Alle fünf von mir ausgewählten Künstlerinnen und Künstler haben eine große persönliche und künstlerische Bedeutung für mich. Ich habe mit ihnen, bis auf Leonore Mau, auf verschiedene Weisen zusammengearbeitet, mich über Jahre mit ihnen beschäftigt und in einem lebendigen, fortdauernden Austausch viel von ihnen gelernt. Ich habe sie vor allem zwei Gedankengängen folgend ausgesucht: Wie kann man so mit Situationen und Objekten umgehen, dass eine Wechselwirkung zwischen den Dingen, den Menschen und der Welt entsteht? Und wie kann Kunst aussehen, die »kreole«, nicht-eurozentrische Sprachen spricht?
Issa Samb
Issa Samb (alias Joe Ouakam) ist Künstler, Philosoph und Schriftsteller. Er war Mitglied der Gruppe Laboratoire Agit’Art, die sich 1974 in Dakar bildete und eine neue, experimentelle, offene und gemeinsame Sprache in der Kunst finden wollte. Für sie war der lebendige, partizipative Prozess wichtig, an dem nicht nur die Menschen, sondern auch der Zufall, beispielsweise Geräusche der Umgebung, mitwirken konnten. Samb lebt und arbeitet in einem offenen Hof, der von Arkaden umgeben ist. Von einem riesigen Baum in der Mitte zu den Arkaden sind Schnüre gespannt, von denen unzählige Dinge herunterhängen: Puppen, Messer, Röntgenbilder… Auch auf dem Boden und unter den Arkaden finden sich weitere Objekte, die er immer wieder zu neuen skulpturalen Assamblagen umarrangiert. All diese Dinge haben Bedeutungen für ihn, die sich an jedem Tag in neuen Konstellationen finden können. Vor vier Jahren führte ich mit Issa Samb ein Gespräch, das für mich sehr wichtig war. Es ging mir dabei um die Bedeutung einiger Objekte, die zu meinem privaten Universalmuseum der »Gimel-Welt« gehören. Samb sprach mit mir über den Gebrauch von Objekten aus verschiedenen Kulturen in einer postkolonialen, globalisierten, kapitalistischen Welt und sagte: »(…) Man weigert sich immer noch anzuerkennen, dass es jenseits der Bedeutung, die wir den sozialisierten kulturellen Objekten geben, auch eine Bedeutung gibt, die diese Dinge sich selbst geben, die wir nicht erschaffen haben. Aber wir haben nicht den Mut, diesen Schritt zu machen. Anzuerkennen, daß jenseits der Tatsache, dass wir dieses Objekt aufladen können (…), das Objekt in sich und aus sich heraus eine Kraft besitzt, ein Leben, das bedeutet; – unabhängig von unserem Willen, unseren Bedürfnissen, von unseren Wünschen und unseren ästhetischen Anliegen, die Dinge in die Richtungen zu bewegen, die wir ihnen weisen.«
»…there is still the refusal to accept that beyond the meaning we give or that people give to socialized cultural objects, there is the meaning that objects give to themselves, which we haven’t created. But we have to have the courage to take that step. To recognize that beyond the fact of being able to charge up the object, (…) the object in and of itself possesses a force, a life that signifies; and does so independently of our volition, of our needs, of our wishes and our aesthetic concerns to make objects go in those directions that we indicate to them.«
*1945 in Senegal, lebt in Dakar
Juliane Solmsdorf
Juliane Solmsdorf arbeitet mit Bildern von Objekten, die sie in Skulpturen rückübersetzt. Sie notiert vorgefundene Situationen mit der Kamera oder dem Gedächtnis. Diese Situationen zu rekonstruieren und in ein Kunstwerk zu verwandeln, das über den ephemeren Moment hinaus Bestand hat, erfordert oft großen Aufwand. Barhocker, die am Straßenrand auf den Transport warten, werden genau nachgebaut, weil sich genau dieses Modell nicht finden lässt. Der Wind, der in Plastiktüten bläst, die sich in einem Maschendraht verfangen haben, wird im Ausstellungsraum mit einer Windmaschine simuliert. Juliane und ich arbeiten seit vielen Jahren immer wieder zusammen, vor allem performativ, wir haben aber auch meine Malereien und ihre »Remarked Sculptures« als gemeinsame Werkgruppe ausgestellt. Realistische Ölgemälde und Barhocker haben auf den ersten Blick nichts gemeinsam, dabei ähnelt sich unsere Methode: eine Situation wahrzunehmen, eine Anordnung in der Realität, die bereits »Kunst« ist und die wir mit der Kamera notieren. Durch die Arbeit an der Skulptur oder am Bild gewinnt sie eine Form, die sich auch anderen mitteilt. Umgekehrt schaffen wir immer wieder auch performative, vergängliche Situationen, die von anderen miterlebt werden können und die wir auf Video festhalten. Gemeinsam Kunst zu machen ist für mich ein großes Glück. Wir sind seit zwei Jahren Teil der feministischen Gruppe ƒƒ, bei der wir mit verschiedenen Künstlerinnen und natürlich auch weiterhin miteinander Kunst machen.
*1977 in Berlin, lebt in Berlin
Paweł Freisler
Paweł Freisler und ich planen für diesen Herbst eine gemeinsame Ausstellung im Muzeum Sztuki in Łodz, in der es um Äpfel gehen wird. Man muss wissen, dass ich Paweł nur aus einem langen Austausch von E-Mails kenne. Es begann damit, dass zwei polnische FreundInnen mir sagten, meine Performance mit einer schwarzen Kugel aus Polen – eines der Gimel-Objekte – ähnle einem Stahl-Ei, das Freisler 1964 in Elbląg von einer Firma für Präzisionsinstrumente anfertigen ließ. Es sollte das Ideal-Ei sein, das Muster für alle Hühnereier. Das Ei sollte nicht in Ausstellungen gezeigt sondern herumgetragen werden, zum Beispiel in der Hosentasche. Wem immer es anvertraut wurde, musste es auf Verlangen zeigen und eine Geschichte darüber erzählen. Diese Ei wollte ich unbedingt haben und bekam es auch, aber erst nachdem ich viele Rätsel gelöst, das Ei geliehen, kopiert und gestohlen hatte. Eine Kopie davon liegt heute in meinem Garten in Porta Coeli vergraben. Eines der Rätsel war der Satz »Vom Ei bis zu …«, den ich zum Glück mit dem römischen Sprichwort »Ab ovo usque ad mala« (»Vom Ei bis zu den Äpfeln«) vervollständigen konnte. Jetzt also Äpfel, auf Freislers Wunsch, dem ich natürlich folgen werde – das ganze Jahr lang. Aber die Zeit Paweł Freislers ist nicht linear und folgt nicht unserem Kalender. Es ist also schwer zu sagen, bis wann ich mich mit Eiern und Äpfeln beschäftigen muss. Wahrscheinlich immer schon und für immer.
*1942 in Kaposvár, Ungarn, lebt in Malmö
Olivier Guesselé-Garai
Olivier Guesselé-Garais Wurzeln in Frankreich, Kamerun und Ungarn inspirierten seine Suche nach einer Lingua franca in der Kunst – einer universellen Bildsprache, die auf geometrischen Formen basiert. Ich finde seinen Versuch sehr interessant, die oft totgesagte Sprache der Moderne in ein globales Feld zu bewegen, um sie vielleicht vor ihrer Beschreibung als eurozentrische, maskuline Herrschaftssprache zu retten. Der Philosoph Édouard Glissant mit seiner Vorstellung einer »All-Welt«, in der Kulturen verschmelzen und neue kreole Sprachen entstehen, ist für ihn (wie für mich) sehr wichtig. Guesselé-Garai faszinieren die Werke und Manifeste von De Stijl, aber auch die Arbeiten von weniger bekannten abstrakten Künstlerinnen wie Hilma af Klint, Katarzyna Kobro und Dora Maurer. Für ihn kann sich die »universelle Sprache«, die diese Künstler suchten, nur dann ernsthaft entwickeln, wenn ihr Universalismus gleichzeitig dekonstruiert wird. Dann erst findet man zu einer wirklich globalen Sicht, in der etwa die wunderbaren Farben und komplizierten geometrischen Formen, wie man sie auf den traditionellen Glasperlen-Arbeiten in Kamerun oder den Ndebele-Hausmalereien in Südafrika findet, ebenso wichtig sind wie De Stijl.
Olivier Guesselé-Garai draws his inspirations from in-depth research of geometric artistic languages in very different cultures. His roots in France, Cameroon and Hungary inspired his search for a lingua franca in the arts – a universal pictorial language based on geometric forms. What I find extremely interesting is his attempt to shift the often dismissed language of modernism into a global field, opening up new possibilities that could potentially save it from the its description as an Eurocentric, masculine, domineering language. For him (as for me), the writings of Édouard Glissant are very important; his idea of an “All-World” in which languages could merge and generate new creole languages.
Guesselé-Garai was fascinated by the works and manifestoes of De Stijl, but he also loves the works by lesser known female abstract artists like Hilma af Klint, Katarzyna Kobro or Dora Maurer. For him the “universal language” that these artists aimed at can only seriously develop if their universalism is at the same time deconstructed, in favor of a truly global viewpoint – in which the wonderful colors and intricate geometric forms that can be found on the traditional glass bead works in Cameroon or the Ndebele house painting in South Africa are as important as De Stijl.
*1976 in Paris, lebt in Berlin
Leonore Mau
Leonore Mau war in den 50er Jahren eine erfolgreiche Architekturfotografin, verheiratet und hatte Kinder, als sie den fast zwanzig Jahre jüngeren, schwulen Schriftsteller Hubert Fichte kennenlernte. Sie wurden und blieben ein Paar und bereisten ab 1962 vor allem Süd- und Mittelamerika sowie Afrika, wo sie sich besonders für die afroamerikanischen Religionen Cadomblé, Vodoun und Santería interessierten. Während Fichte die Pflanzen für die Initiationsgetränke oder auch die örtlichen Klappen studierte, machte Mau Fotos von Zeremonien, Menschen in Trance, aber auch vom alltäglichen Leben. In »Psyche. Annäherung an die Geisteskranken in Afrika« (2005) versammelten die beiden Bilder und Gespräche, unter anderem aus der experimentellen Psychiatrie von Fann in Dakar, an deren Versuchen auch Laboratoire Agit’Art teilgenommen hatte.
Maus Bilder zeigen wie Fichtes Texte brennendes und respektvolles Interesse an anderen Weltsichten. Beide nahmen an den Zeremonien nicht aktiv teil, ließen sich (anders als Pierre Verger alias Fátúmbí) nicht initiieren. Dennoch sind sie keine Ethnologen oder Anthropologen. Sie sind KünstlerInnen. Sie verwandeln das, was sie sehen, in etwas Neues, eine »kreole« Sprache mit einem neuen Geflecht von Bedeutungen und Beziehungen – wie die Religionen, die sie studierten.
*1916 in Leipzig, †2013 in Hamburg