft, wie Apfelpflanzen dazu gebracht werden können, früher zu blühen. Um dieses Konzept zu erklären, muss Henryk Flachowsky weiter ausholen. In den letzten Jahren habe man neue Kenntnisse darüber gewonnen, welche Gene in der Modellpflanze Arabidopsis die Blütenbildung initiieren. Eine entscheidende Rolle spiele dabei das FT (Flowering locus T)-Gen. ‚Früher hat man geglaubt, dass Hormone diesen Prozess steuern, heute weiß man, dass es ein Protein ist. Das FT-Protein wird in den Blättern gebildet, wahrscheinlich in den Nährstoffleitbahnen der Pflanze nach oben transportiert und führt an der Sprossspitze dazu, dass aus dem vegetativen Meristem ein generatives Meristem wird.’ Im Apfel gibt es entsprechende (homologe) Gene, die dem vermeintlichen „Florigen“ FT aus Arabidopsis sehr ähnlich sind. Die Pillnitzer Wissenschaftler wollen nun Folgendes herausfinden: Wenn man dafür sorgt, dass das apfeleigene FT-Protein im Wurzelstock übermäßig stark gebildet wird, wird es dann in eine aufgepfropfte nicht-transgene Pflanze weitertransportiert? Kann man einen Apfelsämling auf diese Weise schon nach einem Jahr zur Blüte bringen, ohne dass der Sämling selbst transgen ist? Wenn es funktioniert, würde sich in der Frucht, wenn überhaupt, nur das apfeleigene Protein finden, aber kein Transgen.“ Quelle: http://www.biosicherheit.de (Kommunikationsmanagement in der Biologischen Sicherheitsforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF))
[59] ZUEFOS (Züchtung feuerbrandrobuster Obstsorten): Projekt zur Entwicklung und Testung feuerbrandresistenter Sorten. Kooperation zwischen Agroscope, Institut für Pflanzenbauwissenschaften; ETH Zürich (Gruppe von Prof. Cesare Gessler), Lubera AG und Fruture GmbH (private Apfelzüchtung) und die VariCom GmbH, welche Agroscope-Obstsorten in den Markt einführt. Siehe http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2014_10_2014.pdf
[60] Als Reaktion des öJulius Kühn-Instituts Dresden-Pillnitz auf die Bedenken der Umweltschützer, dass transgene Äpfel in Freilandversuchen andere Äpfel unwiederbringlich kontaminieren könnten, wurden transgene Äpfel erzeugt, die sich nicht mehr natürlich fortpflanzen können. „Die Kopplung von Nutzgenen, beispielsweise Krankheitsresistenzen, mit Genen für Pollensterilität bzw. Parthenokarpie würde die Nutzungsmöglichkeiten von transgenen Gehölzen erheblich erleichtern. Mit männlich sterilen Apfelzuchtlinien könnte eine Übertragung der Transgene über den Pollen auf andere Gehölze unterbunden werden. Mittels der Gentechnik ist es möglich, die Eigenschaft der männlichen Sterilität direkt in Apfelzuchtlinien einzubringen. Des Weiteren werden gentechnische Ansätze zur parthenokarpen Fruchtentwicklung, d.h. der Bildung samenloser Früchte verfolgt. Das Vorkommen von natürlicher Parthenokarpie ist beim Apfel bekannt. Das Forschungsprojekt möchte auf diese Weise einen Beitrag zur Verhinderung der Auskreuzung von Transgenen und der unkontrollierten Ausbreitung von gentechnisch verändertem Samen in die Umwelt leisten.“ Prof. Viola Hanke, Julius Kühn-Institut Dresden Pillnitz, 2005. Quelle: http://www.biosicherheit.de
[61] Ein Kronblatt oder Petalum (Mehrzahl: Petalen) ist ein Blatt der inneren Blütenhülle in der Blüte von bedecktsamigen Pflanzen.
[62] Als Parthenokarpie oder Jungfernfrüchtigkeit wird bei Pflanzen die Fruchtentwicklung ohne vorherige Befruchtung und Samenbildung bezeichnet. Die Fruchtentwicklung kann z. B. durch mechanisches Reizen des Fruchtblatts der Blüte ausgelöst werden, das zu einer Wuchsstoffausschüttung führt. Man unterscheidet zwischen induktiver Parthenokarpie, die durch äußere Reize ausgelöst wird, vegetativer Parthenokarpie, die spontan auftritt, und Scheinparthenokarpie (Stenospermokarpie), bei der nach der Befruchtung die Samen absterben, und die reifen Früchte parthenokarp erscheinen, wie bei sogenannten kernlosen Weintrauben. Die Parthenokarpie ist bei Äpfeln, Birnen, Trauben, Feigen, Ananas, Zitrusfrüchten und Bananen verbreitet, kann aber auch durch die Behandlung von Blüten mit Auxin bei anderen Pflanzen künstlich herbeigeführt werden. Parthenokarpie wird auch gentechnisch erzeugt, entweder um kernlose Früchte zu erhalten oder um die Ausbreitung transgener Pflanzen zu unterbinden. [Wikipedia]
[63] Arctic® Apple. 13. Februar 2015 (Washington, D.C.). „Das Center for Food Safety äußerte sich heute tief besorgt über die Entscheidung des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) zur Genehmigung eines ersten gentechnisch veränderten (GE) Apfels, der an Druckstellen oder nach dem Aufschneiden nicht bräunt. Der Apfel, der von der Firma Okanagan Specialty Fruits entwickelt wurde, verwendet eine relativ neue Form der Gentechnik, die RNA-Interferenz, auch Gen-Silencing, gegen die zahlreiche Bedenken von Verbrauchergruppen, Umweltschützern, und der Apfelindustrie (RNAi) erhoben werden. Wie für andere GE-Produkte besteht in den USA keine Kennzeichnungspflicht. Diese Genehmigung ermöglicht die kommerzielle Produktion der nicht-bräunenden Arctic®-Varianten der Sorten Granny Smith und Golden Delicious. Fuji und Gala-Versionen sollen folgen. Im Gegensatz zu früheren cut-and-splice-Techniken, die sich auf die DNA richteten, basieren die neuen Techniken, die so genannte RNA-Interferenz oder RNAi, auf der Manipulation von RNA-Molekülen, die Gene abschalten oder zurückrufen. Die Arctic® Apples wurden entwickelt, um Polyphenoloxidase (PPO) zu reduzieren. Das sind diejenigen Enzyme, die das Bräunen des Apfelfleischs verursachen. Diese Enzyme sind jedoch auch im gesamten Baum zu finden, wobei Auswirkungen der Technik noch nicht untersucht wurden. Darüber hinaus zeigen neuere Studien, dass Interferenz-Targeting eines Gens auch damit nicht verbundene Gene an- oder ausschalten könnte. Von anderen Pflanzen ist bekannt, dass PPO-Gene die Schädlingsabwehr und Stressresistenz stärken. Im Ergebnis könnten nicht-bräunende Apfelbäume anfälliger für Krankheiten sein und mehr Pestizide erfordern als herkömmliche Äpfel. Okanagan hat keine anderen Funktionen des PPO-Gens als die Eigenschaft der Bräunung in Äpfeln analysiert.“ Quelle: http://www.centerforfoodsafety.org
[64] Als Alleinstellungsmerkmal (engl. unique selling proposition oder unique selling point, USP) wird im Marketing und in der Verkaufspsychologie das herausragende Leistungsmerkmal bezeichnet, mit dem sich ein Angebot vom Wettbewerb abhebt.
[65] Genetic Use Restriction Technology, umgangssprachlich als „Terminator-Technologie“ bekannt, produziert Pflanzen, die sterile Samen haben. Sie verhindert die Ausbreitung von Samen in der freien Natur. Es hindert aber auch Bauern daran, aus Pflanzen zu Samen ernten, sodass sie die Samen für jede Aussaat neu kaufen müssten – das müssen sie allerdings auch im Fall von Hybridsaatgut tun, da die Samen der zweiten Generation von schlechterer Qualität sind, und in Fällen von patentierten transgenen Samen, bei denen Patentinhaber wie Monsanto Verträge mit den Landwirten schließen, die der Bedingung für den Kauf zustimmen, die geernteten Samen nicht neu zu pflanzen. Terminator-Technologie wurde von Regierungslaboren, Hochschulforscherm und Unternehmen, sowohl in Zusammenarbeit wie unabhängig voneinander, entwickelt. Es ist nicht bekannt, dass die Technologie bis heute bereits kommerziell angewendet wurde. Gerüchte, dass Monsanto und andere Unternehmen Terminator-Technologie einführen wollten, haben Proteste hervorgerufen, zum Beispiel in Indien. Im Jahr 1999 verpflichtete sich Monsanto, die Terminator-Technologie nicht zu kommerzialisieren. Die Delta and Pine Land Company beabsichtigte, die Technologie zu kommerzialisieren, aber D&PL wurde 2007 von Monsanto erworben. [Wikipedia] Da Äpfel vegetativ vermehrt werden, wird hier das Problem eher in der Patentierung liegen.